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Die Europäische Union als bürokratisches Monster innerhalb eines Elitenprojekts.


Der Neoliberalismus kam auf leisen Sohlen und im weißen Gewand. Das Gewand ist das der großen Worte – das von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. Dabei steckt hinter der Europäischen Union von Beginn an die Entwicklung eines in der Machtvertikale von oben aufzubauenden und zu verwaltenden Superstaates.


An den Beginn dieses Artikels sei ein Jahrzehnte altes Zitat des französischen Politikers Robert Schuman gestellt:

„Die Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind. Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, dass jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist.“ (1)

Inwieweit Schuman Ideologe oder Missbrauchter oder auch eine Mischung aus beidem war, lassen wir an dieser Stelle außen vor. Fakt ist, dass er eine von Macht getriebene Entscheidung in einen Mantel von Ethik und Moral hüllte, um der Bevölkerung ein Projekt, das niemals das ihre war, als scheinbar eben das zu verkaufen. Schuman setzte fort:

„Die Schaffung dieser mächtigen Produktionsgemeinschaft, die allen Ländern offen steht, die daran teilnehmen wollen, mit dem Zweck, allen Ländern, die sie umfasst, die notwendigen Grundstoffe für ihre industrielle Produktion zu gleichen Bedingungen zu liefern, wird die realen Fundamente zu ihrer wirtschaftlichen Vereinigung legen. Diese Produktion wird der gesamten Welt ohne Unterschied und Ausnahme zur Verfügung gestellt werden, um zur Hebung des Lebensstandards und zur Förderung der Werke des Friedens beizutragen. Europa wird dann mit vermehrten Mitteln die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils.“ (2)

Der Zitierte preist an dieser Stelle nichts anderes als das System, das Europa zuvor in zwei fürchterliche Kriege gestürzt hatte. Das für mich Frappierendste an dem Zitat ist jedoch, dass der koloniale Anspruch des europäischen Imperialismus – mit Frankreich an der Spitze – auf Afrika schon damals klar und deutlich postuliert, ja konsequent weiter geführt wurde. Und damals wie heute wurde es in eine verzerrende, lügende Sprache gepackt, im Zitat: „die Entwicklung des afrikanischen Erdteils“!

Das Zitat stammt aus einer Rede Robert Schumans vom 9. Mai 1950. Diese Rede wird heute (symbolisch) als die Geburtsurkunde der Europäischen Union bezeichnet. Schuman überlebte faszinierenderweise seit dem Kriegsende ein Dutzend Regierungen als Ministerpräsident, Finanz- und Außenminister Frankreichs.  1958 wurde er schließlich zum ersten Präsidenten der Europäischen Union gewählt (3). In seiner denkwürdigen Rede vernahm man des Weiteren:

„Die Ein- und Ausfuhr von Kohle und Stahl zwischen den Teilnehmerländern wird sofort von aller Zollpflicht befreit und darf nicht nach verschiedenen Frachttarifen behandelt werden. Nach und nach werden sich so die Bedingungen herausbilden, die dann von selbst die rationellste Verteilung der Produktion auf dem höchsten Leistungsniveau gewährleisten. Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell, das nach einer Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch einschränkende Praktiken die Aufrechterhaltung hoher Profite anstrebt, wird die geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der Produktion gewährleisten.“ (4)

Das Konzept ist verblüffend simpel – bis heute und es heißt: Kappung aller Hindernisse für einen grenzenlos „freien“ Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Doch um dieses Konzept (den tatsächlichen Inhalt) musste eine Verpackung (ein marktschreierisches, buntes manipulierendes Etikett), die den Menschen das Gefühl (!) vermittelte, dass dieses Konzept gut für uns alle, gut für die Gesellschaft ist. Das in gerade jener Zeit, in der Frankreich eine Reihe blutiger, kolonialer Feldzüge in Indochina und Nordafrika führte. Das sei erwähnt, um den Lesern das Groteske der wohlfeilen Worte bewusst zu machen. B-Geschichten gibt es, seit es Macht gibt – also seit Menschengedenken.

Immer waren es Vertreter der Wirtschaft, die die Politik veranlassten, die Strukturen der EU weiter zu formen. Die EU ist nie etwas anderes als ein Projekt des Geldes gewesen und die heutige Praxis zeigt das fortwährend. Natürlich muss man in der Lage sein, hinter die Fassade des Projekts zu schauen. Vor der ernüchternden Wirklichkeit ist nämlich ein gewaltiger Popanz aufgebaut, der uns Bürgern suggeriert, dass wir es gewesen wären, welche die europäische Einigung – in Form eben dieser Institution EU – gefordert und bewusst mitgetrieben hätten.

Das ist einfach nicht wahr.

Weil die EU ein Projekt von Wirtschafts- und Finanzeliten ist, so wie das auch für die Politik der Nationalstaaten, also der Mitglieder der EU (und natürlich auch darüber hinaus) gilt, sitzen an den entscheidenden Schalthebeln dieses supranationalen Gebildes Leute aus der Wirtschaft. Die EU wird organisiert und gesteuert von Konzernvertretern und von Bankern. Von diesen im wahrsten Sinne des Wortes beauftragte Politiker sowie ins Leben gerufene und finanzierte Organisationen wurden als neue Ebene eingezogen und lassen die monopolartigen Strukturen dahinter verschwimmen.

Es gibt keine unabhängigen Entscheider in der EU. Wir finden dort keine Menschen, die einer tatsächlichen Graswurzelbewegung entstammen und bodenständig geblieben sind. Menschen, die damit ihrem Gewissen und dem Auftrag ihrer Wähler folgen könnten. Auch kleine Unternehmer und tatsächlich von Wirtschaft und Politik unabhängige Organisationen haben im Moloch EU nichts zu melden. Dieses Gebilde ist genau dafür da, am großen Rad zu drehen. Kleinteiligkeit ist da nicht gewünscht und aufgrund der Struktur auch gar nicht anwendbar. Denn solche großen Strukturen ersticken auch in ihrem eigenen bürokratischen Sumpf, wobei sie zehntausenden Menschen ein recht einträgliches Auskommen bescheren. Die EU bedient also auch ohne Zweifel unseren Opportunismus.

Auf der ersten Seite und im ersten Abschnitt eines Grundsatzdokuments der Europäischen Kommission ist Folgendes zu lesen:

„Das Alleinstellungsmerkmal der EU ist, dass alle diese Staaten souverän und unabhängig bleiben, aber einige ihrer hoheitlichen Befugnisse in Bereichen bündeln, in denen eine Zusammenarbeit sinnvoll ist.“ (5)

Nur um anzudeuten, wie viel Schein in diesen wohlklingenden Sätzen steckt, die sich durch das ganze Dokument ziehen: Griechenland kann ein Lied davon singen, wie „souverän“ es noch als EU-Mitglied ist. Souverän ist der Beherrschende, nicht der Beherrschte. Bei den Beherrschten finden sich dann immer noch genug Opportunisten, die für den eigenen kleinen oder auch größeren Gewinn, das System der Herrschenden stützen. Auch das zeigt Griechenland deutlich.

Das oben erwähnte Papier gibt sich die Überschrift: „Die Europäische Union – Was sie ist und was sie tut“. Der ganz oben stehende Punkt ihres Tuns im Bereich Wirtschaft und Finanzen lautet:

„Förderung von Wachstum und Beschäftigung“ (6)

Wenn Sie diese Pille – selbstredend unterbewusst – akzeptiert und geschluckt haben, werden Sie alles Weitere aus der damit gebildeten Matrix begreifen und hinnehmen.

Dabei ist das Mantra vom (ewigen) Wachstum genauso irrsinnig, wie das von Beschäftigung. Doch alles andere ordnet sich diesem Irrsinn – das ist gelebte Praxis der EU-Politik – konsequent unter.

Mit solch einem Grundsatz ist für mich ein auf die Natur und die Menschen hier und anderswo ausgerichtetes Denken und Handeln schlicht unvereinbar. Das, was die menschliche Zivilisation mit Sicherheit an ihr selbstgemachtes Ende führen wird, ist auch noch als eherner Grundsatz festgeschrieben.

Ähnliches las ich in Grundsatzdokumenten der Vereinten Nationen, zum Beispiel in der Agenda 2030:

„Wir sind außerdem entschlossen, die Bedingungen für ein nachhaltiges, inklusives und dauerhaftes Wirtschaftswachstum, geteilten Wohlstand und menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Entwicklungsstufen und Kapazitäten der einzelnen Länder.“ (7)

Den Vereinten Nationen – ebenso wie die EU ein Elitenprojekt und eine supranationale Organisation – ist es ernst. Sie wiederholt ihre Agenda:

„Wir sehen eine Welt vor uns, in der jedes Land ein dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum genießt und es menschenwürdige Arbeit für alle gibt.“ (8)

17 mal taucht „nachhaltiges Wirtschaftswachstum“ im Dokument auf, bis hin zu konkreten Vorgaben wie das in allen (!) Staaten der Weltgemeinschaft umzusetzen ist (9). Denken wir immer wieder daran: So wie die Europäische Union sind auch die Vereinten Nationen ein Elitenprojekt. Volkes Wille hat bei der Gründung beider Organisationen keine Rolle gespielt. Beide haben sich den Kapitalismus als alternativlos zu eigen gemacht, weil das schließlich auch der konkrete Auftrag für sie war.

Wenn sich Politik an diese ehernen Grundsätze erzkapitalistischen Wirtschaftens hält, dann müssen solche Dinge zwangsläufig kommen:

Was denken Sie, liebe Leser, wie groß Ihr Einfluss auf Prozesse ist, die vom Räderwerk der EU angestoßen werden?

Wurden wir jemals wirklich gefragt? Oder wurden wir einfach nur informiert?

Die Rolle des Parlamentarismus in Nationalstaaten ist die einer Fassade, die uns die Illusion von Mitbestimmung verschafft. Je weiter wir in der Machtvertikale nach oben gehen, desto größer die Fassade, desto geringer unser politischer Einfluss. Was auf lokaler, kommunaler Ebene noch hinreichend funktionieren kann, wird spätestens im Bundestag zur Farce. Im supranationalen Gebilde der Europäischen Union wird es schlicht zum Witz.

Die Kampagne – so wie sie durch die EU vor deren Parlamentswahlen im Mai 2019 geführt wurde – ist daher auch in keiner Weise konkret. Sie spielt(e) nur noch mit emotional gefärbten Parolen, die man früher der Sparte „Es droht der Untergang des Abendlandes“ zuordnete. Heute muss das Gespenst des Populismus und „russischer Beeinflussung“ herhalten, um die Menschen vor den Karren des neoliberalen, kriegsstiftenden Projekts EU zu spannen. Dafür – nicht aber für eine wirkliche sachbezogene Diskussion zum Auftrag und praktischen Tun der EU – geben sich die tonangebenden Medien gern her (10).

Was bleibt?

Nicht, dass ich nun dazu auffordere, die Europäische Union zu bekämpfen. Doch lehne ich sie für mich – als Instrument politischer Teilhabe – schlicht ab. Die EU spaltet und normiert, ihre Agenda ist aggressiv über den Kontinent hinaus, sie trägt den Krieg in sich. Dabei hat sie den Namen Europa für sich gekapert. Sie spielt im Wortgebrauch mit Werten, um die Bevölkerung vor ihren Karren zu spannen und in der Praxis ist sie schlicht eine Wirtschaftsunion unter deutscher Führung. Die EU ist eine notwendige Institution, um den Irrsinn unserer Marktwirtschaft, der tatsächlich gelebten Ideologie, noch ein paar Jahrzehnte weitertreiben zu können.

Ein Projekt, dass dafür entwickelt und geformt wurde, wirtschaftliche Macht zu zementieren, auszubauen und das dafür ausgerüstet ist, diese Ziele mit den umfassenden Mitteln des Krieges zu erreichen, kann kein Projekt sein, mit dem ich mich in irgendeiner Art und Weise identifizieren will. Einem solchen Projekt werde ich auch nicht mit meiner Stimme seine weitere Existenz legitimieren. Europa aber ist viel, viel mehr, als das beschränkte und moralisch aufgepeppte Kapitalismus-Projekt, das sich mit dem Namen Europäische Union schmückt.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Die Erstveröffentlichung erfolgte am 23. Mai 2019 unter dem Titel Das Elitenprojekt bei den Freunden vom Rubikon, vielen Dank!

(1,2,4) https://www.robert-schuman.eu/en/declaration-of-9-may-1950/de; abgerufen: 18.5.2019

(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Schuman#Nachkriegszeit; abgerufen: 18.5.2019, 11:35 Uhr

(5-7) https://hla21.de/wp-content/uploads/2016/12/NAX_2030-AgendafuerNachhaltigeEntwicklung150918-1.pdf; S. 3, S. 4, S. 21; abgerufen: 18.5.2019

(8) Grundsatzpapier der Europäischen Kommission; https://publications.europa.eu/de/publication-detail/-/publication/715cfcc8-fa70-11e7-b8f5-01aa75ed71a1; 2018; ISBN 978-92-79-63384-3; im Weiteren GPEUK; S. 7

(9) GPEUK; S. 14

(10) 8.3.2019, 16:59 Uhr; https://www.mdr.de/sachsen/leipzig/leipzig-leipzig-land/mdr-europakonferenz-leipzig-zweiter-tag-oettinger-100.html

(Titelbild) Europäisches Parlament, Straßburg, EU; Autor: cuongdv (Pixabay); 17.6.2013; https://pixabay.com/de/photos/des-europ%C3%A4ischen-parlaments-stra%C3%9Fburg-2224221/; Lizenz: Pixabay License

Von Ped

6 Gedanken zu „Elitenprojekt statt Volkes Willen – die EU“
  1. Ich wollte mich einfach mal für die vielen interessanten und wissenswerten Beiträge bedanken.
    Tolle Arbeit!


    Danke! VG, Ped

  2. Auch für mich, Ped, ist die EU als hochwidersprüchliches Projekt ´nordatlantischer´ Politakteure alles andere als ein „Instrument politischer Teilhabe“, wie Du ganz in meinem Sinne kritisierst.

    Allerdings wünsche ich mir für sämtliche Regionen der Welt Gemeinwesens-Verbünde, groß genug für eine Rückführung von Welthandel auf bloße Ergänzungen zu sinnvoll entwickelbaren Binnenmarkts-Leistungen (gegen den bereits überlangen Verschwendungs- & Zerstörungs-Irrwitz weltweit exponentiell zu steigernden Güter- & Menschen-Umschlags) und ein Ablassen von dem Wahn, man müsse dazu neue traditionelle Gewaltmonopole in erweitertem Maßstab schaffen…

    Solche Gemeinwesens-Verbünde wünsche ich mir in Richtung der hier etwas skizzierten Struktur:
    http://buergerbeteiligung-neu-etablieren.de/0-XR-Board/FATALE%20STRUKTUREN%20ERSETZEN.html

  3. In Ergänzung: Wie die letzten 30 Jahre Neoliberalismus – Hartz4, Agenda 2010, Vermögenssteuerentfall, Kriegsbeteiligung, Autobahn-Maut-Schweinerei, Atombomben in der Eifel, … – beweisen, ist die sog. parlamentarische Demokratie tatsächlich eine Volksdummung. – Es ist egal, ob die neoliberal-korporatistische Einheiheitspartei CDU-CSU-FDP-SPD-Grüne-AfD-Kipping-Linke irgendwo REGIERT. —— Es H E R R S C H T weltweit ein mafiöses Geflecht von parasitären Psychopathen namens MIMBK (Militärisch-Industrieller-Medien-Banken-Komplex) – identisch mit den Protagonisten des neoliberalen und bald faschistischen Neo-Feudalismus -und es reichen ganz wenige Bücher, um diese Quintessenz anhand von tausenden Beispielen bestätigt zu sehen: Ganser – Illegale Kriege; Wernicke – Fassadendemokratie und tiefer Staat; Ploppa – Die Macher hinter den Kulissen; Naomi Klein – Die Schockstrategie; Fabian Scheidler – Das Ende der Megamaschine, Freisleben – Das Amerika-Syndikat, Mausfeld – Warum schweigen die Lämmer? Werner Rügemer – Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts … der geniale Drewermann, Mausfeld, Chomsky, Paul Craig Roberts, u.v.m. – https://www.westendverlag.de/kommentare/dissensmanagement-durch-zersetzung-und-spaltung-wie-sich-emanzipatorische-veraenderungsbeduerfnisse-neutralisieren-lassen/
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=49277&fbclid=IwAR0tPLlq8itOf56w8pxd_IJQinRXAgn69qcZ6LGbYsI8zBGObbavsqJneqk

  4. In dem Zusammenhang ein interessanter Text:

    INTERVIEW
    Stephan Schulmeister: »Wir müssen von den Neoliberalen lernen«
    Stephan Schulmeister über die Strategie, den Erfolg und die Überwindung des Neoliberalismus. Schulmeister ist Ökonom, er war von 1972 bis 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter beim österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO.
    https://www.blickpunkt-wiso.de/post/stephan-schulmeister-wir-muessen-von-den-neoliberalen-lernen–2304.html

    1. Interessant ist der Text insofern, dass er aus der eingeengten Kapitalismus-Perspektive sehr gut die Alternativlosigkeit des Neoliberalismus erklärt. Wie gesagt: durch die kapitalistische Brille. Wenn es um den kompletten Wiederaufbau kriegszerstörter Staaten geht, dann ist der Kapitalismus ein Selbstläufer. Doch wenn es gar nicht mehr um Bedürfnisse sondern nur noch um die Rendite geht – und dieser Weg ist quasi vorgezeichnet – dann kommt der Neoliberalismus ins Spiel, er schaufelt die Bedingungen für weiteres, selbstredend irrsinniges und selbstmörderisches Wachstum frei.

      Eine Lösung außerhalb des Kapitalismus mit seinen Mantras wie „Wettbewerb“ als „Antreiber“ von Gesellschaften sieht auch Stephan Schulmeister nicht. Damit wäre ja ein fundamentales Neubauen unserer geistigen Matrix verbunden. Wir müssten raus aus der Denke des Geldes als Maß für gesunde Gesellschaften.

      In Bretton Woods haben sich auch nicht verschiedene Denkweisen gegenübergestanden, bei der eine letztlich argumentativ unterlegen war. In Bretton Woods wurden die veränderten Machtverhältnisse ausgespielt und das Dollar-System ist bis heute – aus dieser Perspektive der herrschenden Macht betrachtet – ein absoluter Erfolg gewesen, mit all den schlimmen Symptomen. Den „freien Wettbewerb“ gibt es in Machtsystemen nicht, er ist schon im Begriff ein Widerspruch an sich.

      Dazu mal diese Artikelreihe sehr als Empfehlung (auch mit dem behandelten Problem negativer und positiver Freiheit nach Isaia Berlin):
      https://peds-ansichten.de/2019/01/die-psychologie-des-kapitalismus-1/

      VG, Ped

  5. Lieber Ped,
    zunächst mal bitte ich dich um eine Klarstellung. Nach dem dritten Zitateinschub Schumans, der mit (4) endet, beginnst du:
    „Das Konzept ist verblüffend simpel – bis heute und es heißt: Kappung aller Hindernisse für einen grenzenlos freien Verkehr von Waren und Dienstleistungen.“ So weit so richtig, und daß dies dann kein „freier“, sondern ein protegierter, kostenminimierter internationaler Verkehr von Waren und Diestleistungen seitens der eigentlichen Kontrollinstanz für die Bedingungen des Verkehrs von Waren und Dienstleistungen ist, beweist recht gut die Gründungsabsicht der EU als korrumpierbares Bereicherungsinstrument der Eliten und Großkonzerne, bestens dazu geeignet, alle anderen Absichten als das pure Scheffeln von Geld in allen Lebensbereichen zum Fundament menschlichen Handelns (sic!) zu machen.
    Danach folgt „Doch auf dieses Konzept – und das gilt heute in gleicher Weise – musste eine Marke, die den Menschen das Gefühl (!) vermittelte, dass ein solches Konzept gut für uns alle, gut für die Gesellschaft ist.“
    Das hapert, und jeder der schreibt kennt solche Satzgestrüppe, die durch Änderungen entstehen.
    „Doch zur Umsetzung – und das gilt heute in gleicher Weise – musste den Menschen das Gefühl (!) vermittelt werden, dass ein solches Konzept gut für uns alle, gut für die Gesellschaft ist.“
    War dies in etwa deine beabsichtigte Aussage? Ich mag diesen Satz, denn er zeigt doch (denke ich), wie sehr ständig unsere Emotionen getriggert werden, damit wir den existierenden Klassenunfug den Demagogen auch weiterhin abkaufen.
    Wenn ich was satt habe bei Reportagen, dann ist es diese Gefühlsmusik im Hintergrund, während mir irgendein schwer zu überprüfender Einzelfall einer Verarmung hingeklimpert wird. Als ob die materielle Zwickmühle nicht bereits der Normalfall geworden wäre!
    Ich hasse die dahinter stehende Lüge. Diese „Rufen Sie uns an, wir helfen Ihnen“-Formate sind eh kümmerlich und gefährlich. Daß die TV-Medien dort so eine Art Reparaturbetrieb der Entgleisungen des Systems sein könnten, als wären sie Captain Marvel, während sie die Angelegenheiten in Not Geratener vor den Augen Wildfremder entblößen, um dann wundersame Erlösung eines Einzelschicksals zu betreiben in einem abgekarteten Spiel mit gezinkten Karten, und so nach Aufklärung strebende Zuschauer wider deren Willen zu billigen Voyeuren zu degradieren, erweckt in mir den innigen Wunsch, sie mögen doch bitte allesamt zur Hölle fahren.
    Ob die EU gescheitert ist, das diskutiere ich nicht mal mehr – das Scheitern der EU ist einfach zu offensichtlich. Machtinstrumente zur Bereicherung einiger weniger auf Kosten vieler verdienen nur das Scheitern. Ich bezweifle, daß das Wählen irgendwelcher funktioneller Handpuppen „Demokratie“ genannt werden kann-es ist doch eher ein Zweckverband. Es ist sogar ein Zweckverband, dessen Intention der ständigen Bereicherung nur zur Selbstvernichtung führen kann. Der Kollaps ist systemimmanent, und hat bereits begonnen.
    Ich sage dies aus Enttäuschung, denn ich habe einige gelungene Konzepte eliminiert gesehen, die die jetzige Misere hätten verhindern helfen können. Was ich wirklich obszön finde, ist diese grenzenlose Freiheitslüge-wo doch die Transformation der Arbeiter in Arbeitssklaven bereits erfolgt. In Armut von einem Monatslohn zum nächsten das Einkommen vollständig für Kost, Logis und Kleider aus Sklavenhaltungsproduktion in bis zum Hungertod ausgeplünderten Shithole Countries aufzuwenden, plus das TV-Gerät für diese absurde Berieselung, sowie dem zur Totalüberwachung des Konsumverhaltens dienenden mobilen Internet, in Entwicklung die bei Ungehorsam jederzeit sperrbare, exklusive Geldkarte – ich muß jetzt wirklich kotzen gehen, so erbärmlich erscheint die Absicht, mir diese Sickergrube als Zivilisation verkaufen zu wollen.

    Manchmal wundere ich mich, wie alles einfach sturheil weitergeht. Wie erbärmlich das Vorankommen geworden ist, denn es wurde monetarisiert. Wie furchtbar dieser Wohlstand andernorts bezahlt wurde mit kompletter Vernichtung der einstigen Lebensräume. Zuzugeben, völlig, daß heißt in jeglicher Hinsicht und in sämtlichen Lebens-, Arbeits-, Kultur- und Sozialbereichen gescheitert zu sein, wäre eine überlebenswichtige Erkenntnis, die durchaus überparteiliche Wahrheit ist. Guckt euch doch mal um-was sind denn noch funktionierende Gesellschaftsanteile? Ich seh da gar nichts, nur das komplette Scheitern, den kompletten menschlichen Offenbarungseid-in vollkommen stringenter historischer Tradition. Das menschliche Wirken ist ein zutiefst von perversen Greueltaten bestimmter, kaum mehr auszulotender Abfallhaufen. Diese Balgerei um in sinnloser Sklaverei aus der Erde gewühlten Rohstoffe, diese zusammengekleisterten Blut und Tränen, aus denen irgendwie Hochglanzkatalogprodukte entstehen, in denen der Verfallspunkt bereits eingebaut wird. So kann man nicht leben, so kann man nur sterben.

    Schade drum-mir hat es gefallen zu denken, Schlüsse zu ziehen, Erkenntnisse zu gewinnen, Unfug zu verwerfen-bis ich feststellen musste, daß der Unfug alltäglicher Irrwitz ist. Mit 14 war mein spontaner Impuls, mich diesem Wahn nicht, in keinster Weise anzuschließen. Da wird eh nichts daraus werden, war mein Resumée. Am schlimmsten daran ist jetzt, 40 Jahre später nicht die selbstironische Erkenntnis, umsonst gelebt zu haben. Es ist die furchtbare Erkenntnis, daß alle Mitarbeiter dazu verwendet wurden, einen unsäglichen, unmenschlichen Moloch zu zementieren, bis sie der Burnout endlich einmal lahmlegen möge. Es ist das Wissen, daß ich recht hatte, mich dem komplett zu verweigern-und daß diese Verweigerung sinnlos war.

    So sinnlos wie ein SUV, mit dem der Bariton einer dieser unsäglichen romantischen Opern (Pucchini, Verdi, Wagner-ganz egal) zum Schauspielhaus kutschiert wird, damit er dort dem zeitgemäßen Unfug dienend im ranzigen Unterhemd auf der Bühne fläzt, bis daß der letzte Abonnent endlich sein durch Leiharbeit subventioniertes Ticket zerreißt, und geht.

    So long, lieber Gruß
    Ulrich


    Den Sie irritierenden Passus habe ich etwas umgebaut. Vielleicht kommt jetzt die dahinter stehende Intention etwas klarer herüber.
    Herzlich, Ped

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