Im Iran Demokratie zu fordern, ist halt so viel einfacher, als vor der eigenen Haustür zu kehren.


Nachdem es im November und Dezember des vergangenen Jahres vorübergehend zu einer Thematisierung der Umstände um die Gefangenhaltung des Journalisten Julian Assange im Mainstream gekommen war, haben Politik und Medien sich rasch und dezent wieder davon zurückgezogen. Lieber solidarisiert man sich auf unehrliche Weise mit einer fiktiven und offensichtlich gesteuerten, vorgeblichen Demokratiebewegung im Iran.


Mein Respekt gilt um so mehr jenen Journalisten und Redakteuren, die diesen symbolhaften Abgesang auf den demokratischen Rechtsstaat versuchen, nicht gänzlich aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden zu lassen. Sie verhindern, dass Julian Assange totgeschwiegen wird, bevor er möglicherweise an den Folgen der Haft und der erlittenen Folter auch psychisch und physisch zugrunde geht.

Bei der ARD-Tagesschau ist Julian Assange aus der Berichterstattung seit dem 28. November 2019 komplett verschwunden (1,2). Wir können es auch anders ausdrücken: Die Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Medien lassen ihren Kollegen einfach im Stich. Sie reagieren sich lieber an realen oder vermeintlichen Defiziten in allen möglichen Staaten außerhalb der Wertegemeinschaft ab, statt den Skandal vor der Haustür auf die Agenda zu bringen.

Aber es gibt auch Lichtblicke. Beim Deutschlandfunk hat der Mainstream-Journalist Milosz Matuschek ein leidenschaftliches Plädoyer für den Wikileaks-Gründer gehalten. Am 13. Januar 2020 äußerte er unmissverständlich:

Der Fall Assange wird immer mehr zu einer grotesken Mischung aus Justiz- und Medienversagen. Sagen wir es, wie es ist: Wäre Julian Assange [ein] in einem Keller über Monate eingesperrter, gequälter Hund – wir hätten vermutlich längst einen Prozess gegen die Tierquäler, eine Verschärfung des Tierschutzgesetzes und „Donnerstage für Doggen“-Demos gesehen. Doch Assange ist – zu seinem Pech – leider ein Mensch. Und zwar einer, der sich bei Mächtigen nicht beliebt gemacht hat.“ (3)

Matuschek betonte in seinem Beitrag, dass es keinerlei Zweifel daran geben kann, dass der australische Journalist gefoltert und grundlegendster Menschenrechte beraubt wird, und das mitten in Großbritannien. Jenem Land, dessen Botschafter im Iran sich voller Leidenschaft mit der dortigen „Opposition“ solidarisiert (4,5), während er und seine Kollegen sich jedoch bei den Rechtsverletzungen im eigenen Land ganz, ganz still verhalten. So sieht der britische Kampf für Menschenrechte in der Realität aus. Matuschek setzte fort:

Dass es mit Assange eine Person trifft, die der Weltöffentlichkeit die Wahrheit über Verbrechen der Mächtigen präsentiert hat, macht das Ganze zu einer Tragödie; dass diese Hinrichtung auf Raten auch noch quasi öffentlich geschieht, ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Es ist, als wolle man Assange zeigen, dass Verbrechen nicht mal im Geheimen passieren müssen, um die Weltöffentlichkeit kalt zu lassen.“ (5)

Der Journalist meint, dass sich das politische Establishment der Wertegemeinschaft in der Illusion wiegt, mit dem Totschweigen um die Folter des Australiers, auch das Problem begraben zu können. Stattdessen wird schon zu dessen Lebzeiten ein Märtyrer geschaffen und schlaglichtartig aufgedeckt, dass wir uns auf dem Weg in eine Überwachungs- und Kontrollgesellschaft bewegen. In dieser wird die Transparenz der Massen vollständig und die der Mächtigen faktisch nicht vorhanden sein. Matuschek geht mit seinen Kollegen hart ins Gericht:

Die Bundesregierung, das Auswärtiges Amt, Kirchen, die meisten Journalisten- und Juristenverbände dagegen sind ein Totalausfall – ihr Schweigen ist nicht zu überhören und wird nachhallen. Von den Neujahrsansprachen oder Segnungen des Erdkreises durch staatliche oder kirchliche Repräsentanten ganz zu schweigen. Die Erinnerung an Assange soll jetzt schon ausgelöscht werden.“ (7)

Dass diese Tortur für den Gründer einer Investigativ-Plattform, die sich dafür einsetzt, dass Verbrechen der Mächtigen nicht ungesehen bleiben – was übrigens ein entscheidender Unterschied zur „Investigativ-Plattform“ Bellingcat ist, die immer korrekt das Lied der Mächtigen singt – auch noch in ein Auslieferungsverfahren eingebettet ist, setzt dem ganzen die Krone auf. Jeder Blinde mit Krückstock sieht das Offensichtliche. Es handelt sich beim Fall Assange um eine Verfolgung aus politischen Gründen, und machen wir uns doch nichts vor. Das war es seit der Farce um die Vergewaltigungsvorwürfe, die gegen den Journalisten im Jahre 2010 erhoben wurden. Wieder Matuschek:

Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet jedoch die Auslieferung in ein Land, das Folter praktiziert. Dass dies im Fall der USA geschieht, weiß die Menschheit spätestens seit Guantanamó und zwar: dank Assange. Er selbst hat die besten Gründe gegen seine Auslieferung an die USA schon vor Jahren auf Wikileaks veröffentlicht. Der Rechtsstaat kann sich ohne die sofortige Freilassung von Julian Assange jetzt nur noch weiter demontieren.“ (8)

Milosz Matuschek ist in das System der Leitmedien eingebettet. So schreibt er regelmäßig für die Neue Züricher Zeitung (NZZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Er betreibt ein eigenes, liberal charakterisiertes Magazin, namens „Schweizer Monat“ (9). Hüten wir uns also vor Pauschalisierungen, wenn es um Medienkritik geht. Damit würden wir nur das Trennende, dass von den Massenmedien als Ganzes ausgeht, auch von unserer Seite aus kultivieren. Wir benötigen aber Schnittmengen und im Beispiel Matuschek und seines Engagements im Falle Assange sehe ich eine Solche.

Am 24. Januar des Jahres wird es eine weitere Anhörung von Julian Assange vor Gericht geben. Bei der Anhörung im Dezember 2019 verzichteten Assanges Anwälte darauf, ihn persönlich vor Gericht erscheinen zu lassen. Das ist insofern völlig unverständlich, weil gerade die Isolation des Australiers eine der mächtigsten Komponenten der an ihm begangenen psychischen Folter darstellt. Außerdem ist über die Video-Zuschaltung der wahre körperliche Verfall des Menschen Assange für die Öffentlichkeit unsichtbar. Man muss sich deshalb auch die Frage stellen, in welcher Art und Weise die Anwälte in London für ihren Mandanten tätig sind (10).

Unabhängig davon, wird das Anwaltsteam in einer unglaublich dreisten, offenkundigen Art und Weise daran gehindert, auch nur annähernd normal mit seinem Klienten zu kommunizieren, um ihn und sich auf ein Verfahren vorzubereiten, dass diesen Namen – „Verfahren“ – nicht verdient. Jene, die dieses „Verfahren“ angestrengt haben und weitertreiben, machen sich kaum noch groß die Mühe, den Zweck zu verbergen. Ganz offen norden sie den Journalismus des Wertewestens auf dessen angedachte Freiheitsgrade ein. Das Rechtssystem Großbritanniens wird in einem Ausmaß vergewaltigt, um die politische Verfolgung eines Menschen in einem demokratischen Staat formal zu regeln, dass man es kaum fassen kann (11).

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam..


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.

(1) https://www.tagesschau.de/suche2.html?query=Assange&sort_by=date; abgerufen: 15.01.2020

(2) 28.11.2019; Antonius Kempmann, Elena Kuch, Reiko Pinkert, Martin Kaul; https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr/assange-ueberwachung-101.html

(3,6-8) 13.01.2020; Milosz Matuschek; https://www.deutschlandfunkkultur.de/inhaftierter-wikileaks-gruender-julian-assanges-hinrichtung.1005.de.html?dram:article_id=467578

(4) 14.01.2020; https://www.n-tv.de/politik/Teheran-droht-Botschafter-mit-Ausweisung-article21507125.html

(5) 13.01.2020; https://en.irna.ir/news/83632961/Iran-condemns-British-officials-immature-statements

(9) https://www.dtv.de/autor/milosz-matuschek-21391/; abgerufen: 15.01.2020

(10) 10.01.2020; https://www.change.org/p/verhindert-die-auslieferung-von-julian-assange-an-die-usa/u/25580540?cs_tk=AigptayoL7DwMVMTHF4AAXicyyvNyQEABF8BvBmvfQFIxh7-FV0fXBsd4nk%3D&utm_campaign=3aef2f0ffeef4371b7a665f05a295a54&utm_content=initial_v0_2_0&utm_medium=email&utm_source=petition_update&utm_term=cs

(11) 14.01.2020; https://deutsch.rt.com/kurzclips/96796-london-assange-protest-fuer-freilassung/

(Titelbild) Flagge USA, Zaun, Stacheldraht, Gefangenschaft; babawawa (Barbara Rosner, Pixabay); 17.06.2014; https://pixabay.com/de/photos/gef%C3%A4ngnis-haft-zaun-draht-370112/; Lizenz: Pixabay License

Von Ped

3 Gedanken zu „Vergessen? Julian Assange ist noch nicht tot“
  1. Lieber Ped, herzlichen Dank für Ihren Einsatz. Hüten wir uns vor Pauschalisierungen, Danke auch für diesen Hinweis. Ihre Kolumnen sind immer wieder ein Lichtblick in dieser Zeit. DANKE!

  2. Vielleicht ist es noch zu früh, das neue Magazin „multipolar“ in Deine Liste empfohlener blogs aufzunehmen. Es ist erst vorgestern gestartet, allerdings mit drei (auch) sehr guten Artikeln zu
    1) Julian Assange
    2) OPCW
    3) Maidan

    Mir scheint, die „Qualitätsmedien“ haben zunehmend Schwierigkeiten, ihre Nichtberichterstattung zu diesen Vorgängen aufrechtzuerhalten und bringen dazu jetzt – mit Ausnahme des Maidan – doch hin und wieder auch ermutigende Meldungen.

    Herzlich, achim

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