Der Kapitalismus macht die Menschen von sich abhängig, indem er ihnen die Eigenverantwortung nimmt.


Das kapitalistische System treibt — trotz gegenteiliger Propaganda — die Menschen systematisch in die Unselbstständigkeit. Viele können sich heutzutage ein Leben ohne die große Palette an Waren und Dienstleistungen des Turbokapitalismus gar nicht mehr vorstellen. Dieses Wirtschaftssystem ist die Hauptbezugsquelle für Güter und Dienstleistungen des täglichen Lebens. Auf diese Weise verlernen die Menschen nicht nur elementares Wissen über die Natur, die sie umgibt und ernähren könnte — sie begeben sich auch in ein System der Unfreiheit und werden zum Spielball von Kapitalinteressen. Gerade die Coronakrise hat gezeigt, wohin diese Unfreiheit führen kann. Wollen wir unsere Freiheit zurückerlangen, müssen wir wieder Eigenständigkeit in Denken und Handeln erlernen.


Vorab: Dieser Artikel von Felix Feistel wurde am 14. September 2024 auf der Online-Plattform Manova erstveröffentlicht. Die Republizierung auf dieser Seite erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Autors.


„Eigenverantwortung“ ist im neoliberalen Kapitalismus eine gern genutzte Phrase, um den Abbau des Sozialstaates voranzutreiben und die Menschen zu egoistischen, ideologiegesteuerten und profitgierigen Ich-AGs zu erziehen. Die Menschen müssten, so das Argument, sich in Eigenverantwortung üben und könnten nicht vom Staat abhängig bleiben. Dies, so wird fortgeführt, sei der Weg in den Sozialismus, indem der Staat gegen die Logik des Marktes agiere, auch „nutzlose“ und „faule“ Schmarotzer durchfüttere und sie dazu ermuntere, faul und nutzlos zu bleiben.

Vieles an dieser Ideologie ist menschenverachtend und zutiefst faschistisch: die Einteilung der Menschen in nutzlose und nützliche, die ideologische Propagierung eines „Naturzustandes“, der von der Kraft des Marktes beherrscht wird, die bereits religiöse Züge annimmt. Dennoch ist eine Sache nicht falsch: Die Menschen verlernen tatsächlich, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, allerdings anders, als die neoliberale Propaganda das darstellt. Denn dieser zufolge sollen die Menschen gar nicht erst Eigenverantwortung übernehmen, sondern sich nur von einer anderen Instanz abhängig machen, nämlich dem geheiligten Markt, sich seinen Regeln und Gesetzen unterwerfen und sozusagen seinen Willen erfüllen, indem sie ihm dienen.

Dabei ist es das kapitalistische System, das die Menschen systematisch in die Abhängigkeit und Unselbstständigkeit führt. Die Menschen sind heute überhaupt nicht mehr in der Lage, selbstständig zu überleben. Das beginnt mit der zunehmenden Spezialisierung, die beinahe jeden einzelnen Menschen zu einem Fachidioten macht. Die meisten Menschen beherrschen nur ein sehr beschränktes Repertoire an Fähigkeiten.

Waren die Menschen in vorindustriellen Zeiten Generalisten und in der Lage, eine ganze Bandbreite an Tätigkeiten auszuführen, die sie für ihr tägliches Überleben brauchten, wie Gemüse und Getreide anpflanzen, Tiere halten und eine ganze Reihe von handwerklichen Arbeiten, so ist heute kaum noch jemand in der Lage, über den begrenzten Horizont seines erlernten Berufes hinaus zu blicken.

Das jedoch ist eine Folge des kapitalistischen Systems, das immer weitere Spezialisierung erforderlich macht. Es gibt heute so viele Berufe wie nie zuvor, und gerade deshalb sind die Menschen immer unfähiger, auch nur die grundlegenden Anforderungen des Lebens selbstständig zu erfüllen. Geht in der Wohnung oder im Haus etwas kaputt, wird der Handwerker gerufen; hat man Hunger, geht man einkaufen; und wer selbst die Zubereitung des Essens nicht beherrscht, der bestellt einfach ganz bequem bei einem der zahlreichen Lieferdienste. Im täglichen Leben muss man sich beinahe um nichts mehr selbst kümmern, denn für alles gibt es einen Spezialisten, den man rufen kann. Alles, was man zu tun hat, ist, die eigene Profession auszuleben, anschließend nach Hause zu gehen und es sich dort bequem zu machen. Und genau das ist diese Daseinsform auch: unglaublich bequem. Man ist kaum noch genötigt, sein Leben selbstständig zu organisieren. So viele Dienstleister und Hersteller nehmen einem die Arbeit schlichtweg ab.

Doch selbst, wenn es anders gewollt wäre — ein eigenverantwortliches Leben ist heutzutage kaum noch möglich. Das fängt schon mit der Ernährung an. Denn um seine Ernährung in die eigenen Hände zu nehmen, bräuchte man große Flächen Land. Diese jedoch sind heutzutage alle bereits in privater Hand und nicht wenige davon in der Hand großer Investoren, welche professionelle Landwirte darauf beschäftigen, in Abhängigkeit von sich und in Erwartung von Profiten. Die Spekulation mit Boden führt zudem dazu, dass die Preise für Grundstücke immer weiter in die Höhe schießen, sodass eine Privatperson ohnehin nicht in der Lage dazu wäre, Land zu kaufen. Land zu kaufen, um darauf Nahrung anzubauen, ist also eine schwierige, kostspielige Angelegenheit.

Hinzu kommt das erforderliche Wissen, die lange Erfahrung, die notwendig wären, um den Boden zu bestellen, die Pflanzen zu ernten und zu verarbeiten. Dieses Wissen ist im Zuge der Industrialisierung weitgehend verloren gegangen. Heutzutage wird mit industriellen Methoden, Maschinen, Kunstdüngern und Pestiziden Nahrung in großen Monokulturen angebaut. Das wiederum bringt nicht nur schwache und giftige Nahrungsmittel hervor, sondern zerstört auf Dauer auch den Boden. Alle anderen Formen der Landwirtschaft sind heutzutage kaum vorstellbar, was sich auch in der Reaktion von Bauern auf Zeilen wie diese widerspiegelt.

Auf diese Weise sind wir abhängig von den großen Supermarktketten, die letztlich auch die Preise für die Nahrungsmittel bestimmen, weshalb die Bauern ebenfalls abhängig von diesen sind. So ist der Mensch abhängig vom Kapital, das natürlich darauf abzielt, so viele Konsumenten wie möglich zu haben und so hohe Profite wie möglich zu erzielen. Hinzu kommen extreme, staatliche Regulierungen, die zudem immer weiter zunehmen und es auf diese Weise Einzelpersonen immer mehr verunmöglichen, sich um ihre Nahrungsmittel selbst zu kümmern.

Dasselbe gilt für alle anderen Aspekte des Lebens. Der Bau eines Hauses, die Versorgung mit Wasser, Wärme und eventuell Strom? Alles nicht nur staatlich streng reguliert, unter anderem mit einem Anschluss- und Benutzungszwang, der einen dazu nötigt, sein Haus an die öffentliche Versorgungsinfrastruktur anzuschließen, die natürlich nicht kostenlos ist. Hinzu kommt, dass für all das Materialien gebraucht werden, die allein das kapitalistische System bereitstellt. In den Wald gehen und Bäume fällen, um eine Blockhütte zu bauen oder Feuerholz zu schlagen, ist nicht nur nicht erlaubt, sondern erfordert auch Werkzeuge, die man kaufen muss. Für alles braucht man eine Genehmigung, die natürlich nicht einfach so erteilt wird.

Zudem sind wir vollkommen abhängig vom Strom. Alles läuft heutzutage über Elektrizität. Ohne Strom gibt es keine Wasserversorgung, die Supermarkttüren öffnen nicht, die Kassensysteme funktionieren nicht, und es wäre auch nicht möglich, Geld abzuheben, um einkaufen zu gehen. Das Versorgungsnetz befindet sich aber, ebenso wie das Kommunikationsnetz, in der Hand des Staates, und kann von diesem jederzeit als Waffe gegen die Menschen eingesetzt werden.

Letztlich sind wir auch überall abhängig vom Geld. Denn ohne Geld kann man auch die Werkzeuge und Materialien nicht kaufen, die man braucht, um sich unabhängig zu machen. Zudem erhebt der Staat Steuern auf Grundstücke, sodass man selbst bei einem hohen Grad der Selbstversorgung an Geld gelangen muss, um die Steuern zu bezahlen. Hinzu kommt der Zwang, in eine Kranken- und Rentenkasse einzuzahlen.

Auch politisch sind wir vollkommen unselbstständig. Denn die öffentlichen Angelegenheiten werden von Parlamenten und Behörden geregelt. Hier wählen wir alle paar Jahre sogenannte Volksvertreter, die dann über unseren Kopf hinweg Entscheidungen nach ihrem Gutdünken treffen und uns diese aufzwingen. Behörden setzen das dann um — meist zum Schaden der Bevölkerung.

Es ist überhaupt nicht möglich, sich selbst zu organisieren und von diesem System unabhängig zu machen, da man im Zweifelsfall schnell als terroristische, verfassungsfeindliche Zelle zerschlagen wird. Staat und Kapital wollen nämlich überhaupt keine unabhängigen Menschen. Sie üben gerade über die Abhängigkeit Macht aus, sichern sich so das Macht- und Marktmonopol und damit auch die Profite. Der vom Kapital schon vollkommen durchsetzte Staat nutzt seine Macht, um die Menschen in die Arme des Kapitals zu treiben, wie der Zwang zur Genspritze in Zeiten des Coronafaschismus gezeigt hat. Dasselbe versucht das Kapital über staatliche und zwischenstaatliche Organisationen mit der Landwirtschaft, die vollkommen in der Hand des Kapitals monopolisiert werden soll, weswegen Kleinbauernbetriebe zerschlagen werden müssen.

Das System treibt die Menschen also gezielt in Abhängigkeit und Unselbstständigkeit. Doch an diese haben sie sich auch schon längst gewöhnt und geben sogar noch großzügig die Verantwortung für ihr gesamtes Leben ab.

Gut beobachten lässt sich das am Beispiel der Corona-Genspritzen. Viele Menschen haben sie sich einfach unhinterfragt verabreichen lassen, ohne kritisch zu hinterfragen, ob das wirklich eine gute Idee ist. Schlimmer noch, sie haben diejenigen, die damals gewarnt haben, die darauf aufmerksam gemacht haben, dass die Pandemie eine Fälschung ist und keine der Maßnahmen irgendeine Wirkung hat, ausgelacht, diffamiert, beleidigt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Sie haben die Verantwortung für sich, ihre Gesundheit und ihr Leben an den Staat und die Genspritzenkonzerne abgegeben.

Jetzt leiden viele von ihnen an den Folgen; nicht wenige sind gestorben, andere für den Rest ihres Lebens schwer beeinträchtigt. Noch mehr haben ein zerstörtes Immunsystem und sind andauernd krank. Das ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man die Eigenverantwortung an andere Instanzen delegiert. Doch die Betroffenen wenden sich jetzt erneut an dieselben Instanzen, die sie in diese Situation getrieben haben, und verlangen, dass sie sich um sie kümmern. Verblendeter und verantwortungsloser kann man kaum noch sein. Was erwarten sie denn von diesen Instanzen, die alles daran gesetzt haben, sie zu töten und schwer zu verletzen? Von Anfang an war das Ziel, den Menschen diese Schäden zuzufügen, warum sollten die Täter sich nun entschuldigen und den Opfern zu Hilfe eilen? Erwartungsgemäß werden diese Menschen auch ignoriert. Hätten sie die Verantwortung für ihr Leben in die eigenen Hände genommen, wären sie heute nicht in einer solchen Situation.

Doch auch in der Opposition ist von einer echten Verantwortungsübernahme wenig zu sehen. Auch hier gibt man die Verantwortung wieder ab, nur eben an andere Instanzen.

Man hofft, von anderen Parteien wie der AfD, der Werteunion oder der BSW erlöst zu werden. Anstatt das Leben in die eigenen Hände zu nehmen, läuft man nur dem nächsten Anführer hinterher und erhofft sich von diesem die Lösung für all seine Probleme.

Das kann natürlich nicht funktionieren, weil auch dieser neue Anführer seine eigene Agenda hat und ohnehin alle Parteien in dieser Pseudodemokratie im kapitalistischen System eingepreist und Agitatoren des Kapitals sind, zumindest jene, die zu relevanter Größe heranwachsen.

Der Dienstleistungskapitalismus hat die Menschen jeder Verantwortung enthoben. Warum sich auch noch Gedanken machen, wenn man die gekaufte Ware jederzeit zurückschicken kann? Warum darüber nachdenken, woher das Essen kommt, wenn man es doch bequem bestellen kann? Sogar die Verantwortung für die Umwelt wird kapitalisiert und an Konzerne ausgelagert. Man kann „grün und umweltbewusst“ konsumieren, was natürlich nur bedeutet, dass die Umweltzerstörung in andere Teile der Welt ausgelagert wird. Der Konzern und die Werbung nehmen einem die Verantwortung, ja selbst die eigene Entscheidung ab und reinigen das Gewissen mit wohlklingenden Phrasen. Für jedes, meist erst künstlich geweckte Problem gibt es eine schnelle Lösung. Schmerzen? Nimm diese Pille. Müdigkeit? Trink diesen Energydrink und performe wieder bei der Arbeit oder in der Freizeit. Keine Freundin? Dann verabrede dich auf der Datingplattform für ein schnelles Abenteuer.

Dieser Wohlfühlkapitalismus hat in den Menschen die Vorstellung geweckt, dass es für jedes Problem, ob eingebildet oder real, eine schnelle, einfache Lösung gibt. Diese Vorstellung wird in die gesellschaftliche und politische Sphäre übertragen, und so läuft man nur dem nächsten Heilsbringer, der nächsten Partei oder dem Anführer als Fast-Food Lösung für die eigene Unzufriedenheit hinterher, nur um dann, nach einem kurzen Zuckerschock, wieder in eben jene Unzufriedenheit zu versinken. Und so werden die Menschen zum Spielball politischen Theaters, das in der Regel nicht mehr ist als eine Ablenkung von den wahren Ursachen der Unzufriedenheit, Unfreiheit, Armut oder Krankheit.

Die Menschen werden beständig in ihre eigene, wachsende Unfreiheit hinein manipuliert, indem man sie davon überzeugt, dass diese Oppositionspartei die Freiheit bringe, obwohl sie eine Agitatorin des Finanzkapitalismus ist. Anstatt Eigenverantwortung zu übernehmen und die Probleme des Systems, nämlich die Abhängigkeit von Staat und Kapital, bei der Wurzel zu packen, werden nur billige Scheinlösungen propagiert.

Und nein, hier gibt es keine schnelle Lösung. Es ist ein langwieriger Prozess, der in die Freiheit führt.

Es gibt auch kein Patentrezept. Man kann sich ein paar mögliche Wege überlegen, doch es ist nicht garantiert, dass sie tatsächlich in die Freiheit führen. Im Hinblick auf die Abhängigkeit der Nahrungsmittelversorgung vom Kapital könnte man sich zum Beispiel zusammenschließen und die Landwirte unter Umgehung der Supermarktketten gemeinschaftlich finanzieren. Im Gegenzug erhielte man die Früchte der Arbeit, also Nahrung. Das ist das Konzept einer solidarischen Landwirtschaft, die den Bauern mehr Spielraum gibt und sie weniger abhängig von Konzernen macht. Weiterhin kann ein jeder anfangen, in seinem Garten oder auch auf öffentlichen Plätzen Gemüse und Obst anzubauen. Damit ist die Abhängigkeit von Geld und vom System noch nicht überwunden, aber es ist ein erster Schritt in die Eigenständigkeit.

Weiterhin gibt es Beispiele für Energiekraftwerke, welche die Bürger selbst in Form von Genossenschaften besitzen und warten und welche die Energieversorgung eines Ortes sicherstellen. Auf diese Weise kann man sich unabhängig von der Energieinfrastruktur eines Landes machen. Auch dies ist noch nicht die Lösung für alles, aber eine weiterer Schritt in Richtung Freiheit und Eigenverantwortung. So kann man in jedem Bereich des täglichen Lebens neue Wege ausprobieren, um die Abhängigkeit vom System zu reduzieren und sich in Richtung Freiheit zu bewegen.

Solche Schritte erfordern auch eine politische Zusammenarbeit. Man muss sich zusammensetzen, um über die Belange abzustimmen, in diesem Fall eben die Nahrungsmittel. Man muss sich überlegen, was benötigt wird, in welchen Mengen und was nötig ist, um diese zu erlangen. Dazu muss man sich mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen und zu einer Einigung kommen, etwas, das wir im atomisierten Dienstleistungskapitalismus auch nicht mehr gewohnt sind.

Doch all das ist, ob bequem oder nicht, notwendig, wenn wir nicht der Spielball von Konzern- und Kapitalinteressen bleiben wollen, der wir bislang sind. Nur ein konsequenter Entzug der Unterstützung dieses Systems kann letztlich in die Freiheit führen — und dazu ist es notwendig, jeden Bereich des Lebens vollständig anders zu organisieren.

Glücklicherweise gibt es für vieles schon positive Beispiele überall auf der Welt. Man muss sie nur auf die eigene Situation übertragen. Und so können wir, Schritt für Schritt, die Verantwortung für unser Leben wieder in die eigenen Hände nehmen und wachsen auf diese Weise in die Freiheit hinein. Der schöne Nebeneffekt ist, dass wir eine ganze Reihe von Fähigkeiten neu erlernen können und damit auch persönlich wachsen (1).

Danke, Felix Feistel. Bleiben Sie bitte schön achtsam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel ist eine Zweitverwertung der originalen Veröffentlichung auf dem Online-Magazin Manova. Die Veröffentlichung erfolgte mit freundlicher Genehmigung des Autors.

(1) 14.09.2024; Manova; Felix Feistel; Erlernte Hilfosigkeit; https://www.manova.news/artikel/erlernte-hilflosigkeit-3

(Titelbild) Hand, Suche, Hilflosigkeit; 30.01.2021; Autor: unbekannt (Pixabay); https://pixabay.com/de/photos/hand-erreichen-finger-5961660/; Lizenz: Pixabay License

8 Gedanken zu „Erlernte Hilflosigkeit“
  1. Ich lese Herrn Feistels Texte immer wieder sehr gern und stimme ihm auch bei diesem vollumfänglich zu, wenn es um die Beschreibung des Problems geht. Aber wie fast alle, die diese Probleme benennen, geht auch Herr Feistel von einem Menschenbild aus, das so nicht existiert. Der Mensch in der Wohlstandsgesellschaft wird geistig und körperlich träge. Nicht alle, aber die meisten. Der Mensch erkennt also gar nicht das benannte Problem als Problem, sondern fühlt sich wohl in diesem Zustand und wird auch dann, wenn es immer wieder Einzelne gibt, die darauf hinweisen, dass nur der Mensch selbst etwas ändern kann, nicht von seinem bequemen Leben abweichen. Das kann jeder feststellen, der schon mal im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis versucht hat, die anderen im Gespräch zu erreichen. Da ist es auch unerheblich, wer die „Schuld“ am Niedergang trägt, ob eine Religion, ein König, der Kapitalismus, eine Ideologie … Jede Gesellschaft fällt nach einem Aufstieg nach unten, bis sie auf dem harten Boden aufprallt. Erst dann wird sie sich wieder berappeln. Aber trotzdem nicht daraus lernen, es wird genauso wieder passieren: Aufstieg und Niedergang. Das wussten schon die Klugen der Griechen, die des Römischen Reiches, die von vor 150 Jahren und auch die von heute. Aber noch nie hat eine Gesellschaft und noch nie haben die Menschen, die diese Gesellschaft bilden, aus der Geschichte gelernt.

    1. Corinna, Ihre Worte verstehe ich als Negieren von jeglicher gesellschaftlicher Entwicklung, als wäre der Mensch heute (im Schnitt) so unfrei wie in der Sklavenhaltergesellschaft oder auch im Feudalismus. Oder aber meinen Sie, das bevorstehende Ende „westlicher“, mithin kapitalistischer oder imperialistischer Ordnung wollte zum Untergang zurück in die „Steinzeit“, eine Art neuer Urgesellschaft führen?

      1. Ja, man könnte es fast so nennen, das Negieren von gesellschaftlicher Entwicklung. Was unterscheidet uns denn von den Menschen von vor 2000 oder 200 Jahren? Dass wir immer mehr Technik nutzen? Dass wir fließendes Wasser haben? Dafür sind wir überheblich geworden, wir haben keine Demut mehr und keinen Respekt vor dem Natürlichen. Wir zerstören unsere unmittelbare Umwelt, sind aber der Meinung, das Klima beeinflussen zu können, egal in welche Richtung. Ist das nicht ein bisschen zu groß für uns?
        Wir halten uns für aufgeklärt und trotzdem haben politische Ränkespiele z. B. zum ersten Weltkrieg geführt. Wir als europäische Gesellschaft sind heute der Meinung, anderen Gesellschaften den moralischen Zeigefinger vor die Nase halten zu können, und lassen nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit zu, dass der Gegenüber recht haben könnte und nicht wir.
        Und wo sind wir denn frei? Wir sind auch nichts anderes als Arbeitssklaven, auch wenn wir heute mit völlig anderen Mitteln zur Unfreiheit gebracht werden. Das zählt Herr Feistel in seinem Text alles auf. Und zur Ergänzung: Auf Demonstrationen, die der Regierung nicht passen, steht man als harmloser Bürger mit einem Pappschild in der Hand plötzlich Wasserwerfern gegenüber, wird von der Polizei eingekesselt und nach Stunden nur gegen Angabe seiner Personalien und wie bei Verbrechern im Film gegen Fotos seines Kopfes von vorn und von der Seite gehengelassen. Und die große Mehrheit applaudiert noch dazu. Gesetze werden geschaffen, um uns immer weiter einzuschränken, mit der Begründung, das diene unser aller Sicherheit. Und ich sehe nirgendwo Millionen Menschen gegen diese Freiheitseinschränkungen meutern. Im Gegenteil, Denunziantentum und das Zerstören von Existenzen greifen um sich. Mitgefühl und Verstand in einem ausgewogenen Verhältnis sind offensichtlich abhanden gekommen, falls es sie überhaupt jemals gab.
        Und auf welchem Gebiet hätten wir denn jemals aus der Geschichte gelernt? Gerade die jetzige Zeit ist doch ein Paradebeispiel für dieses Nicht-sehen-Können, wo wir momentan hinsteuern. Mit unserer Gesellschaft geht es immer schneller abwärts und die meisten Mitglieder der Gesellschaft wirken tatkräftig daran mit. Und alle meinen es gut und sind überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. Nur wenige sehen die Parallelen zu früheren Auf- und Abstiegen. Der Grieche Polybios hat das zu seiner Zeit erkannt, Gustave le Bon beschreibt das 1895 in „Psychologie der Massen“ sehr gut und heute haben wir dafür Menschen wie Rainer Mausfeld.

        1. Corinna, Ihrer Sichtweise ist m. M. n. widersprüchlich, wenn sie einerseits – jegliche – gesellschaftliche Entwicklung negieren, aber andererseits die „Bequemen“ verantwortlich machen. Wofür verantwortlich? Für ein Unterbleiben der Entwicklung, die es ohnehin nicht gibt?
          Auch Ihr „Auf“ und „Ab“ von Gesellschaften und Ihr Negieren von gesellschaftlicher Entwicklung widersprechen sich.
          Sie können mir gern vorhalten, dass ich die zu meiner Überzeugung reale gesellschaftliche Entwicklung mit dem schwammigen Begriff der (zunehmenden) Freiheit recht lachs zu fassen versuchte. Dann will auch ich nachbessern: Eine gesellschaftliche Entwicklung lässt sich anhand zunehmend verwirklichter Menschenrechte nachweisen. Oder andersherum: Die gesellschaftliche Reaktion besteht aktuell gerade darin, die Menschenrechte wieder einzudämmen, zu entziehen (Redefreiheit, Meinungsfreiheit, körperliche Selbstbestimmung u.a.m.).

          1. Vielleicht reden wir von zwei verschiedenen Dingen? Ich mache niemanden dafür verantwortlich, ich sehe es als Fakt an, dass es diese Sinusverläufe von Gesellschaften gibt. Der Mensch wird viel mehr von Instinkten geleitet, als er wahrhaben will. All die Dinge, die wir unter Fortschritt zusammenfassen, sind meiner Meinung nach nicht zwingend die Dinge, die uns als Gesellschaft positiv verändern. Natürlich gibt es Errungenschaften, die man als Verbesserung sehen kann, wie eben das Formulieren von Menschenrechten. Man kann auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau als Errungenschaft sehen. Muss man aber nicht. Das könnte genausogut auch ein erstes Zeichen des Abwärtstrendes sein.
            Das sind aber nicht die Dinge, die ich meine, wenn ich davon spreche, dass es dieses Auf und Ab gibt. Fortschritt ist immer eine Ansichtssache, aber nicht absolut. Was einer als Fortschritt sieht, kann unter anderen Gesichtspunkten als Rückschritt gewertet werden. Und jeder sogenannte Fortschritt und jede sogenannte Errungenschaft ist nicht gleichbedeutend mit einem Aufstieg einer Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die noch die Sklaverei als normal und nur bestimmte Männer als Bürger ansah, wie die alten Griechen, waren trotzdem eine Gesellschaft, die genau mit diesen Inhalten erst auf- und dann abstieg. Dass die Sklaverei, wie sie damals praktiziert wurde, später abgeschafft wurde, ist kein Zeichen für einen gesellschaftlichen Aufstieg. Auch das Römische Reich hatte völlig andere Gesetze und Wertevorstellungen, auch dort gab es erst einen Aufstieg und dann den Untergang. Was sich über viele hunderte Jahre zog. Die Formulierung von Menschenrechten hätte das nicht aufgehalten.
            Nur weil wir in einer anderen (moderneren) Zeit leben, andere Möglichkeiten haben, im Positiven wie im Negativen (Folter gibt es nach wie vor, nur mit anderen Mitteln), heißt das nicht, dass die Gesellschaft nicht trotzdem dekadent wird und absteigt. Und so steigen wir trotz aller vermeintlichen Errungenschaften ab, also hat am Ende doch keine wirkliche Entwicklung stattgefunden. Zumindest keine, die diesen Abstieg aufhält. Ob sich beim nächsten Aufstieg etwas ändert, wage ich zu bezweifeln, denn obwohl die Ähnlichkeiten zum Römischen Reich frappierend sind, lernt ja niemand daraus.
            Wir beide haben da sicher verschiedene Meinungen, die können wir aber gern auch einfach so stehenlassen.

  2. Die lese Empfehlung zum Thema Agrar+ alternativen
    https://www.florianschwinn.de/wordpress/podcast/
    oder auch im Overton Magazin ist Herr Schwinn als Autor tätig.
    Was mir in vielen Diskursen auffällt ist, das der ‚deutsche‘ immer gern alles über seinen Kamm schert und andere versucht auch so zu scheren.
    Das ist m. M. n. nicht Ziel führend, da wir uns zuerst erkennen sollen und nach Möglichkeit sich selbst zu ändern. Wer das geschafft hat, kann ja dann versuchen inwieweit diese Person in der Lage ist, seine Familie dafür zu begeistern…
    Das wird man im westlichen Gebilde kaum verwirklichen, da fast jede einstige gesunde Struktur gespalten wurde. Traurig, aber wahr und das erhielt ich von meiner übrig gebliebenen Familie bestätigt. Der ’neue‘ eingeschlagene Weg, hatte ich trotzdem weiterverfolgt und über die Jahre hinweg, kam dann der übrig gebliebene Rest und fing an zu fragen.
    Damit habe ich selbst in den vielen Jahren meines Tuns, etwas bestätigt erhalten, an den Taten wirst ‚DU‘ gemessen, aber nicht mit unseeligen Geschwätz andere zu überzeugen.
    So und nicht anders, habe ich diesen Artikel aufgenommen, da dieser Artikel an jeden einzelnen Leser gerichtet ist und nicht an einem Kollektiv.
    MfG

  3. Ich möchte zu diesem Thema mal ein alltägliches Erlebnis schildern. Als mit Ü50 vom System ausgespuckter Prüf- bzw.Reparaturelektroniker gehe ich trotz inzwischen zehnjähriger Erwerbslosigkeit einer Beschäftigung nach. In den Jahren habe ich gelernt, daß der Mensch ohne Beschäftigung nicht leben kann. Mit meinen hochqualifizierten Fähigkeiten bin ich bestrebt, der Gesellschaft für mein kärgliches Auskommen Namens Bürgergeld etwas zurückzugeben. Also habe ich mir im Ort einen Namen gemacht und repariere kostenfrei allerlei Dinge, welche im Normalbetrieb Strom zu nützlichen Funktionen wandeln. Neben Reparaturen richte ich diverse Kommunikationsgeräte wie Smartphones, TVs, Mediengeräte oder Router ein, um insbesondere Menschen der älteren Generation Unterstützung zukommen zu lassen. Kostenfrei – versteht sich. Nur wenn ich Ersatzteile beschaffen muß, hole ich vorher das Einverständnis und lasse mir die notwendige Summe aushändigen. Das wird in meinem Umfeld dankend angenommen und rege genutzt. Was mir aber auffällt ist, daß gerade Menschen der jüngeren Generation des einfachen Denkens nicht nur nicht fähig, sondern erst garnicht bereit sind. Sie kaufen nicht nur Dinge, welche sie überhaupt nicht brauchen, sondern sie können erst recht mit diesen Dingen garnicht umgehen. Vor ein paar Tagen wurde mir eine JBL-Minibox ausgehändigt mit der Aussage, daß deren USB-Player nicht funktioniert. Dabei war an der Box schon äußerlich zu erkennen, daß Mediatasten wie Stop/Pause/Play garnicht vorhanden sind. Auf Nachfrage bzüglich Bedienungsanleitung kam ein schnödes „Wer braucht denn sowas?“ Als ich sie aufkläre glotzen sie mich an und dann kommt tatsächlich „Woher soll ich das denn wissen?“. Diese Form von hochgradiger (sorry) Verblödung setzt sich ja nicht nur im technischen, sondern auch im kommunikativen Umgang fort. Alles, was geringste Anstrengung fordern könnte wird beiseite geschoben. So sind sie ein leichtes Opfer im Haifischbecken dieser gewinngesteuerte Gesellschaft.
    .
    Sorry, ich war nioch nicht fertig mit meinem Kommentar. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja …“So sind sie ein leichtes Opfer im Haifischbecken dieser gewinngesteuerten Gesellschaft.“ Wie es der Autor des Artikels treffend beschreibt, läßt sich in allen Lebensbereichen eine Art schleichende Degeneration feststellen. Kein Wunder, wird doch seit der Erweiterung der Medienlandschaft medial und im alltäglichen Leben die Gesellschaft von den Machthabern regelrecht bombardiert. Daß dieses Bombardement etwas angerichtet hat, konnte jeder deutlich am Geschehen der sog. Pandemie (für mich war es eine Grippeepidemie) nachvollziehen, sofern er des eigenständigen Denkens noch fähig war/ist. Doch selbst nach der Offenlegung der Tatsachen, ist die Mehrheit entweder nicht in der Lage oder nicht willens, aus den Widersprüchen zu lernen. Kann ich in meinem Umfeld beobachten. Ein guter Freund, in Ostdeutschland großgeworden zerfrisst sich regelrecht vor Hass auf alles Russische. Warum? Er war nie in Rußland und kennt auch sonst keinen Russen persönlich. Aber er liest (schon immer) den Spiegel und hält sich tatsächlich für intelligent. Sein Konsum beschränkt sich tatsächlich ausschließlich auf den Mainstream. So waren Konflikte in der eigenen Familie unausweichlich, da er seine Tochter auf Impfung ihrer Kinder drängte. So konnte ich direkt nachverfolgen, was der Mainstream in den Köpfen anrichtet. Selbst nach der Vorführung von Beweisen – keine Bereitschaft zur Einsicht, nicht zum einen und nicht zum anderen Thema. Momentan „genießen“ wir die letzte Phase einer weltweiten Kapitalisierung der Gesellschaft, die mediale Verdummung der Gesellschaft bis zur Aufgabe des eigenen Willens ist nur ein Mittel des Kapitals, die Gesellschaft für ihre Zwecke gefügig zu machen. Nach meinen Ansichten ist dieser Vorgang irreparabel. Die Zerstörung ist bereits allgegenwärtig. Wenn in Gaza oder im Libanon inzwischen wieder ganze Städte zu Asche bombardiert werden, wenn EU-Parlamentarier offen ihren Hass auf friedenssuchende Mitglieder projizieren, wenn die westlichen Medien den offenen Faschismus des ukrainischen Regimes ignorieren, ist das Ende einer friedlichen Gesellschaft schon eingeläutet. Sie werden nicht aufgeben, bis wirklich alles zerstört ist. Die junge Generation wird keine Zukunft haben, wenn sie diese Alarmzeichen nicht wahrnimmt. Ich befürchte, daß sie garnicht mehr in der Lage ist, sie wahrzunehmen.

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