Was den Untergang für die Einen bedeutet, sehen die Anderen als hoffnungsvollen Neuanfang.
Denn schließlich ist es eben nicht so, dass der Untergang der einen Ordnung zwangsläufig den Übergang in ein Chaos einschließt. Eine solche Sichtweise würde auch kaschieren, dass die bisher im Informationsraum als alternativlos gepriesene „regelbasierte Ordnung“ Chaos in vielen Teilen der Welt schuf. Denn diese Ordnung ist ein täuschendes Narrativ.
Die sogenannte regelbasierte Ordnung ist auch eine sogenannte Werteordnung. Der sich die „Wertegemeinschaft”, der „Wertewesten“ angeblich verpflichtet und sich ihre Mitglieder verbunden fühlen. Was alles sehr schön und anheimelnd klingt. Das soll es auch. Diese Sprache ist Vorsatz — und sie beinhaltet eine grundsätzliche, vorsätzliche Täuschung. Sie spricht unsere Gefühle an. Sie täuscht uns das Gute an sich vor. Die über diese Sprache transportierte „regelbasierte Ordnung“ suggeriert uns unermüdlich das Ende der Welt, zumindest das Ende der „guten Welt“, sollte sie, die „regelbasierte Ordnung“, angegriffen und zerstört werden.
Aber wenn die „regelbasierte Ordnung“ zerstört wird, dann nicht durch irgendwelche von den „Ordnungshütern“ ernannten Gegner, sondern höchstselbst durch sich selbst. Vielleicht bricht sie auch aufgrund ihrer unheilbaren Gebrechen einfach in sich zusammen, löst sich gar auf. Denn diese „regelbasierte Ordnung“ ist selbstzerstörerischer denn je. Ihre Auswüchse sind nihilistisch. Ihre Bemühungen um Selbsterhalt sind nach außen gerichtet. Das System der „regelbasierten Ordnung“ ist unfähig, Heilung in sich selbst zu suchen.
Ständig schauen die Protagonisten der „regelbasierten Ordnung“ in den Spiegel, und immer nur erkennen sie andere, nie aber sich selbst. Sie sind regelrecht entkörpert, leere seelenlose Hüllen, die alles hassen, was ihre eigenen Ersatzhandlungen und Fetische stört. Fetische voller infantiler, maßloser Gier. Sie hassen die Ordnung anderer Systeme, weil diese ihren eigenen wahnhaften Zugriff einschränken, gar verhindern.
Die „regelbasierte Ordnung“, von der hier die Rede ist, sie ist subjektivistisch und zentristisch. Sie stellt das gestörte Ego der Ordnungshüter in den Mittelpunkt. Das System und die Träger der „regelbasierten Ordnung“, die nicht einmal mehr in der Lage sind, in echter Verantwortung für sich selbst zu sorgen, und stattdessen parasitär am Unglück anderer „verdienen“ — sie stellen sich als Maß aller Dinge dar. So, wie sie im Spiegel sich selbst nicht erkennen, so unfähig sind sie auch, hinter den Spiegel zu schauen. Sie sehen im Spiegel den Aggressor in allen möglichen Ausprägungen — „Autokraten“, „Viren“, „dem Russen“, … (1) — und erkennen sich selbst trotzdem nicht. Den Verfechtern der „regelbasierten Ordnung“ geht die Fähigkeit zur Reflexion ab.
Der Begriff der „regelbasierten Ordnung“ ist ein Produkt von Propaganda, mehr nicht. Einzig dessen emotionale Bedeutung ergibt einen Sinn. Er suggeriert uns, dass es eine ganz besondere Ordnung wäre, die einzige, die auf Regeln basieren würde. Das halte ich für groben Unsinn, nicht emotionalen, sondern rationalen Unsinn. Emotionalen Unsinn gibt es im Grunde nicht. So wie es im Rationalen keine Ordnung ohne Regeln gibt.
Die gepriesene „regelbasierte Ordnung“ ist also semantisch Quatsch. Aber ihre emotionale Wirkung ist gegeben. Weil das angeblich Gute sich hier sehr schön gegen das Chaos, gegen eine Welt ohne Regeln, eine „da draußen“ stets drohende, finstere Welt positionieren kann (2). Das ist es, was die Träger der „regelbasierten Ordnung“ also im Spiegel sehen: das Chaos, für das sie selbst stehen, das sie im Außen anrichten und in das sie durch ihr eigenes Tun abrutschen.
Aber wer stellt die Regeln in der „regelbasierten Ordnung“ auf? Der Gute, der Edle, ein oder mehrere moralische Wächter? Wer soll das sein? Vielleicht in Deutschland der „Deutsche Ethikrat“? Kümmert der sich tatsächlich um Ethik? So, ob zum Beispiel Zwangsbehandlungen „ethisch“ legalisiert werden sollten (3)? Oder ist es „die Zivilgesellschaft“, übrigens ein weiteres unsinniges wie propagandistisches Kunstwort? Sind es gar Philanthropen, spendable Menschenfreunde, die durch die Gnade des Schöpfers wie eigenes Genie zu unermesslichem materiellen Reichtum gelangten und deshalb dazu berufen sind, zu „regeln“?
Oder stellt die bröckelnde „regelbasierte Ordnung“ dieser Tage nicht doch einfach nur das Regelwerk dar, was die aktuellen Träger von Macht und Herrschaft aufstellen? Was diese deshalb auch beliebig „anpassen“ und auslegen können (4) — und zwar aus sehr profanen Gründen?
Die „regelbasierte Ordnung“ ist die blumige, entstellende Begrifflichkeit für das derzeit geltende Machtsystem. Die hochgradige Kapitalisierung des Systems und die Zentralisierung der politischen Apparate und bürokratischen Institutionen wie auch deren gegenseitige Vernetzung hat zu bisher nicht dagewesenen Machtkonzentrationen geführt.
Die „regelbasierte Ordnung“ des Westens baut auf Hierarchien auf, in welchen politischen und ideologischen „Eliten“ klar definierte Aufgaben zugeteilt werden. Es sind natürlich keine Eliten, aber sie sollen sich so fühlen. Sie sollen dienen, sich dabei elitär abgrenzen und „gut fühlen“ können. Wobei sie genau beobachten, was ihre Herren von ihnen erwarten. Man muss es ihnen nicht befehlen, sie tun das Erwartete vorauseilend. Im „Idealfall“ sind sie sogar von ihrer vermeintlichen Rolle wie dem vorauseilendem Handeln zutiefst überzeugt. Aufgrund dieser Fähigkeit konnten sie auch in ihre „elitäre Position“ gelangen.
Doch ist Macht ein zerbrechlich Ding. So wie der Mächtige von seiner Macht überzeugt sein muss, braucht er auch sein Fußvolk, das ihn trägt, das an ihn als Mächtigen glaubt. Die Macht der Wenigen bedarf der Ohnmacht der Vielen. Auch Ohnmacht ist Glauben. Der allerdings zerbröselt, wenn man die Macht über sich selbst, auch Verantwortung genannt, in die Hände nimmt.
Im globalen Maßstab ist der Zerfall des unipolaren Machtsystems unter Kontrolle der „einzigartigen Nation“ zum Einen die Folge der inneren Widersprüche des Hegemons. Aber mindestens genauso wirksam ist der Trend hin zur Selbstbestimmtheit und Souveränität ganzer Nationen. Solche Bestrebungen mit brutaler Gewalt zu unterbinden, fruchten immer weniger, ja beschleunigen sogar die Erosion des bisherigen Machtzentrums.
Nein, der Untergang der „regelbasierten Ordnung“ wird nicht in das Chaos führen. Für die vermeintliche wie maßlos geglaubte und deshalb auch gelebte Allmacht mit all ihrem Hang zur Zerstörung gibt es Alternativen. Sie müssen also nicht einmal mehr geschaffen werden, sie existieren bereits. Globale Macht, deren Wesen eben auch in ihrem Zentrismus und gelebter Rücksichtslosigkeit auszumachen ist, die also fern von Empathie ist, wird einem sich derzeit bildenden Gleichgewicht verschiedener Mächte weichen.
Um ihre Stabilität zu sichern, sind die neuen Machtzentren gefordert, auf andere Paradigmen zu setzen. Dazu gehört, die Perspektiven der anderen Akteure zu verstehen und auf deren Interessen einzugehen. Dazu gehört echte Bereitschaft zum Konsens. Das erfordert auch die Anerkennung der Regeln, die in anderen Ordnungen gelten. Dazu gehört nicht, anderen die eigenen, auch noch frei ausgelegten und flexiblen Regeln nach Bedarf aufzuzwingen. Doch ist das noch nicht alles.
Denn tatsächlich muss das Narrativ geändert werden. Und das wird geschehen. Ja, es geschieht bereits. Und ausgerechnet der neue US-Präsident und sein Umfeld betreiben das sehr aktiv. Sie stellen neue Regeln auf. Sie verschieben Machtkonzentrationen. Das ist im Grunde das, was die USA immer getan haben. Aber Trump zerstört das Narrativ. Er sagt laut und deutlich, dass das US-Kapital die Rohstoffe Grönlands begehrt und die US-Politik die Insel geostrategisch stärker an sich binden will. Er sagt nicht, dass er die Demokratie in Grönland stärken und den „Wertewesten“ verteidigen will.
Nicht, dass Trump so aggressiv gegenüber Dänemark, einem EU- und NATO-Staat, auftritt, bringt die Wertepolitiker Europas in Wallung. Was sie beunruhigt, ohne dass sie es so recht verstehen, ist, dass Trump ihre öligen Narrative in den Lokus spült. Er, Musk und Vance sind entwaffnend offen. Sie zerstören die Matrix, den Schein. Sie entlarven die Lügen durch ihre unverblümte Offenheit. Sie räumen gewaltig im Informationsraum auf.
Das moralisch aufgeblasene, realitätsfremde Narrativ vom „Wertewesten“ und seiner „regelbasierten Ordnung“ ist dem Untergang geweiht. Aber damit geht natürlich nicht die Welt unter. Freilich könnte dafür eine ganze politische Kaste samt ihrer Wasserträger bald in Unterhosen dastehen. Sie dann zu federn und zu teeren, ist so charakterlos, wie es überflüssig ist.
So gesehen, kann uns der Untergang der „regelbasierten Ordnung“ doch optimistisch stimmen. Freilich sollten wir auch unsere eigene, sehr wohl wichtige Rolle in diesem Prozess wahrnehmen und aktiv leben.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Anmerkungen und Quellen
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(1) 14.01.2021; Europäisches Parlament; Außenpolitik: Die EU muss regelbasierte internationale Ordnung verteidigen; https://www.europarl.europa.eu/news/de/agenda/briefing/2021-01-18/9/aussenpolitik-die-eu-muss-regelbasierte-internationale-ordnung-verteidigen
(2) 18.10.2022; taz; Tatjana Söding; Lektion vom Obergärtner; https://taz.de/Rede-des-EU-Aussenbeauftragten/!5885453/
(3) 22.12.2021; Deutscher Ethikrat; Ethische Orientierung zur Frage einer allgemeinen gesetzlichen Impfpflicht; https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ad-hoc-empfehlung-allgemeine-impfpflicht.pdf
(4) 03.01.2025; Auswärtiges Amt; Ein Neuanfang für Syrien: Außenministerin Baerbock reist zu Gesprächen nach Damaskus; https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/syrien-node/reise-syrien-2692328
(Titelbild) Krone, Fall, Macht, Rost, Verfall; S. Hermann / F. Richter (Pixabay); 08.11.2017; https://pixabay.com/de/photos/krone-moos-kopfzierde-rost-2924543/; Lizenz: Pixabay License
Blicken wir in den Spiegel, kommen wir dann der Aufforderung Platons nach, die da lautet: „Erkenne dich selbst?“
So manche(r) mag den Blick in den Spiegel vermeiden, wissend, darin nichts zu erblicken, wie bekanntlich bei Vampiren (Blutsaugern).
Diejenigen aber, die ihr Spiegelbild erkennen, warum ist es seitenverkehrt, aber warum ist oben und unten nicht vertauscht? Wie gelingt es Eulenspiegel in seinen Spiegeleien, auch oben und unten zu vertauschen?
Was ist der grundsätzliche Unterschied zwischen dem Objekt und seinem Spiegelbild? („Spiegel“ und „Bild“?)
Symmetriebrechung – möglicherweise die elementare Ursache unseres Seins – quantentheoretisch!
„Wer A sagt, muß nicht B sagen, er kann auch erkennen, daß A falsch war!“ (B. Brecht)
Was geschieht, wenn sich ein Spiegel im Spiegel spiegelt? Wäre da die Symmetriebrechung Spiegel – Antispiegel eine von unendlich vielen Möglichkeiten?
Angenommen, die „regelbasierte Ordnung“ sei eine nicht näher definierte Entität.
Wäre sie im Spiegel überhaupt sichtbar?
Falls ja, würde der Betrachter mehr erkennen, als nur jene Seite, die er jeweils zu sehen wünschte?
Würde es das Spiegelbild ändern, wenn die „regelbasierte Ordnung“ zuvor definiert worden wäre, nach klaren Regeln wohlgemerkt? Diese hätte man dann aber vorher auch festlegen müssen, nach klaren Regeln wohlgemerkt …
Sollten sich Trump und Putin gegenüberstehen, würde dann jeder vom anderen denken, „das da im Spiegel, das bin ja ich?“ (Als dem Jüngling Narziß diese Erkenntnis widerfuhr, da war es bekanntlich um ihn geschehen.)
Was geschah einst, als Reagan und Gorbatschow sich einander spiegelten? Weiß das noch jemand?
War der INF- Vertrag lediglich im Spiegel der Geschichte eine Facette der regelbasierten Ordnung? Falls ja, welcher, der sowjetischen oder der US- amerikanischen?
Das große Karthago führte drei Kriege, aber das Römische Reich hatte sich aufgebläht, überdehnt, bevor es zerfiel. Geschah dies nach den Regeln? Wird die Welt am heutigen Tage besser?
Herzlich, Steffen Duck!
Passend zum Thema die Meldung, deren Bedeutung nur informierte Zeitgenossen abschätzen können: Die USA treten aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus. Das dürfte der Anfang vom Ende einer von machtgierigen Misanthropen und sonstigem, reichen Gesindel geträumten Weltherrschaft mittels Pandemievertrag einläuten. Mit unbeschreiblicher Erleichterung blicke ich zuversichtlich zum grössten, temporären Bordell Europa’s in Davos. What’s next, Kläuschen?