An dessen Seite klärt sie uns darüber auf, wie wir zu denken haben – ein Grund zum Abschalten.


Der Studioleiter und Korrespondent des SWR, Daniel Hechler, berichtet regelmäßig aus Kairo über Syrien. Es scheint, dass seine Art und Weise der Berichterstattung gut ankommt in den Redaktionsstuben der ARD-Tagesschau. Hat es damit zu tun, dass er in vorbildlicher Weise Schwarz-Weiß-Muster in seinem Wording pflegt und präzise die vorgegebenen Narrative bedient? Dass Daniel Hechlers Anspruch an Aufklärung in seiner braven Wiederholung von Lügen untergeht, lässt höchstens kritischen Tagesschau-Sehern den Kamm schwellen.


Die ARD-Tagesschau stellt eines der angeblichen Merkmale Daniel Hechlers so heraus:

„Recherchieren, aufdecken, aufklären, das ist in unterschiedlichen Funktionen und Formaten zu seiner Leidenschaft geworden.“ (1)

Das sind gute Voraussetzungen, um das Geschehen im Nahen und Mittleren Osten erfassen und vermitteln zu können. Nützen tut es natürlich nichts, wenn man nur zielorientiert forscht, um die geforderten fremden und eigenen Erwartungen über ein festgefügtes Bild im Kopf zu bestätigen. Genau das war mir bei Daniel Hechler bereits im Dezember des Vorjahres aufgefallen, sodann in einem Bericht über die Situation in Idlib im Januar 2019 und schließlich vor kurzem bei einer Reportage über die Vorgänge in Nordsyrien.

Vor nicht allzu geraumer Zeit schrieb ich auch an den Chefredakteur der ARD-Tagesschau, Kai Gniffke, um zu erfahren, ob sich die Redaktion dort in irgendeiner Weise bewusst ist, dass sie permanent Methoden aus dem Werkzeugkasten der Propaganda anwendet und so ihr Publikum gezielt manipuliert. Dabei ging es nicht vordergründig um Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen zu einem ganz bestimmten Thema, sondern um sehr allgemeine, nicht desto trotz sehr wirkungsvolle psychologische Methoden. Sie beinhalten ein Wording, dass in den Menschen Feindbilder pflegt. Gerade diese Methoden wendet der „Aufklärer“ Hechler munter in seinen Artikeln an.

Lebt Daniel Hechler eine allgemein geforderte Sorgfalt in der Wortwahl oder ist es nur unterbewusste Verwendung indoktrinierter Begriffe, die dazu dienen, passende Bilder in den Köpfen der Menschen fest zu verankern? Wir können annehmen, dass es sich um eine Mischung aus beiden handelt. Herrn Hechler wurde über Jahre die Birne durch permanente Erduldung einer medial erschaffenen und ideologisch verankerten Realität weichgeklopft und nun tut er das mit den unseren:


Rebellenhochburg, Rebellen, Rebellenregion, Assads Truppen, moderate Milizen, Einmarsch syrischer Truppen


Vor allem Letzteres ist hinterhältig, denn es wird nicht sofort klar, was damit bezweckt wird: „Einmarsch syrischer Truppen“ stärkt eine Emotion in uns, dass es sich um Eroberer, um Interventionisten handelt. Die Interventionisten sitzen aber in Idlib. Man kann vor Ort sein und trotzdem Dinge ausblenden – Daniel Hechler beweist es uns.

Das Problem, Dinge und Prozesse einseitig zu betrachten, rührt aus der Verstrickung des Betrachters mit den Parteien her. Weil er emotional eine Seite im Konflikt eingenommen hat, kann er gar nicht anders, als von dieser Warte aus zu interpretieren. Die Berichte Daniel Hechlers aus Idlib und Nordsyrien – bei der ARD-Tagesschau im Januar und Februar 2019 gesendet – zeigen das sehr gut. Der Korrespondent war jeweils direkt vor Ort.

Das dies so war, hat noch einen ziemlich bemerkenswerten Hintergrund. Grundsätzlich begrüße ich es erstens sehr, wenn Journalisten sich aus bequemen Hotelzimmern herausbewegen und eine beschwerliche und durchaus gefährliche Reise in Konfliktregionen unternehmen. Das hat Daniel Hechler getan.

Was mich zudem allerdings brennend interessiert, ist, WIE Daniel Hechler in Idlib eingereist ist. Idlib ist ein Teil syrischen Staatsgebietes und nur die syrischen Behörden sind autorisiert, Herr Hechler diese Einreise in syrisches Staatsgebiet zu gestatten. Ist das so geschehen?

Sollte er mit einem Visum der syrischen Regierung die Gebiete bereist haben, wird mich das sehr erfreuen. Doch befürchte ich, dass er über die Türkei einreiste. Das aber ist eine Verletzung von Souveränität, eine Missachtung beziehungsweise Beugung von Rechtsstaatlichkeit. Ist das der ARD in ihrer ideologischen Verstrickung überhaupt bewusst? Um hier sicher zu gehen, habe ich am 23. Februar 2019 erneut an den ARD-Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke geschrieben:


DD, 23.2.2019

Danke, Herr Gniffke, für Ihre persönliche Antwort [auf die Antwort in einem früheren Schreiben, die ich in einem anderen Artikel thematisieren werde].

Auf Ihre Zeilen werde ich in einem weiteren Schreiben noch näher eingehen. Bitte berücksichtigen Sie, dass ich die Korrespondenz für die Öffentlichkeit auch weiterhin transparent gestalte.

An dieser Stelle bitte ich nur um eine kurze, knappe Information.

Die Tagesschau brachte zwischenzeitlich zwei Berichte ihres Kairo-Korrespondenten Daniel Hechler aus Syrien.

Beide Berichte lassen mich schlussfolgern, dass Daniel Hechler direkt vor Ort war: einmal in Idlib in Nordwestsyrien im Januar und dann im Februar in den Kurdengebieten in Nordsyrien. Hier die beiden Berichte im Internet:

https://www.tagesschau.de/ausland/idlib-167.html

https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-sdf-101.html

Meine Fragen dazu lauten: Auf welche Art und Weise reiste Daniel Hechler in Syrien ein? Besaß er ein gültiges Visum der syrischen Regierung?

Danke im voraus für Ihre Antwort.

Freundliche Grüße, […]


Die Antwort auf diese sicher nicht allzu schwer zu beantwortende Anfrage ist bisher ausgegeblieben.

Je öfter ich nun die beiden hier behandelten Artikel des Daniel Hechler las, desto klarer wurde mir, dass ihm sein Wording überhaupt nicht bewusst ist. Es ist ihm tatsächlich in Fleisch und Blut übergegangen, er wird – im Sinne der Meinungsmacht, nach der Assad böse und wir gut sind – immer das „Richtige“ schreiben.

„Assad würde die Provinz lieber heute als morgen zurückerobern. So wie andere Landesteile schon zuvor. Der Preis dafür allerdings dürfte Zerstörung, millionenfaches Leid und Tod sein.“ (2)

So etwas geht durch bei der Tagesschau. Dabei ist es völliger Quatsch. Assad erobert überhaupt nichts. Er ist Repräsentant eines souveränen UN-Mitgliedsstaates. Was hier vermittelt wird, ist reine und unreflektierte Emotionalität – oder kürzer gesagt ein Feindbild. Da Herr Hechler so ergriffen vom kommenden Leid durch „Assads Truppen“ ist, interessiert es mich schon, wie ergriffen ihn das millionenfache Leid der Syrer macht, welches durch die staatskriminellen Sanktionen der EU-Staaten verursacht wurde. Die Ergriffenheit darob ist im Großteil der deutschen Bevölkerung eh stark limitiert. Doch wenn vor „kriminellen Migranten“ gewarnt wird, lassen sie sich ganz nach Bedarf aus der Lethargie aufschrecken.

Für die ARD interviewte Daniel Hechler auch den Ministerpräsidenten Idlibs.

Haben Sie es verinnerlicht, was dort steht?

Idlib hat einen Ministerpräsidenten und der ARD-Korrespondent gibt das unkommentiert an das Publikum weiter?

Na gut, nicht ganz: Korrekterweise erwähnte Hechler, dass das Oberhaupt der Provinz Idlib sich tatsächlich Ministerpräsident nennt und sich der von al-Qaida abstammenden Dschihadisten-Miliz HTS (Hayat Thahir al-Sham) verbunden fühlt. Der Dschihadisten-Freund bedauerte, dass die deutsche Hilfe für Idlib nicht mehr wie gewohnt fließt. Im Folgenden dürfen Sie erleben, wie sich innere Spaltung nach außen Raum zur Artikulation verschafft. Herr Hechler kommentierte und zitierte unseren  dschihadistischen Ministerpräsidenten – ein anderer als von HTS genehmigt, würde keine Stunde im Amt verbleiben:

„Nach der Machtübernahme der HTS stellten westliche Länder wie Deutschland ihre Finanzhilfen für die Provinz ein. Das traf auch Kliniken, Schulen, Bauernhöfe hart. […] Idlibs Ministerpräsident Fawas Alhilal kritisiert das im ARD-Interview scharf. Er steht der HTS nahe. Sanktionen würden die Falschen treffen und eine neue Flüchtlingswelle auslösen, meint er: „Je größer das Leid der Bürger, die Lebensmittelknappheit, desto mehr werden ins Ausland fliehen. Menschen werden immer Sicherheit suchen, Orte, an denen es Brot gibt.„“ (3, Hervorhebung PA)

War da nicht etwas? Wie jetzt: Sanktionen treffen die Falschen? Schau einer an. Wer sind denn nun „die Falschen“? Muss man da nicht helfen?

Dazu biete ich dem Leser eine Parallele an und die heißt Venezuela.

In beiden Fällen – in Idlib praktiziert und in Venezuela angestrebt – wird mit großer emotionaler Geste Hilfe für die Menschen angemahnt. In beiden Fällen werden die Menschen der betroffenen Staaten zur gleichen Zeit durch eben diese „Anbieter von Hilfe“ mittels der Massenvernichtungswaffe Sanktionen auf das Härteste drangsaliert. In beiden Fällen werden die Sanktionen – ein unverkennbares Mittel der Kriegsführung – in der Berichterstattung der Massenmedien unterrepräsentiert oder gar verschwiegen, die angebliche Hilfe aber um so mehr thematisiert. Der ARD-Korrespondent Daniel Hechler schwimmt – ohne im geringsten anzuecken – auf dieser Welle mit.

Um auf Daniel Hechlers Reise nach Syrien zurückzukommen: Diese Reise – so sie ohne gültiges syrisches Visum erfolgte – war genauso illegal wie die „Hilfen“ für Idlib. Übrigens kann man durchaus legal in Syrien einreisen – so wie es eine Abordnung der deutschen Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Frühjahr 2018 tat. Man kann sogar mit dortigen Politikern sprechen, um sich eine andere Sicht zu verschaffen. Für so etwas ist Herr Hechler aber nicht zu haben. Was ein echter Parteisoldat ist, zeigte er überzeugend:


Bildausschnitt ARD-Tagesschau, Bericht von Daniel Hechler, 10.3.2018 (b1)

Wer hier die Ethik unabhängigen Journalismus erkennt, muss ganz besondere Gaben haben. Ich bezeichne es als Schmierenjournalismus.

Das Tendenziöse in Hechlers Berichten ist zudem das Suggerieren eines vermeintlichen Flüchtlingsstroms aus „Assads Gebieten“. Das ist gelogen. Nach wie vor fliehen die Menschen mehrheitlich AUS jenen von Islamisten beherrschten Gebieten, in denen sich diese Extremisten ganz im Stile von Warlords ihre eigenen Reiche zusammenschmieden und sich dabei „Hilfslieferungen“ aus dem Ausland bedienen. IN das Gebiet unter Kontrolle der syrischen Regierung kehren seit Monaten zehntausende Menschen – auch aus dem Ausland zurück (4). 

Der Korrespondent verband sein Wording trotzdem mit handfesten Lügen. Gefangen in einer gewissen „Vorbildung“ und den Emotionen vor Ort ging ihm völlig die Distanzierung abhanden. Das sieht dann so aus:


Bildausschnitt ARD-Tagesschau, Bericht von Daniel Hechler, 20.2.2019 (b2)

Es ist ein Armutszeugnis erster Güte, wenn ein „Spezialist“ für den Nahen Osten, die Lüge verbreiten darf, dass die Kurden 2012 „Assads Truppen“ vertrieben hätten. Das Gute und Böse verdeutlicht sich in Herrn Hechlers Welt durch die tapferen (kurdischen) Ritter im Kampf gegen die finsteren Horden des Schlächters Assad. Ist sie nicht wunderbar einfach gestrickt, unsere Welt? Und wir sind natürlich die Guten.


So jedoch bereitet man den Schauplatz für die nächsten Kriege vor. Es kann einem übel werden.

Das Armutszeugnis ist aber der Tagesschau-Redaktion gleichermaßen auszustellen, die das dann an ein Millionenpublikum weiterreichte. Der Leser sei an dieser Stelle aufgerufen, einmal selbst zu recherchieren, was in den Jahren 2011 und 2012 in den Kurdengebieten geschah (a1). Fakt ist, dass durch das Wording plus dem Framing die Menschen hierzulande keinen blassen Schimmer über diese spezielle syrische Geschichte haben.

Framing ist übrigens das für ein unbedingt lebendig zu haltendes Narrativ passende Zurechtschneiden vergangener Ereignisse in den Fakten und im zeitlichen Rahmen. Die Herauslösung aus dem Kontext und das Zusammenpappen der Fragmente macht die guten Ritter und die finsteren Horden möglich. Bei der ARD-Tagesschau bewegen wir uns regelmäßig im Märchenwald – und viel zu viele glauben noch immer die Märchen. In diesem völlig verzerrten Bild der Wirklichkeit schafft es Hechler doch dann tatsächlich auch noch, Russland im Gut-Böse-Muster zu verwursten:

„Unter den Augen Russlands und der Türkei ist nun ein Kleinstaat auf Basis der Scharia entstanden. Hunderte Oppositionelle sollen inhaftiert worden sein.“ (5)

So viel durch Indoktrination gespeiste Inkompetenz ist wahrlich schwer zu toppen. Ein durch den Westen und seine arabischen Verbündeten bis an die Zähne bewaffnete islamistische Dschihadisten-Miliz hat durch ihren vom Westen sanktionierten Terror staatliche Strukturen zerstört und einen von fremder Hilfe abhängigen Pseudo-Staat errichtet. Und Daniel Hechler vermittelt uns subtil, denn im Wortlaut hat er es ja nicht gesagt: Der Russe ist schuld.

Zusammenfassend erscheint es mir, dass Daniel Hechler gezielt in die Gebiete der „Opposition“ und eines in der Ferne lockenden kurdischen Separatstaates entsandt wurde, um die Politik zur Spaltung Syriens medial anzufüttern und gleichzeitig den legitimen Anspruch Syriens zur Wiederherstellung seiner vollständigen Souveränität und Integrität zu diskreditieren. Wir können konstatieren: Der ARD-Korrespondent Herr Hechler hat die geforderte Dienstleistung in vorzüglicher Qualität erbracht. Nur hatte die nichts mit objektiver, unparteiischer und somit neutraler Berichterstattung zu tun, denn es war eine Dienstleistung für die politische Meinungshoheit.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Anmerkungen

(a1) Unabhängig von etwaigen Leser-Recherchen wird es auf diesem Blog nochmals einen Beitrag zu den syrisch-kurdischen Ereignissen in den Jahren 2011 bis 2014 geben.

(Allgemein) Dieser Text von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen. Letzte Aktualisierung: 28.2.2019.

Quellen

(1) http://korrespondenten.tagesschau.de/author/dhechler/; abgerufen: 23.2.2019

(2-4) Daniel Hechler; 30.1.2019; https://www.tagesschau.de/ausland/idlib-167.html; abgerufen: 24.2.2019

(4) 22.2.2019; https://syria.mil.ru/en/index/syria/news/more.htm?id=12218593@egNews

(5) Daniel Hechler; 20.2.2019; https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-sdf-101.html; abgerufen: 24.2.2019

(b1) Bildschirmausschnitt, ARD-Tagesschau; Bericht von Daniel Hechler; 10.3.2018; https://www.tagesschau.de/ausland/syrien-afd-101.html

(Titelbild) Fernbedienung, Fernseher; Autor: PublicDomainPictures (Pixabay); 16.11.2011; https://pixabay.com/de/schwarz-button-kommunikation-21166/; Lizenz: Pixabay License

Von Ped

3 Gedanken zu „Tagesschau als Dienstleister der Meinungsmacht“
  1. Ein Satz von Hechler wie:
    „Die Kurden dominieren, aber auch Araber, Christen, Jesiden gehören zu den SDF-Streitkräften.“
    zeigt auch ganz klar, dass es nicht viel an Verständnis für die Region gibt, jenseits der Schlagworte. Während die „Araber“ und „Kurden“ ethnische (und sprachliche) Kategorien sind, handelt es sich bei den „Christen“ und „Jesiden“ um die Religionszugehörigkeit, wobei die Jesiden als kleine, lokal begrenzte Religionsgemeinschaft ethnisch zu den Kurden gehören. Und die „Christen“ dürften wiederum ethnisch ziemlich bunt aufgeteilt sein: Armenier, Araber, Kurden, Syriaken …
    Klingt also wie: „in Dresden leben Deutsche, Sorben und Katholiken, es soll sogar SPD-Wähler geben“.

  2. Vielleicht kennt der eine oder andere hier im Forum die Krautreporter, ein Medienmagazin aus Berlin. Der Träger des Magazins ist eine Crowd-finanzierte Genossenschaft. Damals in der Gründungsphase habe ich Anteile an der Genossenschaft erworben, weil ich die Idee eines finanziell unabhängigen Medienmagazins unterstützen wollte und es mir sinnvoll erschien, ein paar jungen Menschen einen Einstieg in den Journalismus jenseits der Systemmedien zu ermöglichen.

    Seit 2014 ist das Magazin nun online. Über die Jahre beobachte ich einen schleichenden Wandel hin zu einen Systemkonformismus. Aktuelles Beispiel ist eine grundsätzlich anerkennenswerte Kampagne des Redaktionsmitglieds Christian Gesellmann. Er will in Zusammenarbeit mit seiner Leserschaft fünf Fragen herausdestillieren, die er dann den Parteien und Kandidaten zur anstehenden Europawahl stellen will. Er hat seine Leser aufgerufen, ihm Vorschläge für Fragen zuzusenden. Diese hat er dann gebündelt und zunächst in 15 Fragen konsolidiert. Aktuell läuft die Abstimmung, welche fünf Fragen das Rennen machen.

    Ich hatte mich an der Umfrage beteiligt und vorgeschlagen, zu fragen, ob und wann man die EU zu einer echten Demokratie umgestalten will. Konkret hatte ich beispielsweise nach einem Initiativrecht für das Europaparlament gefragt.

    Meine Frage war nicht unter den 15 Kandidaten. Daraufhin habe ich mir die rund 400 eingegangenen Fragen, die Herr Gesellmann veröffentlicht hat, angesehen und herausgefunden, dass rund 10% der Fragen in dieselbe Richtung zielten. Aus der Tatsache, dass eine 10%-Frage es nicht unter die bestplatzierten 15 Fragen geschafft hat, habe ich abgeleitet, dass Herr Gesellmann auf dem Auge der »Systemfrage“ blind ist. Dies habe ich im Forum zu der Umfrage zum Ausdruck gebracht. Herr Gesellmann hat mir im Kern wie folgt geantwortet: »Im Übrigen teile ich Deine Aussage nicht, dass der ‚Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess in der EU nicht den demokratischen Mindeststandards entspricht‘. Es gibt hier ohne Frage große Mängel. Aber so groß, dass man den Institutionen der EU die Legitimität aberkennt, sind sie meiner Meinung nach nicht. Ich sehe auch nicht, wo das helfen soll.«

    Wer so redet, ist meiner Einschätzung nach im System angekommen. Die Krautreporter sind in meinen Augen mittlerweile so etwas wie die »Jugendredaktion der Zeit« geworden. Wie konnte es nur soweit kommen? Dieser Frage wissenschaftlich auf den Grund zu gehen, wäre meiner Meinung nach eine Masterarbeit wert. Ich stelle mir das in etwa so vor, wie es Noam Chomsky in seinem Buch »Herstellung von Zustimmung« beschrieben hat. Nach dieser Erfahrung würde ich nur dann nochmal bei einer solchen Gründung mitmachen, wenn ich sähe, dass tief in der Satzung der Genossenschaft Mechanismen eingebaut sind, die einem sich schleichenden breitmachenden Systemkonformismus wirksam entgegenwirken. Ob das aber auf Dauer helfen würde, glaube ich zwar nicht, es würde den Prozess aber vermutlich erheblich verlangsamen.

    Die Redaktion der Krautreporter ist trotz der genossenschaftlichen Trägerschaft bereits nach fünf Jahren auf den Hund gekommen. Wie stark muss erst der Konformitätsdruck in den gereiften und offen von den Parteien unterwanderten Staatsmedien sein!

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