Vom Kleinen zum Großen oder wie viele kleine Dinge das Große und Ganze verändern können
Ein Gastbeitrag von Alexander Graf und Morris Geßner; Originalartikel bei http://projekt-wahrheit.de
[1] Wenn ich jemanden frage, ob er unsere Gesellschaft gut findet, so wie sie aktuell ist, dann bekomme ich seit Jahren immer öfter ein klares „Nein“ zu hören. Aber schon bei der Frage, was denjenigen denn nun genau stört, sind die Antworten so bunt, wie die Menschen selbst. Einige schimpfen auf die Politik, andere auf den Euro, wieder andere engagieren sich mehr für die Natur und noch ganz andere für Menschenrechte. Die Palette ist ungeheuer vielschichtig.
Nun könnte irgendjemand daherkommen und behaupten, dass gerade diese Vielschichtigkeit dazu führt, dass kein wirklicher Wandel vonstattengeht, da jeder mehr oder weniger seine eigene Agenda betreibt und daher nie eine kritische Masse zusammenkommt, die eine wirkliche Veränderung bewirken könnte. Dem kann mit dem einfachen Argument widersprochen werden, dass alle Themen mit allen anderen mehr oder weniger direkt zusammenhängen und eine Veränderung in dem einen Bereich fast zwangsläufig zu Veränderungen in anderen Bereichen führen wird. Als Beispiel würde ich gern die moderne, industrialisierte Massentierhaltung anführen. Natürlich lautet hier ein erstes Argument, dass es hier moralisch sehr fragwürdige Methoden gibt und es macht mich betroffen, wenn es andere Menschen nicht berührt, wie mit Tieren umgegangen wird. Aber ich bin mir bewusst, dass diese emotionale Ansicht kein gutes Argument ist. Schlimmer, und wenn man so will systemrelevanter, sind die negativen Einflüsse der übertriebenen Fleischproduktion auf die Umwelt und auf Menschen. Gestatten Sie mir hier ein paar Beispiele anzuführen:
- Die Fleischproduktion vernichtet Unmengen potentieller Nahrungsmittel sowie Energie und Wasser – alles knapp bemessene Ressourcen auf unserer Welt.
- Dazu bedeutet die massenhafte Fleischproduktion implizit auch die Produktion von einer großen Menge an Treibhausgasen, wie Kohlendioxyd oder Methan.
- Und schlussendlich vernichtet unsere Art der Fleischproduktion die Lebensgrundlage von Fleischfarmern in Ländern der Dritten Welt, da wir unsere nichtbenötigten Fleischreste unterhalb jedes Marktpreises in diese Länder exportieren.
All diese Themen sind meiner Meinung nach sehr wichtig – global gedacht. Dazu kommen die „kleineren“ Argumente wie Antibiotika im Essen und eben auch die schlechten Haltungsbedingungen der Tiere selbst. Und weil viele Menschen das Argument des „Leidens“ von Tieren immer gern ins Lustige ziehen, möchte ich hier noch zwei Zeilen dazu anmerken: Ich denke nicht, dass man Biologie studieren muss um anzuerkennen, dass Tiere Emotionen haben. Ich rede nicht von Liebe oder Freude, aber von Angst und Stress. Diese Emotionen sind die Grundbausteine des Lebens – sie lenken die Triebe und lassen Tiere die richtigen Entscheidungen treffen. Aber genau diese Emotionen treten nun auf, wenn ein „ungesunder“, unnatürlicher Zustand vorliegt und dienen im natürlichen Umfeld dazu, diese vermutlich schädliche Situation abzustellen.
In tiefpreisorientierter Massenhaltung sind Tiere daher gestresst, können aber nicht ausweichen. Es ist ein lebenslanger Dauerzustand. Dieser macht krank und schwach und dagegen gibt es dann Antibiotika. Aber nicht, dass Sie mich jetzt zum „Ökofaschisten“ abstempeln. Wenn Sie mich fragen, ob ich denke, dass der Mensch generell keine Tiere töten sollte, dann sage ich Ihnen: „nein“. Ich plädiere aber für einen Fleischkonsum in einem vernünftigen (natürlichem) Maß. Als Beispiel möchte ich hier die Schimpansen, unsere nächsten Artverwandten anführen. Die Schimpansen haben Fleischessen ohne die Umwelt zu schädigen recht gut unter Kontrolle. Demnach könnte man dem Menschen schon zugestehen, dass in einer gewissen Art das Fleischessen auch eine biologisch-natürliche Komponente hat. Jedoch ist unsere Art beziehungsweise unser System, wie wir Menschen an unser Fleisch kommen, das Gegenteil von natürlich geworden.
Und natürlich wäre jetzt eine Änderung im Bereich der Massentierhaltung noch nicht die Lösung aller Probleme auf dieser Welt, aber ein erster kleine Schritt. Und sicher sollte man seine Art des Fleischkonsums in eine breitere Palette an möglichen Aktivitäten einbinden. Hier könnten direkt viele weitere Dinge genannt werden, die ebenfalls dienlich für den Planeten sind, wie beispielsweise fair gehandelte Kleidung (Kaffee, etc.), weniger unnützen Konsum, weniger Auto fahren, Energie sparen oder lokale Produkte kaufen. Das sind alles nur Kleinigkeiten von „Kleinaktivisten“, aber kumuliert fangen sie an zu wirken.
Nun ist es tatsächlich nicht gut, wenn „Kleinaktivisten“ vor sich hinleben und sehr zufrieden damit sind „etwas getan“ zu haben. Was ist also der richtige Weg? Ich persönlich versuche Fakten und Ansichten zu kommunizieren. Warum? Ich tue dies in der Hoffnung, andere Menschen durch (aus ihrer Sicht) glasklare Fakten und einfache Lösungsvorschläge zu überzeugen, sich dieser Kleinbewegung anzuschließen – etwas zu tun. Wenigstens irgendetwas zu tun! Denn würden alle Menschen etwas in die Richtung arbeiten, wären wir einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Bei meiner Familie und einigen Freunden hat das übrigens gut funktioniert. Ich habe also noch mehr „Kleinaktivisten“ geschaffen. Dass die Versuche mit Fakten zu überzeugen regelmäßig belächelt werden, nun, dem ist leider so, aber davon sollte man sich nicht entmutigen lassen.
Aber es ist auch völlig klar, dass all die kleinen Probleme, die ich hier angerissen habe, nur ein Teil eines großen, übergeordneten Fehlers sind. Denn wenn man sich das große Ganze ansieht, kann man erkennen, dass es sich um ein systemisches Problem handelt, denn auch die Fehler der Massentierhaltung sind systemimmanent. Schlussendlich sind sie nichts weiter als ein logisches Resultat des kapitalistischen Systems. In diesem System ist jeder dazu angehalten, seine Ressourcen (und die sind im Kapitalismus vor allem monetärer Natur), so effizient einzusetzen wie irgend möglich, da sie begrenzt sind. Und in einer Konsumgesellschaft, die das Ideal des Kapitalismus ist, will ich also, dass Fleisch (und alles andere) möglichst billig ist, damit ich nach dem Fleischkauf noch größtmöglichen Folgekonsum tätigen kann.
Und deswegen stimmt die eingangs aufgestellte These, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt. Würden wir es also schaffen, das System der Massentierhaltung zu revolutionieren, würden wir damit wohlmöglich eine Kettenreaktion auslösen und nach und nach viele weitere Subsysteme verändern. Im Ergebnis würden wir so zu einem postkapitalistischen System gelangen können, dass auf ganz neuen Werten basiert. Nur müssen wir darauf achten, dass das neue System niemals auf Verboten fußt, sondern dass es die Bedürfnisse der Menschen mitnimmt. Und klar, eine Bedürfnisseite des Menschen ist nun einmal der Konsum.
Das Problem des Kapitalismus liegt daher auch nicht im Mangel an Konsum, sondern in der Abwesenheit jedweden anderen Lebensziels jenseits des Konsums (vielleicht noch gepaart mit Ruhm und Macht). Daher muss ein neues System durchaus auch materielle Reize mit sich bringen, aber darüber hinaus eben auch weitere, wie beispielsweise eine wirkliche Moralerziehung von Kindesbeinen an, einen neuen Respekt der Umwelt (und somit auch den Tieren) gegenüber oder ein deutlich gerechteres Verteilungsprinzip, das niemanden zurücklässt.
Nur ist es eine Utopie, wenn man sich hinstellt und sagt, ich erfinde jetzt dieses System und morgen wird es dann implementiert. Denn das wird nicht klappen, denn um einen Systemwechsel zu vollziehen, müssen die Menschen mitgenommen werden. Und dies kann immer nur nach und nach erfolgen, da man sonst sehr schnell die Menschen überfordert. Und daher ist es so wertvoll und unerlässlich, dass man erst einmal beginnt, die Menschen für einzelne konkrete Themen zu interessieren und hierzu idealerweise zu mobilisieren. Denn nur durch ganz viele solcher kleinen Mobilisierungen kann schlussendlich eine kritische Masse erzeugt werden, die dann das Große umsetzen und erreichen kann.
[1] Bildquelle: http://picabay.com