Das Einfrieren von Konflikten konserviert diese, ohne sie zu lösen. Das gilt auch für Syrien.


So gesehen könnte man zu der Auffassung gelangen, dass die russische Politik, die geduldig Lösungen auf dem Verhandlungswege anstrebt und dabei alle Konfliktteilnehmer einbindet, auch in Syrien eindrucksvoll gescheitert ist. Die islamistischen Extremisten in Idlib konnten sich in ihrer syrischen Enklave über Jahre hinweg auf den Tag X vorbereiten. Die Vereinbarungen von Idlib — ausgehandelt zwischen Syrien, der Türkei und Russland im Rahmen  des Astana-Prozesses — erwiesen sich letztlich als Mittel zum Zweck. Ganz so, wie diesen Zweck für die ukrainische Führung auch die Vereinbarungen von Minsk erfüllten.


Was derzeit in Syrien geschieht

Am 27. November des Jahres begannen zehntausende, bestens ausgerüstete islamistische Extremisten einen Angriff von der durch sie besetzten syrischen Provinz Idlib aus. Innerhalb weniger Tage nahmen sie große Teile der östlich angrenzenden Provinz Aleppo, einschließlich der gleichnamigen Provinzhauptstadt, ein. Neben der stärksten Islamistenmiliz Hayat Tarhir al-Sham (HTS) sind auch Kämpfer der al-Zenki-Brigaden beteiligt (1). Neben Selbstmordattentätern wurden auch Angriffsdrohnen eingesetzt. Aus verschiedenen Gründen war die syrische Armee diesem Großangriff nicht gewachsen (2).

Diese Offensive hat in wenigen Tagen hunderte Zivilisten das Leben gekostet, aber in etwa auch ebenso viele Islamisten und mindestens Dutzende von syrischen Soldaten. Interessant bei all dem ist, dass sich sowohl die indirekt am Konflikt beteiligten ausländischen Mächte als auch die westlichen Medien in ihren offiziellen Verlautbarungen, auch in ihrer Parteinahme zu den Militanten zurückhalten (3). In der ARD wurde tatsächlich korrekt zur Sprache gebracht, wer das ist, der acht Jahre nach deren Vertreibung wieder von der syrischen Millionenstadt Aleppo Besitz zu ergreifen droht:

„HTS gilt als Nachfolger der Al-Nusra-Front, eines früheren Ablegers der Terrororganisation Al-Kaida in Syrien. Nach Angaben von Terrorismusexperten und Sicherheitsbehörden in den USA und Australien änderte die Gruppe 2016 jedoch ihren Namen und brach mit Al-Kaida. Trotz ihrer öffentlichen Abspaltung von Al-Kaida verfolge HTS eine salafistisch-dschihadistische Ideologie, schreibt die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS).“ (4)

Die Offensive brach endgültig ein vor sechs Jahren vereinbartes Abkommen, in dem vereinbart worden war, die Waffen bis zur endgültigen Konfliktlösung schweigen zu lassen. Darüber hinaus greifen von der Türkei ausgerüstete Islamisten, zusammengefasst in einer sogenannten Syrischen Nationalen Armee (SNA), auch Teile des von den USA protegierten Pseudo-Kurdenstaates auf syrischem Staatsgebiet an (4i).

Es darf nicht verschwiegen werden, dass schwerwiegende Mängel innerhalb der Syrischen Arabischen Armee (SAA) die bisherigen Erfolge der islamistischen Milizen befördert haben (siehe weiter unten). Zweifelsohne ist das eine weitere, für Syrien sehr kritische Situation.

Der Astana-Prozess

Der Astana-Prozess wurde als Alternative zu den sogenannten Genfer Friedensverhandlungen ins Leben gerufen (5). Die Genfer Friedensverhandlungen hatten sich zuvor als politische Seifenoper für den Sturz der syrischen Regierung entpuppt und strebten damit primär keinen Ausgleich, keine Vermittlung, keine tatsächlich friedlichen Lösungen an.

Bei den Verhandlungen in Genf wurden alle westlichen Narrative über Syrien und seine Regierung als vermeintliche Wahrheit zur Grundlage der Gespräche genommen. Assad würde sein eigenes Volk mit Giftgas und Fassbomben auslöschen, Krankenhäuser bombardieren, die Bevölkerung aushungern und jeden Widerstand mit Gefängnis und Folter ersticken. Dschihadisten — also extremistische Islamisten, deren Wurzeln in der Terrororganisation al-Qaida zu finden sind — wurden zu Rebellen umgetauft (6). Vor allem wurde bei diesen Verhandlungen eine Aufteilung — also eine Zerschlagung Syriens als souveräner Staat — zur bevorzugten Konfliktlösung erkoren (7). Das ist kaum verwunderlich, denn die Entfachung des Syrien-Krieges hatte ja auch genau das zum Ziel.

Im Rahmen des Astana-Prozesses wurden im Herbst 2018 nach Verhandlungen in Sotschi unter Beteiligung von Vertretern der syrischen Regierung, der Türkei und Russlands die Einrichtung einer demilitarisierten Zone vereinbart. Diese sollte zu einer Beendigung der Kampfhandlungen zwischen den syrischen Regierungstruppen und den „Aufständischen“ in der westsyrischen Provinz Idlib beitragen (8).

Fakt ist jedoch auch, dass sich damals die Extremisten in einer äußerst prekären Lage befanden. Sie vor allem waren es, die von den Vereinbarungen in Sotschi profitieren konnten. Sie waren, geschützt durch diese Vereinbarungen, in der Lage, ihre politischen und militärischen Strukturen vergleichsweise unbehelligt wieder aufzubauen. Gern wird unterschlagen, dass die Dschihadisten von HTS nicht Teil der vereinbarten Waffenstillstände waren. Vielmehr hatte sich die Türkei verpflichtet, diese Extremisten zu entwaffnen — was nie geschehen ist (9).

Das ähnelt doch sehr den Geschehnissen um Minsk II.

Syrische und russische Illusionen

Die syrische Gesellschaft lebt nun seit über 13 Jahren im Kriegszustand, verschärft durch westliche Sanktionen (10, 11). Das ist nicht folgenlos geblieben. Es hat zu einer Erschöpfung geführt, die auch in das Militär hineinreicht. Die Aufrechterhaltung einer großen Militärmacht ist für das Land äußerst kostspielig. Und auch, wenn es inzwischen gut ausgebildete Spezialkräfte gibt, so besteht das Gros der Armee aus ganz normalen Wehrpflichtigen.

Auch das hat dazu geführt, dass man gutgläubig darauf baute, die Vereinbarungen von Sotschi würden von den Dschihadisten in Idlib dauerhaft eingehalten werden. Aber ein Problem auf Eis zu legen, löst es eben nicht. Russische Analysten haben es so zusammengefasst:

„Es liegt auf der Hand, dass es für die syrische Staatsführung nie ein größeres Problem gab, und wahrscheinlich auch nie geben wird, als das »Idlib-Schutzgebiet«. Zweifellos sah die Friedensvereinbarung nicht die endgültige Entwaffnung der Milizen vor, und vieles hing vom guten Willen der Türkei ab. Es war jedoch äußerst unverantwortlich, die Ereignisse dem Zufall anheimzustellen und Nordsyrien praktisch im Stich zu lassen beziehungsweise keine angemessenen Schutzmaßnahmen und ausgebildeten Militäreinheiten an der Grenze zu Idlib einzusetzen.“ (2i)

Durch die Blume sagt der Analyst aber auch, dass hier ein russisches Konzept auf Dauer — und das erwartbar — nicht aufgegangen ist:

„Dies hat zur Folge, dass das russische Militärkontingent zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt und unter ungünstigen Ausgangsbedingungen in einen weiteren militärischen Großkonflikt hineingezogen wird. Aus politischer Sicht sieht das Geschehen wie ein Fehler von Damaskus aus, das sich auf Ankaras guten Willen und Versprechen verließ. De facto wurde das »Idlib-Schutzgebiet« vollständig den Türken unter deren alleiniger Kontrolle überlassen — was sich letztlich als Fehlentscheidung erwies.“ (2ii)

Auch das ähnelt doch sehr den Geschehnissen um Minsk II.

Allerdings haben auch die Mängel in der Organisation, Gefechtsbereitschaft und Struktur der syrischen Streitkräfte dazu geführt, dass Einheiten der SAA sich faktisch auflösten, beziehungsweise sich ohne jeden Widerstand zurückzogen. Verteidigungsstellungen waren nicht vorbereitet und die Kommunikation in und zwischen den Einheiten brach rasch zusammen. Personell sind die Kampfgruppen chronisch unterbesetzt, durchschnittlich fehlen 50 Prozent der nominell notwendigen Soldaten in den Divisionen. Die Motivation ist niedrig — und das nicht nur wegen des so lange andauernden Krieges. Zudem mangelt es an Ausrüstung. Dazu kommt das Problem der Korruption:

„Die Autobahn M5 zwischen Aleppo und Damaskus wurde wie im Mittelalter illegal besteuert; es ist unmöglich geworden, sie zu passieren, ohne ein Bestechungsgeld zu zahlen. So ist der Militärdienst zu einem Geschäft geworden. Verschärft wird die Situation durch ethnisch-religiöse Differenzen zwischen der lokalen Bevölkerung und den Truppen. Die syrisch-arabische Armee besteht zur Hälfte aus Alawiten, und unter den Offizieren gibt es noch mehr Alawiten, was der sunnitischen Mehrheit ein Gräuel ist. Mit einem Durchschnittsgehalt von 20 bis 30 Dollar erhalten die Alawiten in Syrien deutlich mehr.“ (12)

Erfahrene Kommandeure, die nicht der alawitischen Minderheit angehören, wurden ab 2020 aus ihren Positionen gedrängt. In der syrischen Armee wurde die relative Ruhe seit 2020 nicht genutzt, um sich auf die veränderten Bedingungen moderner Kriege einzustellen. Russische Nachrichtendienste hatten Syrien seit August des Jahres gewarnt, dass die Islamisten eine Offensive vorbereiteten. Selbst die Kommunikation von Armee und Behörden ist völlig unzureichend:

„Die Tatsache, dass die syrische Armee die Kontrolle über Hama behält, musste von einfachen SAA-Soldaten bestätigt werden, die Videos aufnahmen und in den sozialen Medien veröffentlichten, um eine Panik zu verhindern.“ (12i)

Syrien wird von Russland als souveräner Staat behandelt, der seine Probleme in eigener Verantwortung lösen kann. Allerdings ist der syrischen Führung dringend zu empfehlen, die Kompetenz Russlands beim Aufbau und Betrieb militärischer Strukturen aktiv in Anspruch zu nehmen. Es steht viel für Syrien auf dem Spiel — und damit auch die russische Präsenz in diesem Land.

Löse mir die Fesseln — das Problem Idlib geht auf dessen Lösung zu

Wenn Syrien als souveränes Staatsgebilde überleben will, dann ist es nunmehr gezwungen, (nicht nur) das Idlib-Problem aktiv anzugehen. Eine Großoffensive der Syrischen Arabischen Armee (SAA) ist zu erwarten (13). Sie muss dafür sorgen, wieder die vollständige Souveränität über ihr Staatsgebiet zurückzuerlangen. Und dabei ist die Aufgabe in erster Linie, aber natürlich nicht nur, auf Idlib begrenzt.

Syrien hat nach wie vor nur eine sehr limitierte Souveränität über seine Grenzen und das wird noch verschärft durch die umfassenden Wirtschaftssanktionen des von den USA geführten „Wertewestens“. Ein syrischer Reststaat würde nicht überlebensfähig sein, und das hat nichts damit zu tun, wer diesen Staat regierte. Es ist klar, dass ein über Jahre hinweg dermaßen strangulierter Staat wie Syrien diese kolossale Herausforderung nicht allein bewältigen kann.

Aber die Ereignisse geben Syrien und seinen Verbündeten die Legitimität in die Hand, die bisher sich selbst auferlegten Beschränkungen beim Kampf gegen die Spalter Syriens aufzugeben. Eine Großoffensive gegen die Dschihadisten ist angelaufen, erste Erfolge sind zu verbuchen — auch wenn die Gesamtsituation nach wie vor sehr kritisch für Damaskus ausfällt (14).

Ein internationaler Konflikt

Die al-Qaida-Derivate im syrischen Idlib haben ihre Kraft nicht etwa aus der ansässigen Bevölkerung geschöpft. Bis heute werden sie aus dem Ausland finanziert und militärisch ausgerüstet. Der Hauptstrom an Ressourcen erfolgt dabei über die Türkei, welche ja auch eine militärische, präsente „Beobachtermission“ im Terroristengebiet aufrecht erhielt. Die Türkei ist faktisch Schutzmacht dieses Islamisten-Staates (15). Aber die Sponsoren der Islamisten sind keineswegs auf die Türkei beschränkt. Die Sponsoren benutzen die militanten Glaubenskämpfer als Fußvolk, als nützliche Idioten in einem Stellvertreterkrieg. So wie fast deckungsgleiche Sponsoren ukrainisches Fußvolk in einem Krieg gegen Russland verheizen.

Einer dieser Sponsoren sind die USA. In einer Stellungnahme des Sprechers des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Sean Savett, lesen wir:

„Gleichzeitig haben die Vereinigten Staaten nichts mit dieser Offensive zu tun, die von Hay’at Tahrir al-Sham (HTS), einer als terroristisch eingestuften Organisation, geführt wird. Die Vereinigten Staaten drängen gemeinsam mit ihren Partnern und Verbündeten auf Deeskalation, den Schutz der Zivilbevölkerung und der Minderheiten sowie auf einen ernsthaften und glaubwürdigen politischen Prozess, der diesen Bürgerkrieg mit einer politischen Lösung im Einklang mit der Resolution 2254 des UN-Sicherheitsrats ein für alle Mal beenden kann. Wir werden auch weiterhin das US-Personal und die US-Militärpositionen vollständig verteidigen und schützen, da diese von entscheidender Bedeutung sind, um sicherzustellen, dass ISIS in Syrien nie wieder auftauchen kann.“ (a1, 16)

Haken wir den ISIS-Blödsinn, den Savett da von sich gab, ab — das ist reine Narrativpflege. Darum geht es den USA natürlich nicht, darum ging es ihnen überhaupt niemals (17, 18). Allerdings ist dieser Blödsinn auch der abenteuerliche wie verlogene Vorwand, gegen jedes Völkerrecht militärische Präsenz in Syrien auszuüben. Das könnte sich nun doch bald zu einem echten Problem auswachsen. Nicht umsonst hat Donald Trump in seiner ersten Amtszeit als US-Präsident einen Vorstoß gewagt, die US-Truppen aus Syrien, genauer Ostsyrien und dem Gebiet um al-Tanf in Südsyrien, abzuziehen (19). Dieser wurde vom Tiefen Staat abgewürgt. Aber ohne jeden Zweifel sind US-Soldaten in Syrien nach dem Völkerrecht ein legitimes Kriegsziel.

Der Abzug der US-Militärs aus dem geschundenen Syrien ist in Washington längst wieder ein Thema (20). Mit diesem würde auch eine weitere Episode ihren Abschluss finden: ein von US-Gnaden am Leben gehaltener kurdischer Pseudostaat, ein seit Jahrzehnten geplantes US-israelisches Projekt. Die kurdischen Separatisten wären endlich gezwungen, ernsthaft mit der syrischen Zentralregierung zu verhandeln. Der Raub syrischer Ressourcen im Osten des Landes, vor allem von Getreide, Öl und Gas, hätte ein Ende (21). Die Rohstoffe würden wieder der syrischen Bevölkerung und Wirtschaft, die finanziellen Erlöse dem syrischen Staat zufließen. Was einer wirtschaftlichen Erholung des Landes zugute käme.

Somit wäre der nächste ausländische Akteur im Syrien-Konflikt seiner Motive beraubt (22). Denn die Kurden und ihr militärischer Arm müssten sich entwaffnen lassen oder zumindest den Strukturen der syrischen Armee unterordnen. Damaskus bekäme wieder die volle Kontrolle über sein Territorium und insbesondere seine Grenze im Norden. Womit wir bei der Türkei wären. Denn sie müsste nun, der behaupteten kurdischen Bedrohung von Syrien her entronnen, ihre militärische Präsenz in Nordsyrien aufgeben (23). Da nun auch die östliche Landesgrenze Syriens, die zum Irak, wieder durch Syrien kontrolliert würde, wäre auch das muntere Grenzwechselspiel der islamistischen Extremisten dort an sein Ende gekommen. Was ebenfalls zu einer Stabilisierung im Irak führen würde.

Und all das geschähe dann ohne Zutun der USA und ihrer Verbündeten. Einer dieser Verbündeten ist Israel. Israel spielt seine ganz eigene Rolle in den Konflikten um Israel selbst herum.

Komplexität der Ereignisse

Betten wir die Geschehnisse in einen zeitlichen Kontext ein.

Am 27. November trat ein Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah in Kraft (24). Und justament zu diesem Zeitpunkt starteten die Dschihadisten in Idlib eine Offensive gegen die syrische Armee. Gleichzeitig führten israelische Kampfflugzeuge Angriffe auf Ziele in Syrien durch (25).

Und noch etwas geschah: Die Kommunikation innerhalb der syrischen Armee wurde durch Jamming-Attacken teilweise lahmgelegt, was die Konfusion in den ersten drei Tagen der Extremisten-Offensive zumindest teilweise erklärt (26). Außerdem explodierten Dutzende von Kommunikationsgeräten syrischer Armeeangehöriger: Pager, Smartphones und Walkie-talkies (27). Über die Möglichkeiten solch einer subversiven Kriegsführung verfügen die Islamisten wohl kaum. Das lässt eher auf eine verdeckte Aktion des israelischen Geheimdienstes Mossad schließen, ähnlich der, die er zwei Monate zuvor im Libanon durchgeführt hatte (28).

Die Situation ist wirklich gefährlich. Israel sucht ganz offensichtlich nach Vorwänden, direkt in Syrien zu intervenieren, mindestens aber das Land zu destabilisieren. Ein Vorwand findet sich in der Unterstützung der Hisbollah von syrischem Territorium aus. Der zionistische Staat bekriegt seit Jahren nach Lust und Laune und mit zunehmender Intensität das nördliche Nachbarland (29).

Weiter oben wurde Sean Savett, der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, zitiert, der versicherte, dass sein Land nichts mit der groß angelegten Attacke der Islamisten zu tun hätte (16i). Dem steht entgegen, dass die einzigen sieben von der syrischen Regierung kontrollierten Städte am Ostufer des Euphrat von lokalen Milizen angegriffen wurden. Diese Milizen stehen eindeutig unter Kontrolle der US-Besatzer, die den Schmuggel von Öl und Gas aus Syrien beaufsichtigen. Die US-Luftwaffe unterstützte, lokalen Quellen zufolge, diese Angriffe (30). Die Gebietsgewinne der Terroristen sind beträchtlich (b1):

Der NATO-Staat Türkei gibt vor, diesen terroristischen Angriff der „Rebellen“ nicht angezettelt zu haben. Das ist schwer zu glauben. Geduldet hat er ihn zweifellos, und als Transitland zur Unterstützung der „Aufständischen“ gibt sich die Türkei eh bereits her, seit der Konflikt entfacht wurde.

Geopolitischer Kontext

Ein geschwächter Libanon und ein geschwächtes, zersplittertes Syrien stressen in erster Linie den Iran, der als Schutzmacht dieser Länder auftritt. Ohne den Iran wäre Syrien als Staat bereits bis 2015 zerschlagen worden, bevor Russland in den Konflikt hätte eingreifen können.

Die israelischen Angriffe auf die beiden nördlich angrenzenden Staaten sind also auch als indirekter Krieg gegen den Iran zu verstehen. Und hinter dem Treiben der israelischen Zionisten steht natürlich das Treiben der symbiotisch verbundenen Zionisten und Neokonservativen in Washington.

Aber das Ganze ist eben auch gegen Russland gerichtet, das dabei ist, den Krieg in der Ukraine zu seinen Bedingungen zu Ende zu bringen. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, sorgt man dafür, dass ukrainische Spezialeinheiten ihren terroristischen Kollegen in Syrien bereits seit Längerem zur Seite stehen (31 bis 33). Auf diese Weise hoffen die Drahtzieher hinter der Ukraine nicht nur, Russland im Stellvertreterkrieg auf ukrainischem und russischem Boden Kräfte zu entziehen. Sie rechnen sich auch Chancen aus, die russische Präsenz in Syrien entscheidend schwächen zu können.

Je schwächer die Positionen Syriens und des Iraks sowie die des Irans und Russlands in der Region sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Chaos dort weiter „kreativ gestaltet“ werden kann.

Israels expansionistische Bestrebungen sind nach wie vor gültig und Teil seiner Agenda eines Groß-Israel (34, 35).

Ausblick

Die „besorgte Weltöffentlichkeit“ — falsch: westliche Politiker und anhängige Medien — werden den in die Ecke gedrängten Terroristen in Syrien bald wieder öffentlichkeitswirksam zu Hilfe eilen. So, wie das immer praktiziert wurde. Sie werden bald auf einen Waffenstillstand drängen, um angeblich die Zivilbevölkerung zu schützen (36), doch in Wirklichkeit, um ihre militanten Zöglinge in altbekannter Weise in einem geschützten Raum für die nächste Operation neu aufbauen zu können. Es wird sich zeigen, ob Syriens Regierung, vor allem aber die Verbündeten Russland und der Iran, sich ein weiteres Mal auf dieses durchsichtige Spiel einlassen werden.

Seit Beginn des Jahres gab es zögerliche Annäherungsversuche zwischen Damaskus und Ankara. Die stehen nun auf dem Spiel. Doch ein Scheitern könnte auch die türkischen Beziehungen zu Russland eintrüben. Woran Erdogans Regierung im Grunde nicht interessiert sein kann. Das dürfte auch der Grund sein, warum die Türkei sich zumindest mit ihren Stellungnahmen und offenen militärischen Aktivitäten in Idlib aktuell zurückhält.

Die neuerliche Eskalation in Syrien dürfte sich für deren Drahtzieher möglicherweise als Boomerang erweisen. Die traditionelle russische Zurückhaltung gegenüber der israelischen Politik in Sachen Syrien könnte bald der Vergangenheit angehören. Einfach, weil der zionistische Staat den Bogen auf Dauer überspannt hat. Außerdem sind weder der Iran noch Russland international isoliert. Wie sie auch politisch und wirtschaftlich deutlich stärker sind, als es hier in den Medien kolportiert wird.

So tragisch auch die aktuellen Geschehnisse in Syrien gerade für dessen Bevölkerung sein mögen, könnten diese die Initialzündung für eine nachhaltige, positive Veränderung bedeuten.

Bitten bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen — insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors — kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.

(a1) Die Übersetzungen erfolgten unter Zuhilfenahme von DeepL.com.

(1) 01.12.2024; Enab Baladi; Syrian opposition sends messages to SDF and regime; https://english.enabbaladi.net/archives/2024/12/syrian-opposition-sends-messages-to-sdf-and-regime/

(2 bis 2ii) 30.11.2024; RT deutsch, Wsglijad; Jewgeni Krutikow; Die Türkei entfesselt einen neuen syrischen Großkonflikt; https://freedert.online/der-nahe-osten/227749-tuerkei-entfesselt-neuen-syrischen-grosskonflikt/; übernommen aus: https://vz.ru/world/2024/11/28/1300427.html

(3) 01.12.2024; NDTV World, Reuters; Over 300 Killed As Syrian Rebels Sweep Into Aleppo, Russia Supports Assad; https://www.ndtv.com/world-news/over-300-killed-as-syrian-rebels-sweep-into-aleppo-russia-supports-assad-7146666

(4, 4i) 01.12.2024; ARD-Tagesschau; Dschihadisten erhöhen Druck auf Syrien; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/syrien-kaempfe-116.html

(5) 09.04.2018; The Astana Times; Adil Kaukenov; Astana Process: one step closer to peace; https://astanatimes.com/2018/04/astana-process-one-step-closer-to-peace/

(6) 30.05.2016; Deutsche Welle, rtr, AFP; Syrische Opposition ohne Chefunterhändler; https://www.dw.com/de/syrische-opposition-ohne-verhandlungsf%C3%BChrer/a-19292336

(7) 16.03.2016; Deutsche Welle, dpa, AFP, AP, epd; Syrien will mit der Opposition nicht reden; https://www.dw.com/de/syrien-verweigert-direkte-gespr%C3%A4che-mit-der-opposition/a-19120471

(8) 19.10.2018; Arab Center Washington DC; Joe Macaron; Sochi Agreement on Idlib Tests Russian-Turkish Relations; https://arabcenterdc.org/resource/sochi-agreement-on-idlib-tests-russian-turkish-relations/

(9) 09.04.2020; Le Monde diplomatique; Günter Seufert; Die Lektion von Idlib; https://monde-diplomatique.de/artikel/!5675881

(10) 17.05.2019; Rat der Europäischen Union; Syrien: EU verlängert Sanktionen gegen das Regime um ein Jahr: https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/05/17/syria-eu-renews-sanctions-against-the-regime-by-one-year/;

(11) Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle; Embargos — Länder, Syrien; https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/Syrien/syrien_node.html; abgerufen: 03.12.2024

(12, 12i) 03.12.2024; Southfront; Total Corruption And Inefficiency. How Was The HTS Blitzkrieg In Syria Possible?; https://southfront.press/total-corruption-and-inefficiency-how-was-the-hts-blitzkrieg-in-syria-possible/

(13) 01.12.2024; RT deutsch; Die aktuelle Lage in Syrien: Assad kündigt Gegenoffensive an; https://freedert.online/der-nahe-osten/227897-aktuelle-lage-in-syrien-assad/

(14) 02.12.2024; Reporter; The situation in Syria is beginning to change in favor of government forces; https://en.topcor.ru/54186-situacija-v-sirii-nachinaet-menjatsja-v-polzu-pravitelstvennyh-sil.html

(15) 28.11.2024; RT deutsch; Bericht: Türkei unterstützt offenbar die neue Offensive der Islamisten in Syrien; https://freedert.online/der-nahe-osten/227642-bericht-tuerkei-unterstuetzt-offenbar-neue/

(16, 16i) 30.11.2024; U.S. Embassy in Syria; Statement by NSC Spokesperson Sean Savett on Syria; https://sy.usembassy.gov/statement-by-nsc-spokesperson-sean-savett-on-syria/

(17) 13.11.2017; BBC; Quentin Summerville, Rim Dalati; Raqqa’s dirty secret; https://www.bbc.co.uk/news/resources/idt-sh/raqqas_dirty_secret

(18) 14.11.2017; Kurier; Deal der USA: IS-Kämpfer durften aus Raqqa fliehen; https://kurier.at/politik/ausland/us-deal-hunderte-is-kaempfer-durften-aus-raqqa-fliehen/298.106.767

(19) 20.12.2018; ARD-Tagesschau; US-Abzug aus Syrien, Die Folgen für die Kriegsparteien; https://www.tagesschau.de/ausland/hintergrund-us-abzug-101.html

(20) 24.01.2024; Foreign Policy; Charles Lister; America Is Planning to Withdraw From Syria—and Create a Disaster; https://foreignpolicy.com/2024/01/24/america-is-planning-to-withdraw-from-syria-and-create-a-disaster/

(21) 19.07.2019; Syria News; Arabi Souri; Kurdish SDF-Israeli Cooperation to Steal Syria’s Oil; https://syrianews.cc/kurdish-sdf-israel-cooperation-steal-syria-oil/; siehe auch: https://www.bitchute.com/video/fwt2mLd1A4gg/

(22) 30.12.2023; World Socialist Web Site; Barış Demir; Eskalierende Zusammenstöße zwischen Türkei und kurdischen Milizen im Irak und in Syrien drohen zu Krieg zu führen; https://www.wsws.org/de/articles/2023/12/29/gqpc-d29.html

(23) 02.12.2024; Southfront; Damir Nazarov; Events in Aleppo From the Turkish Perspective; https://southfront.press/events-in-aleppo-from-the-turkish-perspective/

(24) 27.11.2024; ARD-Tagesschau; Waffenruhe zwischen Israel und Hisbollah in Kraft; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/waffenruhe-israel-hisbollah-106.html

(25) 01.12.2024; Southfront; Israeli Army Announces Strikes On Syria Amid Rebel Offensive; https://southfront.press/israeli-army-announces-strikes-on-syria-amid-rebel-offensive/

(26) 02.12.2024; Southfront; Strikes Kill 400 Militants As HTS Offensive in Northern Syria Nears Complete Halt; https://southfront.press/strikes-kill-400-militants-as-hts-offensive-in-northern-syria-nears-complete-halt-videos/

(27) 29.11.2024; CDM; Pagers Explode Across Assad’s Army, Arabs Blame Mossad; https://creativedestructionmedia.com/news/middle-east/2024/11/29/breaking-pagers-explode-across-assads-army-arabs-blame-mossad/

(28) 18.09.2024; Was ist über die Pager-Explosionen bekannt?; ARD-Tagesschau; https://www.tagesschau.de/ausland/asien/hisbollah-pager-explosionen-100.html

(29) 24.10.2024; Al Jazeera; Israel strikes Syrian capital Damascus military site near Homs; https://www.aljazeera.com/news/2024/10/24/israel-strikes-syrian-capital-damascus-military-site-near-homs

(30) 03.12.2024; Southfront; U.S.-Backed Forces Launch Attack In Syria’s Deir Ezzor Amid HTS Offensive On Hama; https://southfront.press/u-s-backed-forces-launch-attack-in-syrias-deir-ezzor-amid-hts-offensive-on-hama-videos/

(31) 31.07.2024; Newsweek; Russian Base in Syria Hit Hours After Putin-Assad Summit, Ukraine Says; https://www.newsweek.com/russia-ukraine-syria-assad-putin-1932618

(32) 02.12.2024; TaSS; Press review: Ukrainian trace behind militants in Syria as protests in Georgia radicalize; https://tass.com/pressreview/1880493

(33) 20.04.2023; The Washington Post; Evan Hill, Alex Horton; Ukraine planned attacks on Russian forces in Syria, leaked documents shows; https://www.washingtonpost.com/national-security/2023/04/20/russia-ukraine-war-syria-attacks/; Artikel hinter Registrierschranke

(34) Hesekiel 47; Bibel Text; http://bibeltext.com/l12/ezekiel/47.htm

(35) 22.09.2023; United Nations; Israel on the cusp of historic peace with Saudi Arabia, Netanyahu announces at UN; https://news.un.org/en/story/2023/09/1141302

(36) 18.09.2018; Deutschlandfunk; Philipp May im Interview mit Volker Perthes; Perthes: Die stärksten Akteure haben sich bewegt; https://www.deutschlandfunk.de/einigung-um-idlib-zwischen-tuerkei-und-russland-perthes-die-100.html

(b1) siehe (30)

(Titelbild) Syrien, Aleppo, Karte; 13.06.2018; https://pixabay.com/photos/map-syria-aleppo-refugees-asylum-3473138/; Lizenz: Pixabay License

Von Ped

2 Gedanken zu „Das erneute Scheitern der Vereinbarungen zu Idlib“
  1. „…Israels expansionistische Bestrebungen sind nach wie vor gültig und Teil seiner Agenda eines Groß-Israel…“
    Sehr zurückhaltend formuliert! So sicher wie das Amen in der Kirche oder besser das Allahuakhbar in der Moschee, war doch, dass sich die weißen Helme nebst Anhang in Idlib nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag zur Ruhe setzen werde. Was ein Wunder, dass diese „Herrschaften“ – angeblich doch salafistisch veranlagt, Donnerlütt – sich nie in Richtung dem Erzfeind bewegt haben, geschweige denn ….

    Wie heißt es doch schon immer so schön: „From the river to the sea“ – sogar schon in der Bibel, der von vor über 2000 Jahren – und der Fluss war nie der Jordan, in dem badete man schon‘ immer ungefährdet. Der Euphrat war und bleibt das Objekt der Begierde für die Erweiterung der Aussicht von Bibi’s Wolfsschanze aus. BINRI weiß bestimmt, dass auch er nicht ewig leben wird, da heißt es die Gunst der Stunde zu nutzen, wenn er sie nicht selbst schon immer gefördert hat. Eigentlich wäre mal endlich eine Studie fällig, wie Hollywood per Laurenz von Arabien dem feuchten biblischen Traumziel förderlich war.

    Alles schwafelt derzeit von Weltkrieg und Multipolarität. Aber niemand fällt auf, dass Weltkrieg auch sowas wie Multipolarität der Brandherde erfordert. Und was da diese Woche gerade so hervorwuchert, ist mehr als ein – angeblich mal wieder überraschendes – Schlachtfeld vom Feinsten. Da wird gemeddelt auf Deibel komm raus. Um dem Höllenfürst aus dem Kreml noch mal kräftig an den Zwickel zu fahren, wird alles mehr oder weniger mögliche und sinnvolle (re-)aktiviert, dessen Haselnuss-Zwille fürsorglich erst einmal ignorierend, die bringt er sowieso früh genug. Der Derwisch vom Bosporus dürfte auch wissen, dass er so schnell keine Verhandlungen mehr so wie im März 2022 anzubieten braucht, der sollte sich viel mehr Gedanken darüber machen, wie er sich von den bald ankommenenden Haselnüssen in Deckung bringen kann. Er sollte sich zumindest, neben etlichem anderen, auch gut überlegen. – wirklich gut – den Bosporus für Schiffe mit weißblauroter Kriegsbeflaggung dicht zu machen. Auch wenn der sowieso auf ihn nicht besonders gut gestimmte Onkel von overseas es so wahnsinnig gerne hätte.

    Und Recep wäre nicht der letzten einer der involvierten Hütchenspieler. Zu Zeiten der Idlib-Beschlüsse das vorige Mal war die Lage ja noch eine ganz andere. Haselnüsse gab noch nicht, nur ein paar für Ruhe sorgende Düsenflieger nebst – wie immer behauptet von angeblich gut unterrichteten Kreisen – steter Fassbomben-Bewurf. Egal ob manchem Anrainer an den umkämpfen Landstrich Syrien – den von dem bösesten Machthaber aller Zeiten nach Putin versteht sich – jetzt gehörig die Muffe geht oder eher wohl doch die Gelegenheit günstig erscheint, den gordischen Knoten 2.0 dann doch vorher fürsorglich durchzuhauen, ohne den einen oder anderen Waffengang wird es wohl kaum gehen. Schaun’mermal! Ein weises Wort unserer ehemaligen Lichtgestalt zu seinen Lebzeiten.

    „From the river to the sea“

  2. […] Das erneute Scheitern der Vereinbarungen zu Idlib04.12.2024, 06:47 Uhr. Peds Ansichten – https: – Das Einfrieren von Konflikten konserviert diese, ohne sie zu lösen. Das gilt auch für Syrien. So gesehen, könnte man zu der Auffassung gelangen, dass die russische Politik, die geduldig Lösungen auf dem Verhandlungswege anstrebt und dabei alle Konfliktteilnehmer einbindet, auch in Syrien eindrucksvoll gescheitert ist. Die islamistischen Extremisten… […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert