Ein Kurzbeitrag zur aktuellen Ukraine-Berichterstattung.


Nachrichten werden von der ARD-Tagesschau verbreitet. Sie werden übernommen und weiter gereicht. Werden sie auch geprüft — zum Beispiel auf Vollständigkeit? Spart man sich das, weil die verwendeten Quellen für die Redakteure des öffentlich-rechtlichen Senders limitiert, dann aber wohl über jeden Zweifel erhaben sind? Doch müssen auch sie wissen, dass Nachrichten, die wichtiger Kontexte beraubt sind, ein völlig anderes emotionales Bild im Empfänger entstehen lassen können.


Es geht also um journalistische Sorgfalt oder korrekter ausgedrückt das Fehlen derselben. Die folgende Meldung der ARD ist vom 25. März 2024, 14:14 Uhr. Die Uhrzeit ist wichtig, wie wir dann noch sehen werden.


Ukraine-Liveblog

Neun Verletzte bei Raketenangriffen auf Kiew

Bei den russischen Raketenangriffen auf Kiew heute Morgen sind nach Angaben des ukrainischen Rettungsdienstes neun Menschen verletzt worden. Am stärksten betroffen war der Bezirk Petscherskyj. Die Kiewer Militärverwaltung teilte mit, Russland habe von der Krim aus zwei ballistische Raketen auf die Hauptstadt abgefeuert. Die Geschosse seien über Kiew abgefangen worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erneuerte seinen Aufruf an westliche Länder, der Ukraine weitere Luftverteidigungssysteme zu liefern.

Quelle: https://www.tagesschau.de/newsticker/liveblog-ukraine-montag-350.html#Neun-Verletzte-bei-Raketenangriffen-auf-Kiew


Das Weltbild des gläubigen Tagesschau-Konsumenten wurde nicht erschüttert. In diesem ist fest verankert, dass die russischen Streitkräfte wahllos zivile Infrastruktur der Ukraine mit Raketen angreifen. Außerdem fängt die ukrainische Luftabwehr alle Raketen ab, benötigt aber trotzdem weitere Luftverteidigungssysteme. So weit, so gut — und so unlogisch.

Interessant sind zum Einen die zwei ballistischen Raketen, die von der Krim aus abgefeuert wurden, und zum Anderen die Information, dass alle Geschosse über Kiew abgefangen wurden. Wenn es so war, bedeutet dies, dass sich militärische Komponenten der ukrainischen Streitkräfte inmitten ziviler Infrastruktur tarnen. Sie fühlen sich dazu gezwungen, weil sie militärisch diese Systeme ohne zivile Schutzschilde nicht mehr absichern können. Nach dem Kriegsrecht legitimiert so etwas freilich den Gegner, diese Objekte anzugreifen. Die Frage steht natürlich im Raum, was Kiews Militär inzwischen tatsächlich noch abfängt. Nun der fehlende Part.

Die Quelle ist eine ukrainische, noch dazu eine von vor Ort, also in Kiew ansässig und mit kurzem Draht zu den Behörden. Und Russland-freundlich ist sie auch nicht so richtig. Es ist die Kyiv Post. Ihre Nachricht erschien am 25. März 2024 um 9:30 Uhr mitteleuropäischer Zeit, also etwa fünf Stunden vor jener der ARD-Tagesschau (siehe oben).


Sicherheitsdienst der Ukraine Ziel eines ballistischen Angriffs auf Kiew

von Alisa Orlova

Quellen der Kyiv Post innerhalb des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) haben bestätigt, dass am Montag zwei ballistische Raketen von der russisch besetzten Krim in Richtung Kiew abgeschossen wurden und auf die Büros des SBU gerichtet waren. Heute, am 25. März, begeht die Ukraine den Tag des Sicherheitsdienstes der Ukraine. Nach Angaben der Kiewer Post waren die Raketen auf die Räumlichkeiten gerichtet, in denen sich hochrangige SBU-Beamte befinden.

Beide Raketen wurden nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen und erreichten ihr Ziel nicht. Am Montag, dem 25. März, ertönten im Zentrum von Kiew mehrere Explosionen, etwa 30 Sekunden nachdem die Luftschutzsirenen in der ukrainischen Hauptstadt ertönten [sic!], und die Behörden forderten die Einwohner auf, sich in Sicherheit zu bringen. Reporter der Kyiv Post zählten in verschiedenen Stadtteilen und angrenzenden Vororten zwei laute Explosionen, als sich die Raketen gegen 10:30 Uhr (08:30 UTC) Kiew näherten (a1).

Quelle: https://www.kyivpost.com/post/30030


30 Sekunden Vorwarnzeit, um sich in Sicherheit zu bringen, betrachte ich als eine äußerst sportliche Aufgabe. Doch waren Zivilisten nicht gefährdet und konnten sich deshalb die Übung sparen. Es sei denn, sie befanden sich an genau einem vakanten, einem zweckentfremdeten Ort! 30 Sekunden lässt aber auch darauf schließen, dass die anfliegenden Raketen verdammt schnell unterwegs waren, nämlich mit Hyperschallgeschwindigkeit. Solche Raketen schießt die ukrainische Luftabwehr tatsächlich ab? Wir dürfen zweifeln.

Der ukrainische Geheimdienst SBU ist ein nach dem Kriegsrecht absolut legitimes, keinesfalls ein ziviles Ziel. Schlicht und einfach deshalb, weil er ganz offiziell Krieg gegen Russland führt, und das auch auf russischem Territorium. Der Chef des SBU, Wassyl Maljuk, hat selbst offen darüber gesprochen, wie seine Organisation politisch motivierte Morde in Russland umsetzte und Anschläge auf russische zivile und militärische Infrastruktur unternahm und das auch weiterhin zu tun gedenkt (1, 2).

Der russische Angriff galt also eindeutig einem militärischen Ziel. War er erfolgreich? Die Kyiv Post berichtete von einer erfolgreichen Abwehr. Lässt sich das prüfen? Ich denke schon. Dafür möchte ich Ihnen vorab ein auf dieser Plattform schon mehrfach verwendetes Foto zeigen, welches eine NICHT erfolgreiche Abwehr bezeugt. Nicht erfolgreich in dem Sinne, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit große Fragmente einer Luftabwehrrakete eingeschlagen sind, ohne dass ein Sprengkopf detoniert ist (b1).

Damit zeigt sich ein weiteres, grundlegendes Problem, wenn Luftabwehrsysteme innerhalb großflächig bewohnter Gebiete platziert werden. Sie werden zu einer latenten Gefahr für die Bewohner. Die Kyiv Post hat ihrem Artikel ein Bild der angerichteten Zerstörungen im Falle des (temporären) SBU-Quartiers beigefügt. Das Schadensbild hier unterscheidet sich grundlegend von dem oben gezeigten. Ein zuvor mindestens dreistöckiges Haus wurde nämlich bis auf die Grundmauern abgetragen. Das schaffen Raketentrümmer nicht. Das schaffen nicht einmal die Sprengköpfe von Luftabwehrraketen. Weil sie ja für die Komplettzerstörung von Gebäuden auch nicht konzipiert sind (b2):

Andere ukrainische und natürlich auch die deutschen Medien haben verzichtet, darauf hinzuweisen, dass im Gebäudekomplex der Bojtschuk-Akademie für dekorative und angewandte Kunst und Design — und dort in einem Seitenflügel — eine temporäre Niederlassung des ukrainischen Geheimdienstes eingerichtet worden war (3 bis 5). Bei Google-Maps ist es der von der Hauptstraße aus gesehen (dort selbstredend noch intakte) Gebäudeteil rechts; siehe dazu:

() https://www.google.com/maps/search/Kyiv+Bojtschuk-Akademie/@50.4090797,30.5501969,125m/data=!3m1!1e3?entry=ttu

Genau dieser Flügel wurde von den Raketen getroffen — und nicht etwa von den Trümmern abgeschossener Raketen. Dafür wurde das Ziel auch viel zu präzise getroffen. Man sieht zudem, dass das Umfeld weitgehend unzerstört geblieben ist.

Die wahre Geschichte könnte also auch so lauten:

Russland hat am Morgen des 25. März 2024 einen erfolgreichen Raketenangriff auf einen temporär eingerichteten Stützpunkt des ukrainischen Geheimdienstes SBU durchgeführt.

Bitte bleiben Sie auch weiterhin schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen — insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors — kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden. Letzte Bearbeitung: 4. April 2024.

(a1) Übersetzung aus dem Englischen unter Zuhilfenahme von DeepL.com.

(1) 26.03.2024; Politnavigator; Anatoly Lapin; The head of the SBU chatted to the tribunal; https://www.politnavigator.net/en/glava-sbu-naboltal-na-tribunal.html

(2) 17.08.2023; T-Online; Martin Küper; Jetzt kann Putins Schwarzmeerflotte einpacken; https://www.t-online.de/nachrichten/ukraine/id_100225760/putins-schwarzmeerflotte-kann-einpacken-ukraine-kuendigt-offensive-an.html

(3) 25.03.2024; Ukraine Crisis media center; Wieder Russischer Angriff auf Kyjiw mit ballistischen Raketen; https://uacrisis.org/de/761

(4) 25.03.2024; Ukrainska Pravda; Valentyna Romanenko; Kyiv authorities post video showing aftermath of 25 March Russian missile attack on Ukraine’s capital: ten injured; https://www.pravda.com.ua/eng/news/2024/03/25/7448021/

(5) 25.03.2024; Der Spiegel; Russland überzieht Kiew mit neuem Raketenangriff – Wohnhaus beschädigt; https://www.spiegel.de/ausland/ukraine-krieg-russland-feuert-erneut-raketen-auf-kiew-wohnhaus-beschaedigt-a-0732fd08-8783-4e3c-bf50-a6d559640b59

(b1) 23.07.2023; ARD-Tagesschau; Odessa, Kirche, Rakete, Zerstörung; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-russland-angriff-odessa-102.html

(b2) Kiew, The State Emergency Center of Ukraine, Bojtschuk-Akademie für dekorative und angewandte Kunst und Design, SBU, Raketenangriff; 25.03.2024; Kyiv Post; Alisa Orlova; Security Service of Ukraine Target of Ballistic Attack on Kyiv – SBU; https://www.kyivpost.com/post/30030

(Titelbild) Kiew, Zentrale des ukrainischen Geheimdienstes SBU; Wikimedia; 02.09.2013; https://commons.wikimedia.org/wiki/File:%D0%91%D1%83%D0%B4%D0%B8%D0%BD%D0%BE%D0%BA_%D0%93%D1%83%D0%B1%D0%B5%D1%80%D0%BD%D1%81%D1%8C%D0%BA%D0%BE%D1%97_%D0%97%D0%B5%D0%BC%D1%81%D1%8C%D0%BA%D0%BE%D1%97_%D1%83%D0%BF%D1%80%D0%B0%D0%B2%D0%B8.JPG; Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Von Ped

3 Gedanken zu „Hilfestellung für „Qualitätsmedien““
  1. Man darf auch nicht immer so misstrauisch sein. Wenn die Junta in der Ukraine sagt, dass alle russischen Raketen abgefangen wurden, können wir das ruhig glauben. Schließlich würde Kiew das nicht behaupten, wenn es nicht wahr wäre.

    Die große Frage, die sich aber mit dieser Erkenntnis auftut, ist folgende: Wodurch wurden die Zerstörungen in der Ukraine denn dann verursacht? Die russischen Raketen können es schließlich nicht gewesen sein.

    Waren es vielleicht die Dänen? Oder am Ende gar die Deutschen, die die Ukraine während einer Übung zur Zerstörung der Krim-Brücke versehentlich mit Taurus-Raketen angegriffen haben???

    ARD, bitte recherchieren Sie!

  2. Dazu die entsprechende Meldung des Bericht des russischen Verteidigungsministeriums über den Verlauf der militärischen Sonderoperation vom 26. März 2024:
    .
    In den vergangenen 24 Stunden haben die Streitkräfte der Russischen Föderation mit see- und bodengestützten Präzisionswaffen und unbemannten Flugzeugen einen Gruppenangriff auf Entscheidungszentren, Objekte des ukrainischen Sicherheitsdienstes, Unternehmen der Rüstungsindustrie sowie Aufmarschgebiete ukrainischer nationalistischer Formationen und ausländischer Söldner durchgeführt. Alle Ziele wurden angegriffen. Das Ziel des Angriffs ist erreicht worden.
    .
    https://t.me/mod_russia_en/13006
    .
    So sachlich nüchtern kann das abseits von Propaganda tönen. Wir dürfen davon ausgehen, dass gerade im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf die Crocus City Hall die richtigen Gebäude „zurückgebaut“ wurden.

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