So sehr auch die Verantwortung für den nicht enden wollenden Krieg in Syrien bei den jihadistischen Terrormilizen und ihren Ziehvätern aus den arabischen Ölmonarchien sowie den großen westlichen Demokratien festgemacht werden kann, so sehr sind es auch die jahrzehntelangen inneren Probleme der Gesellschaft dort, die das Land verletzlich machten. Dass diese Probleme bis heute nicht gelöst wurden, hat vielfältige Ursachen. Wie dem auch sei: Syrien bezahlt dafür einen extrem hohen Preis.
Die syrischen Probleme sollten uns nicht überheblich werden lassen; nach dem Motto „Sind ja selbst schuld“. Erstens ist das Ausnutzen der Schwäche anderer eine besonders hässliche Seite westlicher Politik, um die eigenen Ansprüche durchsetzen zu können. Und außerdem kennen wir die Phänomene Opportunismus, Vetternwirtschaft und Korruption auch in Deutschland sehr gut. Wenn sich hunderte Berater deutscher Großunternehmen in Berliner Regierungs-Institutionen die Klinke in die Hand geben, um private Interessen in der Politik durchzusetzen, wird das somit mehr als deutlich.
Keiner in Deutschland sollte sich daher in der Illusion wiegen, Verhältnisse wie in Syrien wären hier undenkbar. Denn alle Zutaten unsere Gesellschaft zu destabilisieren sind hier ebenso vorhanden. So gesehen sind die komplexen und oft blutigen wie zerstörerischen Folgen des Auseinanderbrechens anderer Systeme eigentlich ein Aufruf, mal das eigene Land und seine politisch-ideologische Landschaft prüfend zu betrachten. Doch mit kritischer Reflexion ist es bei uns leider nicht so gut bestellt …
Die Verteufelung der syrischen Gesellschaft und ihrer politischen Führer ist jedoch genauso wenig hilfreich wie eine Heiligsprechung derselben. Sie hilft jenen nicht und sie hilft uns nicht. Gerade deshalb bin ich auch für Informationen aus Syrien dankbar, die – mit der gebotenen Achtung vor den Menschen dort – Probleme aufzeigen und so helfen, gesellschaftliche Prozesse zu verstehen. Es ist für mich ganz erstaunlich, wie viele Blogger und unabhängige Plattformen inzwischen außerhalb der Leitmedien, obwohl selbst oft Autodidakten, ehrlichen Journalismus präsentieren, der eben nichts damit zu tun hat, dass man seine Gegner mit geschliffener Sprache niedermacht.
Ein Blogger mit auch persönlichen Kontakten nach Syrien hat sich in jüngerer Zeit um diese Art von Informationsbereitstellung verdient gemacht. Im folgenden hier ein Artikel von flutterbareer, der sich mit den Problemen der Korruption und des Machtmissbrauchs in Syrien befasst – und wie Syrien noch in Kriegszeiten versucht, diese Probleme in den Griff zu bekommen.
Assad’s Kampf gegen die Korruption
von Philip Klaus; veröffentlich bei flutterbareer am 25.Juni 2017
Vor fünf Tagen kam es zu einem wenig beachteten Treffen zwischen dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad und dem Kabinett in Damaskus, wo Assad auf direkte Weise administrative Reformen ankündigte und den Despotismus ranghoher Staatsangestellter kritisierte (Video leider nur in arabisch):
https://youtu.be/NhxW6R4GnQI
„Jeder Beamter der auf offener Straße sich und seine Bodyguards zur Schau trägt, ist ein Feigling und besitzt einen Minderwertigkeitskomplex. Jeder Sohn eines Beamten der die Straße mit seinem Auto und dem seiner Bodyguards blockiert ist ein Psychopath. Sein Vater ist für eine solche Tat zu verantworten und ich werde jede Beschwerde persönlich untersuchen. Es ist absolut unverantwortlich sich auf den Straßen wie eine Autorität aufzuspielen, nur weil man mal in der Armee gedient hatte. Das wird bestraft, weil die die das Land an der Front verteidigen, es auch im Inneren verteidigen. Ich persönlich habe immer vor und während des Krieges an roten Ampeln angehalten.“
Desweiteren verlangte er effektivere kommunikative Verbindungen zwischen den Medien und der Bevölkerung. Es soll eine Website eröffnet werden, wo Bürger Vorschläge und Beschwerden bezüglich korrupter Vorfällen posten können. Besonderes Gewicht aber hatte die Darstellung von Staatsangestellten in der Öffentlichkeit. Sie sollten aufhören sich über das Gesetz zu stellen und z.B. an Checkpoints nicht mehr anzuhalten.
Zunächst gab es Skepsis über eine neue Anti-Korruptionskampagne unter Assad, welche aber ebenso schnell durch Taten verflogen ist. Zwei Tage später wurde ein Konvoi von zehn Autos in der Hauptstadt angehalten, der Grund: Keine Nummernschilder und abgedunkelte Fenster. Die involvierten Personen wurden festgenommen und stellten sich als Armeeoffiziere heraus; der Rang war durch die neuen Befehle Assad’s irrelevant geworden. Wenig später wurden ebenfalls die Söhne des Premierministers und des Leiters des Nachrichtendienstes angehalten. Die Festnahmen wurden direkt von der einfachen Verkehrspolizei ausgeführt, was wohl im Vergleich zu den zuvor teilweise vorherrschenden Verhältnissen die größte Entwicklung ist.
Doch nicht nur in Damaskus gibt es erste, bemerkbare Änderungen. Am 22. Juni traf sich der Innenminister Mohammed al-Shaar mit allen kommunalen Polizeibehörden Syriens, um die Forderungen Assads in die Tat umzusetzen. Der Vorsitzende der Polizeibehörde Latakias Yasser al-Shriti traf sich am nächsten Tag mit Einheiten der Verkehrspolizei. Mitglieder der Ba’ath-Partei, der Militärpolizei und des Stadtrates nahmen ebenfalls daran teil. Einzelne Autos wurden von der Polizei bereits aus dem Verkehr gezogen. Andere mussten schwarze Folien aus den Fenstern entfernen. Eine Maßnahme sah die Entfernung von 22 Checkpoints in der Region Latakia vor, die zuvor ständig von korrupten Milizen bemannt waren. Bürger sollten sich schnellstmöglich bei der Polizei melden, sollten solche Fälle erneut vorkommen.
Auch in Aleppo scheint sich die Situation wesentlich verändert zu haben, nachdem Damaskus vor einigen Tagen den Generalmajor Mohammed Deeb Zeitoun als Sicherheitschef eingesetzt hat. Durch die brutalen Kämpfe um die Großstadt kam es zu einer Dezentralisierung der Macht; einfache Sicherheitsaufgaben wurden von neu aufgestellten Milizen übernommen. Nach dem Ende der Kämpfe stand man nun vor einem neuen Problem. Viele Bürger beschwerten sich immer wieder über Gruppierungen wie Liwa al-Quds, die NDF oder die Local Defence Forces, die z.B. Zoll verlangten, Häuser ausraubten und teilweise sogar Geiseln nahmen und Lösegeld forderten.
Zeitoun ist ein sehr loyaler und hochgeschätzter Sunnit der Armee, er diente bereits zuvor in Aleppo und kennt die Stadt sehr gut. Eine seiner ersten Entscheidungen war das Verbot von Militäruniformen auf den Straßen, laut ihm sind Soldaten mit Uniform an der Front und nicht an den Checkpoints. Sein zweites Gesetz war es, die ID’s der einzelnen Milizen für null und nichtig zu erklären. Ab jetzt muss man eine neue ID bei einer staatlichen Zentralagentur beantragen. Durch die Zentralisierung kann die Staatssicherheit nun die Stadt wesentlich effektiver überwachen und kontrollieren. Einwohnern zufolge kann man in diversen Vierteln nun alle paar Stunden eine Patrouille von 50 Polizisten beobachten, die (neben der russischen Militärpolizei im Zentrum der Stadt) für Ordnung sorgt.
Zweifelsohne handelt es sich um eine der größten Versuche, die Korruption im System des Ba’ath-Staates zu bekämpfen. Aber es handelt sich nicht um den Ersten, die vorherigen Versuche scheiterten an einer wirklichen Durchsetzungskraft und dem Willen dagegen vorzugehen. Möglicherweise handelt es sich auch nur um einen weiteren Versuch, die Macht zu konsolidieren, wobei ein ernst gemeinter Vorgang gegen die Korruption ja zugleich die Macht und die Unterstützung des Volkes sichert. Die ungewöhnliche Polemik und Aggressivität der Rede von Assad scheint zumindest darauf hinauszulaufen.
Vielen Dank noch einmal an Philip Klaus!
Bleiben Sie schön aufmerksam.
[Titelbild] Datei: krak-of-chevaliers-1078528_960_720.jpg; Quelle: https://pixabay.com; Lizenz: CC0 Public Domain