Welchen Weg nimmt der Konflikt im Norden Syriens?


Für die Türkei wird es nun immer schwieriger, unter Gesichtswahrung aus der Eskalationsspirale in ihrem Krieg gegen Syrien auszusteigen. Der Angegriffene darf nicht untergehen, und das ist das Hauptargument für die umfassende russische Unterstützung für dieses Land. Die innergesellschaftlichen Verhältnisse Syriens umzugestalten, ist nicht Teil der russischen Agenda. Sie beschränkt ihren Einfluss auf den Erhalt des Staatswesens, die innersyrische Versöhnung und die militärische Unterstützung beim Kampf gegen terroristische Milizen.


Dem stehen Kräfte außerhalb Syriens entgegen, die ganz ausdrücklich, und seit Jahren, eine „Transformation“ Syriens forderten und tatkräftig betrieben haben. Der Drang, gesellschaftliche Verhältnisse in diesem Land mit Macht zu verändern, kommt nicht aus Russland! Deshalb müssen dessen Vertreter nicht heuchelnd Vorwände erfinden, die solche Änderungen notwendig machen sollen.

Die Türkische Regierung ist sauer

Und sie ist naiv. Sie hat sich überreden lassen, gegen ein Land Krieg zu führen, zu dem sie bis in das Jahr 2011 hinein hervorragende Beziehungen zum beiderseitigen Vorteil entwickelt hatte (1-4). Sie ist westlichen Einflüsterern erlegen gewesen, die ihre großosmanischen Träume getriggert und einen fetten Anteil an der syrischen Beute versprochen hatten. Für diese ideologisch stark untermauerten Träume hat die Türkei alles das zerstört, was auch ihrer eigenen staatlichen Souveränität zugute kam. Nun aber fühlen sich die türkischen Eliten – schlicht gesagt – übers Ohr gehauen. Sie sollen die Suppe auslöffeln, die ihnen andere, aber auch sie sich selbst, eingebrockt haben.

Die krasse, so absurd klingende Propaganda aus den staatlich gelenkten Medien der Türkei ist gar nicht so krass. Es ist die gleiche Propaganda, die hierzulande dem Konsumenten Tag für Tag eingebläut wurde. Die Türkei dachte, sie hätte einen Deal mit dem Westen gemacht, aber was ist das – ein Deal? Westliche Mächte haben keine – in dem Sinne gleichberechtigte – Partner. So haben sie auch die Türkei benutzt. Der Flüchtlings-Deal der Europäischen Union ist ein wichtiger Faktor zur Weiterführung des Syrien-Krieges. Er ist niemals als humanitäre Hilfe angedacht gewesen, sondern ein Mittel zur Kriegführung!

NATO-Staaten haben den Syrien-Krieg von Beginn an aus dem Hintergrund orchestriert – gipfelnd in einer angeblichen Allianz zur Bekämpfung des Islamischen Staates. Jenes Islamischen Staates, der in der Türkei über Jahre hinweg allerbeste Brutbedingungen genießen durfte. Der Westen wusste, welche Rolle die Türkei in Bezug auf den IS und die dem gleichen al-Qaida-Nest entsprungenen Dschihadisten spielte. Er wusste es deshalb, weil er ihr diese Rolle auch explizit zugedacht hatte. Weil er erkannte, dass die türkischen Eliten in ihrer ideologischen Verbundenheit zu den extremistischen Muslimbrüdern auch den „Brüdern“ des Islamischen Staates verbunden sein würden. Das konnte man damals auch in Mainstream-Medien wie dem Spiegel lesen (5).

Was die Türkei derzeit in Idlib betreibt, entspricht sehr wohl dem Plan der „Weltverbesserer“ für Syrien. Die türkischen Militärs übernehmen nun aber in Eigenregie und ohne das so lange von den „Weltverbesserern“ innerhalb des UN-Sicherheitsrates angestrebte Mandat die Rolle einer „internationalen Schutztruppe“. So lautete schließlich der Plan: „Internationale Schutztruppen“ – ganz wie in der klassischen Kolonialzeit – besetzen Syrien, um „humanitäre Hilfe“ zu leisten und „das Blutvergießen zu beenden“. Die Täter als Retter – ein oft erfolgreich umgesetztes Spiel.

Erinnern wir uns: Im August 2015 verabredeten die Türkei und die USA die Schaffung einer bis zu 65 Kilometer breiten sogenannten Flugverbotszone südlich der türkischen Grenzen – über dem Territorium Syriens (6). Damit stand der finale Schritt vor der Umsetzung, welcher erforderlich war, um eine Situation zu erschaffen, völkerrechtswidrig fremde Truppen nach Syrien zu entsenden. Das alles wurde betrieben, während man Krieg gegen Syrien mittels dschihadistischer Kämpfer und jenen des IS führte. Bis zum September 2015 verlief für die Türkei alles nach Plan, das Ziel ihrer Begierden war zum Greifen nahe. Die bestand in einer großen, türkisch kontrollierten Einflusszone im Norden Syriens und einer türkischen Interessen dienlichen, neuen syrischen Regierung.

Doch es sollte anders kommen.

Ende September 2015 hielt der russische Präsident Wladimir Putin eine denkwürdige Rede vor der UN-Vollversammlung und Russland griff nur einen Tag später in den Syrien-Krieg ein. In jenen Tagen begannen sich die schönen türkischen Großmachtphantasien in der neuen Realität aufzulösen. Damals hatte die Türkei aber eine gute Chance, aus der Sache herauszukommen – mit einem deutlichen Politikwechsel. Doch sie wurde gepämpert, dass es nur so eine Freude war – durch ihre westlichen „Partner“. Die Türkei sollte ihre Rolle – koste es, was es wolle – weiterspielen und dabei glauben, dass sie einen Nutzen davontragen würde.

Und so blieb der Erdogan-Staat ein Logistikpartner von Extremisten und erhielt dafür Milliarden an Euro und US-Dollar.

Gebaren eines Aggressors

Wenn Politik in Paranoia versinkt, dann nimmt sie zwingend pathologische Züge an. Was aus der Führung der Türkei nach außen gebrüllt wird, ist eine Mischung aus Hysterie, Machtprotzerei und den Allüren von schlecht sozialisierten Kindern, die ihr Geschenk einfordern.

Entsprechend läuft die türkische Kriegspropaganda auf Hochtouren und berichtet von Tausenden toten syrischen Soldaten und Hunderten Einheiten vernichteter syrischer Kampftechnik. Das ist ganz offensichtlich völlig überzogen, auch wenn man von hohen Verlusten bei der Syrischen Arabischen Armee (SAA) ausgehen muss.

Das hier außerdem noch immer mit der humanitären Karte gespielt und der gesamte Brei an Desinformation unverdrossen in westlichen Medien auch noch weiterverbreitet wird (7), zeigt das Ausmaß an Irrationalität und gleichzeitig die pure Angst alles zu verlieren, was man sich erträumt hatte, als man sich entschloss in den Syrien-Krieg zu ziehen. Es zeigt ebenso, wie tief diese Irrationalität bei den Strippenziehern vor allem in Washington und ihren Vasallen in London, Berlin und Paris, sowie deren dienernden Medien existent ist

Wenn Irrationalität ins Spiel kommt – und das gilt auch in der Politik und Diplomatie – ist man gefordert, sich in dieser nicht zu verstricken und kühlen Kopf zu bewahren. Dann geht es darum, aus der Zwanghaftigkeit in der Eskalation herauszukommen und wieder in einen reflektierenden, nachdenkenden Modus überzugehen. Dieses Bemühen meine ich auch in der derzeitigen russischen Diplomatie gegenüber der Türkei zu erkennen (8). Aber das Ganze hat auch Grenzen und die sind gegeben, wenn der Zugriff auf Verstehen, Reflektieren und Kompromissfähigkeit auf der anderen Seite schlicht nicht mehr vorhanden ist.

Maßnahmen der Vereinten Nationen

Ein weiterer Versuch einen durch die UNO mandatierten Waffenstillstand für Idlib durchzusetzen ist am 28. Februar am Veto Russlands gescheitert (9). Alle in ähnlicher Weise in der Vergangenheit geschlossenen Waffenstillstandsvereinbarungen zementierten die Verhältnisse in den von den Terroristen besetzten Gebieten und gaben ihnen die Möglichkeit, sich zu reorganisieren und die verlorengegangenen Offensivfähigkeiten wiederzugewinnen.

Noch viel attraktiver für die westlichen Führungsmächte war fast von Beginn des Syrien-Krieges an die Einrichtung durch die UNO kontrollierter „Schutzzonen“. Schließlich wäre das ein extrem effizienter Schritt gewesen, um den syrischen Staat zu entmündigen und ihm die Hoheitsrechte über sein Territorium zu entziehen. All das natürlich garniert durch Sprachregelungen der westlichen Wertegemeinschaft, die sich vor allem in der reichlichen Verwendung von Humanitäts-Floskeln ausdrücken. Letztlich wurden die türkischen Observationspunkte in Idlib – quasi durch die Hintertür – für den gleichen Zweck missbraucht.

Dann gibt es noch die Idee der Flugverbotszonen, jetzt auch wieder von der Türkei ins Spiel gebracht. Auch hier wird immer mit dem Argument gewedelt, man müsste die Bevölkerung vor „den Bomben des Regimes“ schützen. Libyen hat aber überdeutlich gezeigt, worum es bei Flugverbotszonen tatsächlich geht. Sie kommen einem Enthauptungsschlag des Gegners gleich und schwächen entscheidend dessen Verteidigungsfähigkeiten. Letztlich war es die von NATO-Staaten umgesetzte „Flugverbotszone“ über Libyen, die Libyens Regierung zu Fall brachte. Zu gern hätten die Kriegsverbrecher von Libyen auch Gleichgeartetes in Syrien verwirklicht (10).

Syrien weiß das und hat am 1. März nunmehr selbst das gesamte Idlib-Gebiet zur Flugverbotszone erklärt. Was bedeutet, dass jedes Flugobjekt, dass nicht syrisch ist, sofort angegriffen werden wird, womit türkischen Gelüsten, mit eigenen Fliegerkräften das Blatt in Idlib zu wenden, begegnet wird. Noch am selben Tag wurden über Idlib drei türkische Drohnen abgeschossen (11-13). Letzter Anlass für diese syrische Maßnahme war der Abschuss zweier syrischer Su-24 – russischen Medienberichten zufolge, verursacht durch zwei türkische F-16, die in den syrischen Luftraum eingedrungen waren (14). Außerdem hatten eine Reihe von Drohnenangriffen der türkischen Armee zu großen Verlusten unter den syrischen Streitkräften geführt.

Diese Flugverbotszone wurde sicher in Abstimmung mit Russland ausgerufen – aber nicht durch Russland, sondern durch Syrien. Damit signalisiert die russische Führung, dass sie Syrien beisteht und dessen Führung gleichzeitig als legitimen Souverän achtet. Sollte das türkische Militär hier also Vabanque spielen, wird es ab sofort auch mit den russischen Luftverteidigungssystemen in Syrien konfrontiert werden. Das unehrliche Spiel der Türkei – auch gegenüber Russland – ist gerade dabei, auf ganzer Linie zu scheitern. Und so hat der Sprecher des von Russland geleiteten Zentrums für Versöhnung die türkische Seite informiert, dass es die Sicherheit türkischer Militärkräfte in Idlib nicht mehr garantieren kann (15).

Dahinter steckt nichts anderes als die Botschaft: „Herr Erdogan, ziehen Sie umgehend ihre Truppen aus Idlib zurück!“

International kontrollierte Zonen unter UNO-Aufsicht wurden immer mit emotionalen Argumenten geschmückt. Dieser Hebel aber wirkt nicht mehr. Zu ausgelutscht ist das Argument der „humanitären Katastrophe – verschuldet durch das Assad-Regime“ geworden, als das es die öffentliche Meinung weiterhin so effizient steuern könnte, wie es noch vor zwei, drei Jahren der Fall war.

Wer zudem aufmerksam die Berichterstattung unserer Massenmedien verfolgt, stellt fest, wie diese sich in den eigenen Narrativen verstricken. Gern wird von den Flüchtlingsströmen erzählt, die sich in Richtung Türkei wälzen würden, aber ist das so? Werden die Türken tatsächlich als Befreier angesehen? Als vor zwei Jahren die nordöstlich von Idlib gelegene Provinz Afrin durch die Türkei „befreit“ wurde, machten sich 150.000 Menschen – die Hälfte der dort lebenden Bevölkerung – als Flüchtlinge auf den Weg, und zwar in das von der Syrischen Regierung kontrollierte Gebiet (16,17).

Isolierung eines Aggressors?

Nicht nur westliche Staaten – auch Russland kann Sanktionen verhängen. Die derzeitige türkische Politik – gerade in Syrien – belässt eine latente Gefahr für Russland. Islamistischer Terror ist dort nicht unbekannt und das, was westliche Medien in erster Linie als Freiheitskampf in den Tschetschenien-Kriegen verkauften, war vor allem ein Kampf zwischen russischen Sicherheitskräften und islamistischen, gewalttätigen Extremisten, die aus den Ausland unterstützt wurden. Vieler dieser tschetschenischen Kämpfer gingen ab 2011 nach Syrien (18).

Wirtschaftssanktionen hat Russland im Jahre 2016 schon einmal sehr wirkungsvoll über die Türkei verhängt und gezeigt, wie abhängig die türkische Wirtschaft von der Russischen ist.

Dabei ist die Türkei keinesfalls durch die westlichen Staaten isoliert, wie es gelegentlich kolportiert wird. Bisher haben die dem Land auferlegten Sanktionen keine Wirkungen gezeigt, ganz im Gegensatz zu jenen um die Jahreswende 2015/2016 verhängten Sanktionen durch Russland.

Es gibt sie also – Sanktionen seitens der USA und der Europäischen Union (EU). Ihre Wirksamkeit ist marginal und in keiner Weise auf die Politik der Türkei gegenüber Syrien bezogen. Sie beruht auf der Konkurrenz mit der EU in Bezug auf die Nutzung von Rohostoffressourcen unter dem Grund des Mittelmeeres (19,20). Letztlich sind diese Sanktionen symbolischer Natur. Die USA haben sie zwischenzeitlich sogar wieder zurückgenommen und das kann auch gar nicht anders sein. Denn in der Realität genießt die Türkei – ausgenommen davon ist der unmittelbare militärische Aspekt – nach wie vor umfassende Rückendeckung seitens der westlichen Mächte und wird von diesen in keiner Weise im aggressiven Vorgehen in Syrien gebremst.

Ganz im Gegenteil, hat die EU ihre umfassenden Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Syrien Ende Februar nochmals verschärft (21). Zwar gibt es sehr wohl Spannungen zwischen der EU und der Türkei aber ein großer Teil davon ist reiner Theaterdonner. In Bezug auf den Nahen Osten verhalten sich die beiden wie zwei Gangster, die ein Zweckbündnis eingegangen sind, um Beute zu machen. Dabei aber immer ihre egoistischen Interessen im Auge behalten, um – gern auch auf Kosten des „Partners“ – einen Extragewinn zu erzielen.

Der Krieg der Türkei in Syrien hat mächtige Fürsprecher in der westlichen Hemisphäre und die Unterstützung aus dieser Richtung niemals nachgelassen. Willfährige deutsche Politiker und Medien beweisen, bis zum heutigen Tag, eindrucksvoll, wie sie diesen schmutzigen Krieg mitführen.

Ein Politiker, der vorgibt christlich zu sein, Norbert Röttgen, entpuppt sich ein weiteres Mal als echter Falke und bedient sich eins zu eins der Erdogan-Rethorik. Türkische Truppen stehen in Idlib und was erzählt Röttgen?

Putin hat bisher für seinen Eroberungskrieg an der Seite Assads keinen Preis bezahlen müssen.“ (22)

Oder der Sozialdemokrat Heiko Maas, seines Zeichens deutscher Außenminister und ein Opportunist vor dem Herrn:

Wir verurteilen die fortgesetzten Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten im Norden Syriens. Die Ereignisse der letzten Nacht zeigen die große Gefahr einer weiteren militärischen Eskalation.“ (23)

Bedenken wir, dass beide Politiker ganz genau wissen, was in Idlib vorgeht. Maas ist also ehrlich! Er verurteilt in all dieser Ehrlichkeit „die fortgesetzte Angriffe des syrischen Regimes und seiner russischen Verbündeten“ auf islamistische Milizen, welche auf der Terrorliste der UNO stehen und permanent die syrische Armee und ihre Verbündeten attackieren.

Vor der letzten Bundestagswahl fragte ich auf dieser Plattform die Leser, ob sie ein weiteres Mal bereit sind, Parteien von Kriegstreibern in eine Deutsche Regierung zu wählen. Das Ergebnis ist bekannt. Wie wohl wird es bei der nächsten Bundestagswahl aussehen?

Russland kann der Türkei im Tourismus- und Ölsektor, sowie im lokalen grenzüberschreitenden Handel sehr weh tun. Das Handelsvolumen zwischen den beiden Staaten war im Jahr 2018 auf immerhin 22 Milliarden Euro angewachsen. Zum Vergleich: Deutschland und die Türkei setzten im Vorjahr etwa 35 Milliarden Euro in Ex- und Importen um. Bei den Importen führt Russland gar die Liste vor China und Deutschland an (24-27).

Die Wirtschaftsbeziehungen sind gewichtiger, als es die bloßen Zahlen aussagen. Verringern sie doch die Abhängigkeit Ankaras von solchen – gern auch als Machtmittel genutzten – Währungen wie dem US-Dollar und Euro. Die beiden Staaten arbeiteten in den vergangenen Jahren zunehmend mit Verrechnungseinheiten ihrer nationalen Währungen, was vor allem der türkischen Lira eine Stabilisierung einbrachte (28).

Aufkündigung der Vereinbarung von Sotschi

Ganz klar: Die offizielle Aufkündigung der Sotschi-Vereinbarung durch Russland und den Iran steht auf der Tagesordnung. Ja, das ist sogar überfällig, da der Bruch seitens der Türkei längst offensichtlich ist. Die logische Konsequenz wird in der ultimativen Aufforderung an Ankara gipfeln, umgehend seine Truppen aus Syrien zu holen – auch die in den Observationspunkten Stationierten. Beachten wir aber, dass damit der Astana-Prozess noch nicht gescheitert wäre. Dazu sagte der russische UN-Botschafter, Wasili Nebentsaja, nach einer UN-Sicherheitsratssitzung am 28. Februar:

Heute war es offensichtlich, dass einige die Situation in unserem Konflikt mit Ankara ausnutzten. Heute war ihr Hauptthema der Satz: Astan ist tot. Ich möchte sie eines Besseren belehren: Beeilen sie sich nicht, es [Astana] zu begraben.“ (29)

Sotschi ist ein Sonderfall. Dort wurden Regelungen zur besonderen Situation in Idlib getroffen, die eine Rückführung terroristischer Milizen in die Türkei realistisch machten. Dabei geht es nicht zuletzt um zehntausende ausländische Kämpfer, samt ihrer Familien, die ihre Heimat in Mittelasien, Afrika aber auch in Europa haben.

Das „terroristische Schlangennest“ Idlib hatte in den Wochen und Monaten zuvor zehntausende Militante aus anderen Gegenden Syriens – insbesondere Ost-Ghouta und der Provinz Suweida – aufgenommen. Dadurch war es allerdings auch möglich, große Teile Syriens zu befrieden und einen wichtigen Schritt in Richtung Wiederherstellung der territorialen Souveränität des Landes zu gehen. Zudem lief damals, im September 2018, eine massive Kampagne, um Vorwände für ein militärisches Eingreifen seitens westlicher Mächte zu erschaffen. Die Sotschi-Vereinbarung wurde der damals bestehenden Situation durchaus gerecht.

Nun aber ist Sotschi praktisch tatsächlich gescheitert und türkische Militärs – egal ob in laut Sotschi legal betriebenen oder den illegalen Observationspunkten – sind für Syrien in keiner Weise mehr akzeptabel. Das weiß Russland und eigentlich weiß das auch die Türkei.

Militärische Optionen

Es scheint mir ziemlich sicher, dass die militärische Karte, welche Erdogan in Idlib gezogen hat, nicht funktionieren wird. Seine westlichen Partner und Strippenzieher haben ihm das „durch die Blume“ bereits vermittelt. Russland hat dies ebenso und Syrien lässt sich, mit seinen starken Partnern – Iran, Russland, aber auch China – schon gar nicht mehr erpressen.

Eine quantitative Eskalation seitens Russlands wird eher begrenzt bleiben, aber qualitativ könnte es starke Veränderungen geben, um den Luftraum über Syrien vor türkischen Angriffen zu schützen und ein Ausbluten der Syrischen Arabischen Armee zu verhindern. Die Erfolge der russischen Militärkampagne gegen die Terroristen in Syrien wurden auch bisher mit erstaunlich geringem Ressourceneinsatz bewerkstelligt.

Auf jeden Fall sind die in den vergangenen Tagen zur syrischen Mittelmeerküste verlegten zwei Fregatten offensichtlich bereits zum Einsatz gekommen und haben über ein Dutzend Marschflugkörper auf Ziele der Milizen in Idlib abgefeuert (30,31).

Auf operativem Gebiet hat Russland ebenfalls Veränderungen eingeleitet. Nachdem die SAA die strategisch wichtige Stadt Saraqib erneut von den terroristischen Milizen befreit hat, ist umgehend russische Militärpolizei in die Stadt eingezogen. Die Botschaft an die Türkei ist überdeutlich: „Wenn Ihr Saraqib angreift, gefährdet ihr Russen. Damit überschreitet ihr eine rote Linie.“ (32)

Ob und wie nun die türkische Seite in Syrien bereit ist, weiter zu eskalieren, hat maßgeblich Einfluss auf das Folgende:

Noch eine Variante sollte nämlich nicht ganz aus den Augen verloren werden: Russland könnte Erdogan – in dessen Rolle als echter Verbündeter im Staatensystem einer neuen multipolaren Welt – fallen lassen. Es ist eine vage Möglichkeit, womit dann auch der Astana-Prozess tatsächlich an sein Ende gekommen wäre, ohne dass man die damit verbundenen Ziele erreicht hätte. Das bestand in erster Linie in einem friedlichen, vollständig wiedervereinigten Syrien, das innerlich und mit seinen Nachbarn versöhnt ist.

Diese Möglichkeit könnte Russland zuvor über diplomatische und geheimdienstliche Kanäle andeuten, um den türkischen Partner zu sensibilisieren. Es gibt starke Anzeichen dafür, dass russische Geheimdienste dem türkischen Präsidenten im Sommer 2016 den Kopf retteten, in dem sie ihm Informationen über einen kurzfristig angesetzten Militärputsch zukommen ließen.

Dieses „Fallenlassen“ ist keinesfalls gleichzusetzen mit einem von Russland aktiv betriebenen Sturz der türkischen Regierung, sondern würde den Rang der Beziehungen auf das Maß zurechtstutzen, das sich die Türkei in den vergangenen beiden Jahren redlich verdient hat. Der Tiefe Staat der Türkei (33) hat Erdogan – der sich mitsamt seiner Führungsriege in den Obsessionen von einem neuen Großosmanischen Reich wiegt – offensichtlich wieder eingefangen. Es ist wirklich an der Zeit, dass einige Leute in der türkischen Führung, sich mal etwas länger an der frischen Luft aufhalten, um die Köpfe zu kühlen.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden. Letzte Bearbeitung: 2. März 2020, 21:49 Uhr.

(1) 18.04.2011; Ankaras Sorge um die neue Freundschaft; Michael Martens; http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/naher-osten/die-tuerkei-und-syrien-ankaras-sorge-um-die-neue-freundschaft-1621779.html

(2) 07.02.2012; Ende einer Freundschaft; Friedrich Mielke; http://www.swr.de/swr2/kultur-info/ende-freundschaft-syrien-tuerkei/-/id=9597116/did=9251286/nid=9597116/15hbk6z/index.html

(3) 24.08.2016; Türkei und Syrien: Einst Freunde, heute erbitterte Feinde; Cigdem Akyol / APA; http://www.kleinezeitung.at/politik/aussenpolitik/5074369/Turkei-und-Syrien_Einst-Freunde-heute-erbitterte-Feinde

(4) 24.06.2011; Kooperation und Konfrontation; Karin Leukefeld; http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/tuerkei.html ; Original in: Junge Welt, 24.6.2011

(5) 19.09.2013; Al-Qaida erobert Stadt an türkischer Grenze; Hasnain Kazim; http://www.spiegel.de/politik/ausland/buergerkrieg-in-syrien-al-qaida-erobert-stadt-an-grenze-zur-tuerkei-a-923396.html

(6) 03.08.2015; Türkei und USA errichten Flugverbotszone; Frank Nordhausen; ; http://www.berliner-zeitung.de/syrien-tuerkei-und-usa-errichten-flugverbotszone-22468132; entnommen bei Wall Street Journal und CNN

(7) 01.03.2020; https://www.tagesschau.de/ausland/tuerkei-angriff-syrien-101.html

(8) 01.03.2020; https://tass.com/world/1125305

(9) 29.02.2020; https://www.tagesschau.de/ausland/turkei-syrien-un-sicherheitsrat-101.html

(10) 28.02.2020; Paul-Anton Krüger; https://www.sueddeutsche.de/politik/idlib-eskalation-im-syrien-krieg-1.4824959

(11) 01.03.2020; https://sana.sy/en/?p=187055

(12) 01.03.2020; https://sana.sy/en/?p=187060

(13) 01.03.2020; https://sana.sy/en/?p=187110

(14) 01.03.2020; https://ria.ru/20200301/1566125859.html

(15) 02.03.2020; https://southfront.org/russia-could-no-longer-guarantee-safety-of-turkish-aircraft-flying-over-syria/

(16) 18.03.2018; https://www.dw.com/de/aktivisten-150000-menschen-fliehen-aus-afrin/a-43022972

(17) 16.03.2018; https://www.dw.com/de/afrin-eingekesselt-die-opfer-sind-zivilisten/a-43005054

(18) Juni 2014; Eine tschetschenische Al-Qaida?; Guido Steinberg, Stiftung Wissenschaft und Politik; https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2014A40_sgb.pdf

(19) 02.12.2019; https://www.exportmanager-online.de/nachrichten/neue-eu-und-us-sanktionen-die-tuerkei-im-fokus-14680/

(20) 28.02.2020; https://www.deutschlandfunk.de/erdgasbohrungen-vor-zypern-eu-verhaengt-sanktionen-gegen.1939.de.html?drn:news_id=1105581

(21) 17.02.2020; https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2020/02/17/syria-eu-adds-eight-businessmen-and-two-entities-to-sanctions-list/

(22) 01.03.2020; https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/f-a-s-exklusiv-kramp-karrenbauer-und-roettgen-verlangen-mehr-druck-auf-putin-16657590.html

(23) 28.02.2020; https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-idlib/2312404

(24) 10.02.2020; Eduard Steiner; https://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article205727989/Russland-wird-Profiteur-der-US-Sanktionen.html

(25) 29.05.2019; https://www.hurriyet.de/news_handelsvolumen-zwischen-tuerkei-und-russland-stieg-2018_143517685.html

(26) 19.02.2020; https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Aussenhandel/Tabellen/rangfolge-handelspartner.pdf?__blob=publicationFile

(27) 30.12.2019; https://www.gtai.de/gtai-de/trade/wirtschaftsumfeld/wirtschaftsausblick/tuerkei/wirtschaftsausblick-tuerkei-205874

(28) 07.02.2017; Iwan Baschenow; https://www.fit4russland.com/wirtschaft/1801-der-uebergang-zur-verrechnung-in-nationalen-waehrungen-beim-handel-russlands-mit-der-tuerkei-ist-ein-weiterer-schritt-zur-entfernung-vom-dollar

(29) 29.02.2020; https://tass.com/politics/1125113

(30) 28.02.2020; Andrew Wilks; https://www.abqjournal.com/1425585/turkey-raises-death-toll-to-33-troops-in-syrian-airstrike.html

(31) 01.03.2020; Bojko Nikolow; https://bulgarianmilitary.com/2020/03/01/russia-fired-14-cruise-missiles-on-jihadist-positions-in-syria-sources-report/

(32) 02.03.2020; https://southfront.org/russian-military-police-entered-saraqib-in-eastern-idlib-russian-military/

(33) 28.11.2015; https://medienschafe.wordpress.com/2015/11/28/unter-woelfen-gladio-cia-is-und-die-tuerkei/

(Titelbild) Russische Su-24 in Syrien; 03.10.2015; http://stat.mil.ru/images/upload/2015/HJ7A0386.jpg; Lizenz: Creative Commons CC4.0

Von Ped

2 Gedanken zu „Syrische Szenarien“
  1. Aufgrund der seit vermutlich über einem Jahrhundert kontinuierlich verfolgten Geopolitik der USA (um nur ein paar Stichpunkte zu nenne: 1. WK, 2. WK, Vietnam, Korea, Afghanistan, „Kalter Krieg“, Vorgänge im „Nahen und Mittleren Osten“, Ukraine/ Maidan) versucht die USA Russland wieder in einen Krieg mit anderen Kräften zu zwingen um Russland zu schwächen und damit „sturmreif zu schießen“ wie es mit dem Zusammenbruch der UDSSR und der Installation Jelzins schon einmal fast gelungen ist.
    Also werden die USA und deren Proxis in den „Verbündeten Ländern“/ NATO, alles dafür tun, dass die Türkei und Russland in einen direkten, heißen Krieg eintreten könnten.

    Man sollte mE die Entwicklungen im diesem Sinne interpretieren um zu verstehen, was passiert.

    Dh, die Vorgänge in Syrien selbst („Regime Change“-Bemühungen des Westens seit spätestens Bush Junior, 2001, mit offener deutscher Beteiligung seit spätestens der „The-day-after“-Konferenz 2012 bei Berlin) sind also nur grausame Randerscheinungen eines konsequenten Bemühens der USA bzw. deren geheime Herrscher nach unipolarer Weltmacht, dh, Russland zu übernehmen, dann China. Wer nicht an „Verschwörungstheorien“ glaubt, obwohl sie offen vor ihm ausgebreitet liegen, ist selber schuld.

  2. Unter konsequenter Beachtung einer Prä-Obama und einer Post-Obama Ära und dem aufmerksamen Beobachten der Multipolaren Veränderungen, ist das aktuell einzige Möglichkeit eines Phyrus-Sieges für den globalen Tiefen Staat das Schlachtfeld Syrien.

    Präsident Putin, soviel Zeit muss sein, hat sein Land von Tag 1 seiner Präsidentschaft an von den Hydra-Fängen des Tiefen Staates gesäubert. Alle Mal wert darüber ein Buch zu schreiben. Allerdings tat Präsident Putin dies mehr gentleman-like statt wie Trump mit viel Getöse.

    Präsident Trump hat es hier schwerer, denn er kann nicht alle Arme der Fabian/Pelerin-Hydra gleichzeitig abschlagen und muss so für seine Wiederwahl die Finanz-/Wallstreet-/Siliconvalley-Terroristen noch schalten und walten lassen. Aber auch hier werden bereits im Hintergrund die Flügel gestutzt.

    Unübersehbar blieben demnach nur noch wenige Flecken für den Tiefen Staat übrig. Europa, Iran, Lybien und der Nahe Osten. In Europa geht der Tiefe Staat längst in Deckung, wartend auf die Entgiftung und Säuberungsaktion. Allerdings ist hierfür weder Kopf noch Truppe auserkoren.

    Also reiten in der öffentlichen Mediengeige die Unverbesserlichen, die Uneinsichtigen, die Sturschädeligen Ihr Ideologie- & Wahnsinns-Pferd nicht nur endgültig tot, sie werden selbst vom toten Pferd nicht absteigen wollen, freiwillig.

    Pläne für eine Entgiftung Europas, allen voran für Deutschland gibt es noch nicht. Wer stellt sich vor, die eigenen Reihen von 80 Millionen Menschen von Wölfen in Schafspelzen befreit werden sollen? Ganz besonders, welche Vorstellungen gibt es für Deutschland als zukünftiger Player in der Multipolaren Weltordnung?

    Erdogan versucht mit aller blinden Geifer-Macht nicht nur über seinen Sohn Milliarden an geklautem Öl mit Hilfe des Tiefen Staates seine Taschen zu füllen. Nein, er hofft bis heute tatsächlich darauf, dass die Nato ihm zur Seite steht, bei einer direkten Konfrontation mit Russland in Syrien.

    Präsident Putin und Trump sind nicht doof. Die US/EU-Falken aber auch nicht. Schon gar nicht die Wölfe.

    Angela Merkel weiß längst was folgen wird, denn Ihre Erleichterung nach dem letzten Treffen war unübersehbar. Scheinbar wird sie nicht auf dem Opferaltar bluten müssen. Allerdings hat Mr. Erdogan den Bogen überspannt, als dass nach so viel verbrannter Erde noch ein Funken Vertrauen wachsen könnte. Die Pistole wird ihm beim aktuellen Treffen mit Präsident Putin sicherlich auf die Brust gesetzt und dann wird Europa und wir zusehen, ob die Türkei fällt oder nicht. In gewissen Karten für 2021 kommt die Türkei in aktueller Form nicht mehr vor. Der Traum vom Osmanischen-Großreich ist zu Ende und danach ist weniger eben nicht mehr.

    Die Nato wird sich zu keinem Zeitpunkt in einen direkten Krieg mit Russland einlassen, da NOCH die Nato US geführt ist. Mr. Stoltenberg und Präsident Trump sind auf einer Linie. Die wenigen Falken im Hintergrund werden aktuell nach und nach entfernt. Der Rest der Falken, aus den eigenen GOP Reihen nach der Wahl.

    Für uns in Deutschland ist es jetzt akut perfekt zu erkennen, wer ein Wolf, wer für den Tiefen Staat und wer Falke ist. Unsere Maßnahme muss die Unterstützung Griechenlands sein, welche an vorderster Front die Stellung halten. Obwohl wir, die dt. Regierung, dicke an der Plünderung durch Mr. Schäuble und dem Ausblutung der griechischen Zivilbevölkerung Reibach gemacht haben.

    Russland hat die schwerste Aufgaben aller und Präsident Putin wird sie zum Dank aller lösen. Konfrontiert mit dem noch wütenden Tiefen Staat im Iran, dem Umbau Chinas als erhofftes neues Machtzentrum der Ideologen aus der Prä-Obama Zeit, der Türkei als verführten Sünder und dem sturen aber hilflosen Europa.

    Ich bin guter Dinge, denn es wird Zeit für die letzten Meter!

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