Sowjetisch-US-amerikanisches Ringen im Jahre 1990 um den künftigen Status eines vereinigten Deutschlands
Die zwei deutschen Staaten, die es bis zum Oktober des Jahres 1990 gab, waren nicht nur beide Mitglieder sich feindlich gegenüber stehender militärischer Bündnisse. Beide waren auch von Truppen fremder Staaten besetzt. Das ergab sich primär aus der katastrophalen Niederlage des faschistischen Deutschlands, durch die sich die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges weitreichende Vollmachten über deutsche Hoheitsrechte einräumten. Zumal ein Friedensvertrag zwischen Siegern und Besiegten bis dahin — und auch darüber hinaus — nie das Ende des Zweiten Weltkrieges auch formal und rechtlich besiegelt hat.
In dieser Situation ergaben die revolutionären Ereignisse, die sich im Herbst 1989 in der DDR abspielten — für Freund und Feind durchaus überraschend —, die Option auf ein vereinigtes Deutschland. Es ist bezeichnend, mit welcher Konsequenz die westliche Seite ihre Stärke und die Schwäche der kriselnden Sowjetunion ausnutzte, um sich geostrategische Vorteile aus dem „Fall der Mauer“ zu verschaffen. Die sowjetischen Verhandlungsvorschläge beinhalteten diese beabsichtigte Vorteilsnahme eben gerade nicht. Ein neutrales Deutschland als Garant eines friedlichen Europa lag geradezu auf der Hand. Mit dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland und den osteuropäischen Staaten erübrigte sich eine vor allem ausländische Präsenz in Deutschland.
Die sowjetischen Verhandlungsführer hatten zwar starke Argumente, aber die politische und wirtschaftliche Macht der anderen Seite bestimmte schließlich wesentliche Punkte im Abschlussdokument des 2+4-Vertrages. Die Verhandlungen dahin — das wird beim sorgfältigen Studium der Verhandlungsprotokolle erkennbar — nahmen den späteren Verrat bereits vorweg. Dass die Sowjetunion ihre Truppen aus der DDR abzog und gleichzeitig dem NATO-Bündnis eines vereinigten Deutschlands zustimmte, war ein äußerst schmerzhaftes Zugeständnis ihrer Führung.
Nicht nur die nachfolgende Geschichte sollte zeigen, dass der Westen gegenüber der Sowjetunion, respektive Russland, mit gezinkten Karten spielte. Dabei ist das der Kontext und die Vorgeschichte, ohne den der aktuelle militärische Konflikt zwischen der Ukraine und Russland nicht zu verstehen ist.
Den politisch Verantwortlichen im heutigen Russland muss es heute erst recht sauer aufstoßen, wie man die UdSSR im Jahre 1990 überging und ihre wie die Sicherheitsinteressen Russlands als Rechtsnachfolger grob missachtete (1). Mit diesem Wissen im Hintergrund ist es — zumindest empfand es der Autor so — äußerst spannend, Protokolle aus der Zeit vor dem Abschluss des 2+4-Vertrages zu studieren. Wir erfahren, dass die sowjetische Führung — im Sinne einer Auflösung militärischer Blöcke und der Etablierung eines übergreifenden Sicherheitssystems — ernsthafte Vorschläge unterbreitete, selbst in die NATO einzutreten. Die Ereignisse in den folgenden Jahrzehnten haben eindrücklich klar gemacht, warum die USA niemals ein solches Szenario in Betracht zogen.
Am 18. Mai 1990 reiste der damalige US-Außenminister James Baker zu Konsultationen mit seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse und dem Präsidenten Michail Gorbatschow nach Moskau. In den Gesprächen ging es um wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung für die UdSSR, die Unabhängigkeitsbestrebungen der baltischen Sowjetrepubliken, aber vor allem um den Status eines wiedervereinigten Deutschlands. Der argumentative Austausch zog sich über Stunden hin. Entsprechend lang ist das ungekürzte Protokoll und deshalb ist es hier auch zweigeteilt. Im Folgenden also der erste Teil (Hervorhebungen durch Autor, Ergänzungen zum Verständnis in eckigen Klammern):
Michail Gorbatschow:
Ich bin froh, Sie in Moskau zu sehen, Herr Minister [US-Außenminister James Baker]. Die Regelmäßigkeit unserer Treffen ist ein Beweis dafür, dass wir das Kapital, das wir angesammelt haben, nicht nur erhalten, sondern vermehren wollen. Allein die Tatsache, dass unsere Kontakte im Kontext der aktuellen Ereignisse nicht weniger, sondern mehr an Dynamik gewinnen, ist schon bezeichnend. In der Vergangenheit wäre das Gegenteil der Fall gewesen. Wenn in irgendeinem Teil der Welt Schwierigkeiten auftauchten — wir und Sie sind ja überall auf die eine oder andere Weise involviert —, haben wir uns gegenseitig beiseite geschoben und sogar Schritte unternommen, um die Entwicklung unserer Beziehungen zu verlangsamen.
Heutzutage ist unser Dialog umso aktiver, je größer und schwieriger das Problem ist. Zugleich muss ich sagen, dass ich die Entwicklung der Ereignisse beobachte und zu dem Schluss komme, dass die Vereinigten Staaten den Prozess der Festlegung ihrer Beziehungen zur Sowjetunion noch nicht abgeschlossen haben. Ich habe schon oft gesagt, dass wir in Zeiten wie diesen, in Zeiten großer Veränderungen, unsere Beziehungen nicht im Rahmen einer Präsidentenperiode betrachten dürfen.
Wir schaffen die Grundlage für mehr als nur die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern, wir schaffen neue Beziehungen in der ganzen Welt. Wir sind im Grunde die Architekten und Baumeister einer neuen Welt. Ich glaube, dass Sie doch etwas beunruhigt sind. Ich denke, es gibt da zwei Hauptprobleme. Erstens stellt sich die Frage, ob Sie sich ernsthaft mit uns einlassen sollten. Wir wissen, dass Sie dazu unterschiedliche Auffassungen und Standpunkte haben. Bisher haben der Präsident [George Bush Senior] und Sie zumindest Zurückhaltung gezeigt und dem Druck standgehalten; Sie halten Ihre Position. Das schätze ich.
Zweitens hatte ich den Eindruck, dass wir uns über die Art der Beziehungen, die wir zum jetzigen Zeitpunkt zwischen unseren Ländern haben möchten, verständigt haben. Einer der zentralen Punkte dieses gegenseitigen Verständnisses ist, dass wir beide die andere Seite stark und selbstbewusst in ihrer Sicherheit sehen möchten, nicht nur in der militärischen Sicherheit, sondern auch in der wirtschaftlichen und nationalen Sicherheit insgesamt. Wir sind an starken, selbstbewussten Vereinigten Staaten interessiert, und Sie sind an einer starken, selbstbewussten Sowjetunion interessiert. Schon vor zwei-drei Jahren haben wir vorausgesagt, dass wir an der Schwelle einer großen Umgruppierung der Kräfte in der Welt stehen. Damals haben wir entschieden, dass unter diesen Umständen unsere Kooperation nicht nur sinnvoll, sondern absolut nützlich für die ganze Welt ist.
Ich denke jedoch, dass wir in regelmäßigen Abständen, wenn es darum geht, von der philosophischen Ebene zur Umsetzung mit konkreten politischen Aktionen überzugehen, Rückfälle in die Vergangenheit erleben. Ich sehe, dass man manchmal, wenn wir sozusagen kritische Momente in unserer Beziehung erleben, die Situation ausnutzen will, um uns zu übervorteilen. In der Vergangenheit hätte ich das einfach zur Kenntnis genommen und die Situation weiter beobachtet. Aber jetzt ist unsere Beziehung so, dass ich meine Eindrücke offen mit Ihnen teilen kann. Wovon spreche ich konkret? Sie sind ein klarer Denker, und das schätze ich. Deshalb werde ich offen und klar mit Ihnen sprechen. Schauen wir uns Osteuropa an. Alles, was dort jetzt geschieht, entspricht dem, was wir vorher besprochen haben. Ich hoffe, Sie sehen, dass sich unsere Maßnahmen strikt an das halten, was ich Ihnen damals gesagt habe. Gleichzeitig habe ich Informationen, dass das Ziel Ihrer Politik darin besteht, die osteuropäischen Länder von der Sowjetunion zu trennen.
Oder nehmen Sie die Frage der deutschen Wiedervereinigung. Ihre Haltung in dieser Frage ist widersprüchlich. Ich weiß nicht, was Sie dazu treibt. Vielleicht haben Sie Angst vor der europäischen Einigung? Ich habe schon oft gesagt, sowohl hier als auch in Europa, und ich kann es jetzt bestätigen: Wir verstehen die Notwendigkeit einer [US-]amerikanischen Beteiligung, nicht unbedingt einer militärischen Beteiligung, an allen europäischen Prozessen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber jetzt sagen Sie: Beide Deutschlands sind friedliche, demokratische Länder, und es gibt keinen Grund, in dem, was geschieht, eine Gefahr zu sehen. Sie sagen, wir würden die Gefahr übertreiben. Aber ich habe Präsident Bush gesagt: Wenn das so ist, wenn Sie das nicht für einen wichtigen Faktor halten, warum haben Sie dann nicht zugestimmt, dass das vereinigte Deutschland dem Warschauer Pakt beitritt? Oder ein anderer Aspekt:
Sie sagen, dass wir den Deutschen vertrauen können, dass sie sich bewährt haben. Aber wenn das der Fall ist, warum sollte Deutschland dann in die NATO aufgenommen werden? Sie antworten, wenn Deutschland nicht Teil der NATO wird, könnte das ein Problem in Europa schaffen. Es stellt sich also heraus, dass Sie Deutschland nicht vertrauen.
Ich würde es verstehen, wenn Sie andere, realistische Argumente anführen würden. Ich will ehrlich zu Ihnen sein.
Wenn Sie sagen würden, dass die Abwesenheit Deutschlands in der NATO die bestehende Sicherheitsstruktur in Europa stören würde, hätte ich Sie vielleicht verstanden. Lassen Sie uns in diesem Fall nachdenken; lassen Sie uns nach einem Weg suchen, die derzeitige Sicherheitsstruktur, die auf der Existenz zweier militärisch-politischer Blöcke beruht, durch eine neue Struktur zu ersetzen.
Lassen Sie uns darüber nachdenken, wie wir uns auf diese neue Struktur zubewegen können. Aber Sie sagen, dass die NATO jetzt notwendig ist und praktisch für immer notwendig sein wird. Und Sie fügen sogleich hinzu, dass die Sowjetunion nach wie vor über eine große Armee verfügt und stark bewaffnet ist, weshalb die NATO sozusagen immer notwendig sein wird. Generell, ich wiederhole, sind Ihre Position und Ihre Argumente widersprüchlich. Sie stimmen nicht mit den grundlegenden Ansätzen überein, die wir in unseren Beziehungen vereinbart haben. Worauf will ich hinaus?
Ich will noch einmal ganz offen sein.
Wenn ein vereinigtes Deutschland der NATO beitritt, wird dies zu einer ernsthaften Verschiebung des Kräfteverhältnisses, des gesamten strategischen Gleichgewichts führen. Wir werden mit der Frage konfrontiert werden, was unser nächster Schritt sein soll.
Sie sind ein logisch denkender Mensch, also verstehen Sie das. Natürlich müssten wir alle Diskussionen im Bereich der Abrüstung stoppen; wir müssten analysieren, welche Änderungen wir an unserer Doktrin und unseren Positionen bei den Wiener Verhandlungen, an unseren Plänen zur Reduzierung der Streitkräfte vornehmen sollten. Es stellt sich die Frage, warum wir das alles tun. Und es ist eine sehr ernste Frage.
Wir würden gerne auf ein ernsthaftes Vorgehen Ihrerseits zählen, und wenn wir Anzeichen dafür sehen, dass Sie ein Spiel spielen, machen wir uns Sorgen. Ist das notwendig? Können wir es zulassen, dass sich unsere Beziehungen in eine kleinliche Intrige verwandeln? Die Sowjetunion befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel; wir machen eine Erneuerung durch, die zwangsläufig schwierig ist. Wir sehen, dass man manchmal versucht ist, die Situation auszunutzen. Ich denke, das wäre ein sehr großer Fehler.
Und schließlich der zusammenfassende Aspekt. Wir informieren Sie über unsere Pläne. Indem wir die Perestroika durchführen und unsere Politik durch ein neues Denken umgestalten, möchten wir uns dem Westen, [einschließlich] den Vereinigten Staaten [von Amerika], annähern.
Wir möchten unser Land für die Welt öffnen. Wir haben gesagt, dass es unser Ziel ist, unser Land so vollständig wie möglich in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Prozesse, die in der Welt stattfinden, zu integrieren. Wir waren uns mit Ihnen einig, dass neue Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA nicht nur für unsere Länder von Vorteil sein werden, sondern angesichts der zentralen Stellung unserer Länder in der Welt für die ganze Welt.
Nun frage ich mich, ob sich die US-Regierung an die Vereinbarung hält, die wir getroffen haben. Ich werde Ihnen sagen, wie es von Moskau aus aussieht. Von hier aus sehen wir das ganze Spektrum, und wir sehen viele Nuancen. Wir stellen viele positive Aspekte in Ihrer Position fest. Gleichzeitig beunruhigen uns aber auch einige Elemente.
Wir stehen in der Sowjetunion an einem wichtigen Wendepunkt, der kurz- und mittelfristig die Zukunft unserer Wirtschaft bestimmen wird. Dies wird sich natürlich auch auf alle anderen Bereiche des Lebens in unserem Land auswirken — auf die Politik, die Gesellschaft, die Kultur, die Beziehungen zwischen den Völkern und die internationalen Beziehungen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir in unserem Land eine regulierte Marktwirtschaft einführen müssen. Dies ist ein entscheidender Schritt in unserer Perestroika.
Ich spreche von der Privatisierung des Eigentums, von antimonopolistischen Maßnahmen und der Einführung aller Arten von Eigentum — Aktienbesitz, genossenschaftliches Eigentum, kollektives Eigentum, Privateigentum. Wir werden das Bankensystem reformieren, einen Aktienmarkt und eine Warenbörse einrichten, ein Steuersystem aufbauen, ein System der sozialen Sicherheit schaffen und Preisreformen durchführen. Es wird ein radikaler Wandel sein.
Wir sprechen also von einem kritischen Punkt in unserer Perestroika. Und in dieser Phase haben wir das Recht, auf das Verständnis und die Solidarität unserer Partner zu zählen. Auf jeden Fall sollten die Ereignisse irgendwo in Berg-Karabach oder Vilnius nicht mehr Aufmerksamkeit der Regierung und des Kongresses beanspruchen als dieser monumentale Wendepunkt. Ich will noch mehr sagen: Wir brauchen nicht nur Verständnis von unseren Partnern, sondern auch Zusammenarbeit. Die USA begrüßen die Perestroika, wie Sie, Herr Minister, bereits mehrfach erwähnt haben. Sie haben die Probleme, mit denen wir heute bei unserer Perestroika konfrontiert sind, sehr kompetent beschrieben. Zugleich warnen Sie alle davor, der Sowjetunion zu helfen. Sie sagen: Lasst sie sich um sich selbst kümmern, Hilfe für sie wird die wirkliche Perestroika nur verlangsamen.
Ich kann dieses Argument nicht verstehen. Anstatt in dieser Zeit Solidarität zu zeigen, würden Sie es vorziehen, dass wir dieses Chaos selbst in den Griff bekommen. Sie mögen sogar denken, wenn sich unsere Situation verschlechtert, wäre das für Sie nicht so schlimm.
Ich sage dies alles, damit Sie vor unseren Treffen in Washington und Camp David darüber nachdenken können. Werden wir das fortsetzen, was wir gemeinsam begonnen haben, oder werden wir uns von dem koordinierten Ansatz und dem Verständnis der Rollen und Positionen unserer Länder, unserer Beziehungen in dieser historischen Periode entfernen? Ich dachte, die Entscheidung sei bereits gefallen. In letzter Zeit gab es jedoch Momente, in denen es den Anschein hatte, dass Sie sich noch nicht entschieden haben. Ich wollte all dies in einem vertraulichen Gespräch sagen und nicht in einer Sitzung mit einer größeren Gruppe. Ich denke, dass dies für den Präsidenten nützlich sein wird, wenn er sich auf unser Treffen vorbereitet.
US-Außenminister James Baker:
Herr Präsident, es ist sehr gut, dass Sie sich entschieden haben, diese Themen in einem kleinen Kreis anzusprechen. Und ganz allgemein ist es gut, dass Sie sie zur Sprache gebracht haben. Das gibt mir die Möglichkeit, auf diese berechtigten Bedenken einzugehen. Es wird auch Präsident Bush die Möglichkeit geben, sich nach Durchsicht des Protokolls dieses Gesprächs auf die Fragen zu konzentrieren, die legitime und angemessene Gesprächsthemen sind.
Es stimmt, dass es in der Anfangsphase dieser Regierung eine Zeit gab, in der wir im Unklaren waren, wie unsere Beziehungen zur Sowjetunion aussehen sollten. Dieser Zeitraum endete jedoch vor fast einem Jahr, nach meiner Reise nach Moskau, meinem Treffen mit Ihnen und langen Gesprächen mit Eduard A. Schewardnadse. Im Augenblick debattieren wir nicht über die Art unserer Beziehungen zur UdSSR. Wir wissen sehr wohl, wie wir unsere Beziehungen gestalten wollen. Wie ich bereits in Wyoming sagte, möchten wir, dass sich unsere Beziehungen vom Wettbewerb zum Dialog und zur Zusammenarbeit an allen Fronten entwickeln. Natürlich wird dies nicht nur von den Maßnahmen der Vereinigten Staaten, sondern auch von denen der Sowjetunion abhängen.
Ich möchte Ihnen jedoch versichern, dass die [US-]amerikanische Führung nicht darüber debattiert, ob wir auf Ihre Politik und die Perestroika setzen sollen oder nicht. Im Oktober letzten Jahres habe ich in einer Rede betont, dass wir nach neuen Wegen der Zusammenarbeit mit der UdSSR suchen werden. Ich habe von der Notwendigkeit gesprochen, nach Punkten von für beide Seiten vorteilhaften Kontakten zu suchen. Es stimmt, dass in den Vereinigten Staaten viel darüber diskutiert wird, ob Ihre Bemühungen erfolgreich sein werden. Es ist kein Geheimnis, dass es einige Leute gibt, die Sie lieber scheitern sehen würden. Das sind die Vertreter des „Kalten Krieges“, Menschen, die alte Gewohnheiten nicht aufgeben können. Es gibt auch nicht wenige, die mich und den Präsidenten dafür kritisieren, dass wir zu viel Hoffnung in Ihren Erfolg setzen und Maßnahmen ergreifen, um Ihnen zu helfen.
So sieht es aus. Aber ich weiß es zu schätzen, dass Sie unsere Zurückhaltung und unsere Weigerung, dem starken Druck nachzugeben, unter dem wir im Augenblick stehen, zur Kenntnis genommen haben. Ich habe Eduard A. Schewardnadse mehrmals gesagt, dass ich Zweifel habe, ob wir unsere gegenwärtigen Positionen halten können, denn wir dürfen nicht vergessen, dass es einige wesentliche Unterschiede zwischen uns gibt. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass die Flaggen der unabhängigen baltischen Staaten immer noch in der Lobby des Außenministeriums hängen. Wir haben ihre Eingliederung in die UdSSR nie anerkannt. Ich habe dieses Thema zum ersten Mal letztes Jahr auf dem Weg nach Wyoming angesprochen. Heute, da diese Frage sehr kritisch ist, würden wir uns wirklich wünschen, dass ein Gespräch in Gang kommt, das schließlich zu einer Lösung führen könnte.
Wir wollen auf keinen Fall eine Instabilität in der Sowjetunion. Das sagen wir ständig. Der Präsident und ich betonen immer wieder, dass wir keine einseitigen Vorteile aus den Veränderungen in der Sowjetunion ziehen wollen. Wir spielen keine politischen Spiele und wollen nicht gewinnen. Später möchte ich Ihnen zeigen, dass unsere Position zur deutschen Einheit darauf abzielt, Ihre Position und Ihre Sorgen zu berücksichtigen. Ich denke, dass unsere erste Priorität darin bestehen sollte, ein stabiles internationales Umfeld für die Perestroika zu schaffen. Das ist genau das, was ich zu tun versuche.
Während meiner letzten beiden Reden vor dem US-Kongress musste ich eine Vielzahl von Fragen zu Litauen beantworten und unseren Standpunkt verteidigen. Ich war ernsthafter Kritik ausgesetzt. Dem Präsidenten und mir wurde vorgeworfen, wir hätten unsere Prinzipien aufgegeben. Ich antwortete, dass unsere Unterstützung für die Bestrebungen der baltischen Völker nicht im Widerspruch zu unserer Unterstützung der Perestroika steht.
Das Abkommen über konventionelle Streitkräfte, START, die weitere Zusammenarbeit bei der Lösung regionaler Konflikte — eine Zusammenarbeit, die es in der Vergangenheit nicht gab, die wir aber in den letzten zwei Jahren aufbauen konnten —, all dies ist für uns von großer Bedeutung, und unser Politikwechsel von der Konkurrenz zur Zusammenarbeit bedeutet nicht, dass wir immer in allem übereinstimmen. Ich erwähnte unsere Meinungsverschiedenheiten über die baltischen Republiken. Sie ist historisch begründet. Gleichzeitig verstehen wir Ihre Sorge, dass die baltischen Staaten keinen Präzedenzfall für die anderen Republiken schaffen. Ich habe Eduard A. Schewardnadse bei mehreren Gelegenheiten gesagt, dass wir die rechtlichen Unterschiede zwischen den baltischen Staaten und anderen Sowjetrepubliken berücksichtigen.
Wir verstehen, dass Sie bestimmte Verpflichtungen gegenüber diesem Land haben. Aber unsere Differenzen bleiben bestehen. Und trotz dieser Differenzen müssen wir vom Wettbewerb zur Zusammenarbeit übergehen. Wir verstehen die Schwierigkeiten, denen Sie gegenüber stehen und den Druck, dem Sie ausgesetzt sind. Wir glauben, dass alles, was Sie jetzt tun, mutig ist, und wir unterstützen es. Wir glauben, dass alles, was Sie jetzt tun — die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ansätze zu ändern, die sich in den letzten 70 Jahren in Ihrem Land herausgebildet haben — eine mutige Initiative darstellt, und wir unterstützen sie.
In den letzten anderthalb Jahren ist es uns gelungen, die öffentliche Meinung in den USA in Richtung einer Unterstützung Ihrer Politik zu bewegen. Dennoch gibt es eine lautstarke Minderheit, die den „Kalten Krieg“ fortsetzen, die den Russen nicht trauen will. Als die Ereignisse in Litauen begannen, als das Wirtschaftsembargo eingeführt wurde, begannen einige Leute zu sagen: „Seht her, Bush und Baker sind naiv, aber der Bär bleibt ein Bär“.
In der Tat können wir aus internen politischen Gründen die Verwendung [US-]amerikanischer Steuergelder zur Subventionierung von Krediten an staatliche Unternehmen oder Institutionen in der Sowjetunion nicht unterstützen. Außerdem könnte die Sowjetunion nach den derzeitigen Bestimmungen der Bank den gesamten Betrag ihres eingebrachten Kapitals leihen, was für uns nur sehr schwer im Kongress durchzusetzen wäre. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Sie, zumindest nach unseren Daten, weiterhin erhebliche Mittel, 14 bis 15 Milliarden Dollar pro Jahr, zur Unterstützung von Regimen in Ländern bereitstellen, die, wie zum Beispiel Kuba, in subversive Aktivitäten gegen andere Staaten verwickelt sind (a1).
Deshalb sagen einige Leute, einige Kongressabgeordnete: „Wie können wir es unterstützen, dass [US-]amerikanische Steuergelder an die Sowjetunion fließen, wenn die Sowjetunion Kuba unterstützt?“ Das Gleiche gilt für Direktkredite, die ich mit Ihrem Finanzminister besprochen habe, als er in Washington war.
Michail Gorbatschow:
Ja, er sagte, dass der Außenminister diese Möglichkeit strikt ablehnt. Aber andere Länder sind bereit, uns zu helfen. Ich war zum Beispiel vor kurzem in Swerdlowsk und habe eine Fabrik besucht, die sich früher in der Rüstungsindustrie und in der Raumfahrt profiliert hat und sich jetzt in der Umstellung befindet. Sie haben gute Pläne, hochqualifizierte Arbeiter und Ingenieure. Das Problem ist, dass die Umstellung zwei bis drei Jahre dauern wird, und in der Zwischenzeit, wenn die militärische Produktion eingestellt wird, ist die finanzielle Lage sehr schwierig. Philips hat sein Interesse an dieser Fabrik bekundet. Anfangs waren sie nur an der Forschungsarbeit des Werks interessiert, nicht aber daran, Geld für die Konversion zu investieren, denn sie sind natürlich vorsichtig. Als wir ihnen jedoch die Fabrik zeigten, entschuldigten sie sich und stimmten einer umfassenden Zusammenarbeit zu. In zwei Jahren wird dieses Unternehmen Konsumgüter herstellen, die auf jedem Markt wettbewerbsfähig sind — ein Beispiel für Zusammenarbeit.
Natürlich haben wir in diesem Bereich eine lange Tradition mit Westdeutschland. Aber ich bin überzeugt und ich habe das schon oft gesagt, es kann keine stabilen Beziehungen zwischen der UdSSR und den USA geben, wenn sie nicht durch wirtschaftliche Beziehungen gestützt werden. Was haben wir im Moment? Getreidekäufe aus den USA. Aber ist das eine echte wirtschaftliche Zusammenarbeit?
James Baker:
Ich stimme mit Ihnen völlig überein.
Michail Gorbatschow:
Was unsere Beziehungen zu anderen Ländern betrifft, die Ihnen nicht gefallen, so kann ich Ihnen Folgendes sagen: In unserer Regierung und in unserem Obersten Sowjet gibt es die Absicht, die Wirtschaftsbeziehungen auf eine neue Art und Weise aufzubauen, im Geiste eines neuen politischen Denkens und in Übereinstimmung mit den inneren Prioritäten unseres Landes. Wir werden sie also wieder aufbauen. Aber wir können das nicht an einem Tag tun. Nur die Vereinigten Staaten können zum Beispiel auf einen Schlag ein Embargo für Getreidelieferungen an die Sowjetunion verhängen.
James Baker:
Das war nicht unter unserer Regierung. Vor einigen Monaten sprach Präsident Bush von der Notwendigkeit, die wirtschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion auszubauen. Ich bin auch der Meinung, dass wir nach Wegen suchen müssen, um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen. Wir können nicht der Gewährung von Krediten (über das von der Sowjetunion eingebrachte Kapital hinaus) mit Mitteln zustimmen, die der EBWE [Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung] von den [US-]amerikanischen Steuerzahlern zur Verfügung gestellt werden, während man uns sagt, dass die Sowjetunion Länder wie Kuba subventioniert. Gleichzeitig, wie Sie wissen, haben gestern die Vereinigten Staaten gemeinsam mit anderen Staaten dafür gestimmt, der Sowjetunion Beobachterstatus im GATT [Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen] einzuräumen.
Michail Gorbatschow:
Aber Sie haben lange gezögert. Andere haben früher zugestimmt.
James Baker:
Ja, wie Japan haben wir gezögert, weil es in den USA unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema gibt.
Michail Gorbatschow:
Ja, auch hier.
James Baker:
Ich weiß das.
Michail Gorbatschow:
Man wirft uns vor, dass wir angeblich die sich entwickelnde Welt verraten haben; wir haben sie vor den Bus des Imperialismus geworfen. Als ob wir eine Art Sozialversicherung für die Entwicklungsländer wären. Man wirft uns vor, die Araber verraten zu haben, praktisch auf der Seite Israels zu kämpfen. Im Moment kommt noch das Problem der sowjetischen Emigranten hinzu, die sich in den von Israel besetzten Gebieten niederlassen.
Meines Erachtens handelt es sich um eine echte Provokation, die darauf abzielt, die USA und die UdSSR gegeneinander auszuspielen: Man wirft uns vor, bei den Abrüstungsverhandlungen zu viel zu verraten, dass wir unsere Positionen aufgeben und so weiter. Im Allgemeinen gibt es einen großen Kampf, und unter diesen Umständen kann ich hoffentlich erwarten, dass Sie nicht einfach abwarten, bis die Früchte in Ihren Korb fallen.
James Baker:
Nein, wir werden nicht warten und untätig bleiben.
Michail Gorbatschow:
Denn zuerst muss die Ernte reif werden. Sonst könnte es sein, dass Sie am Ende einen leeren Korb haben.
James Baker:
Wir sind für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. So habe ich gestern Eduard A. Schewardnadse die Idee einer sowjetischen Beteiligung an dem Programm zur Förderung der Entwicklung der mittelamerikanischen Länder auf internationaler Basis vorgeschlagen. Ein ähnliches Programm wird in Osteuropa von der „Gruppe der 24“ durchgeführt, und es hat 14 Milliarden Dollar für Länder wie Polen und Ungarn eingebracht. Im September habe ich in Wyoming gesagt, dass wir zu einer umfassenden technologischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bereit sind, von der wir uns erhoffen, dass sie für beide Länder von Nutzen sein wird. Wir können eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit im Kongress verteidigen. Gestern habe ich gesagt, dass wir bereit sind, Ihnen bei der Entwicklung Ihrer wichtigen wirtschaftlichen Maßnahmen beratend zur Seite zu stehen und die Dienste unserer führenden Experten und Wirtschaftswissenschaftler anzubieten.
Michail Gorbatschow:
Ich beabsichtige, die Frage der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Präsidenten zu besprechen. Heute, wo wir uns auf eine große, radikale wirtschaftliche Wende vorbereiten, ist es wichtig, dass wir eine vorübergehende Verstärkung bekommen. Der Übergang zur Marktwirtschaft kann mit ernsthafteren Komplikationen einhergehen, und wir werden in dieser Zeit etwas Sauerstoff brauchen. Außerdem bitten wir nicht um ein Geschenk, sondern um gezielte Kredite. Wir haben zum Beispiel einige Unternehmen des Verteidigungsministeriums, die nach einem 100- bis 200-Millionen-Investment bald in der Lage sein werden, zivile Güter im Wert von einer-zwei-vier Milliarden [US-Dollar] herzustellen.
Um größere Komplikationen im Zusammenhang mit der Einführung neuer Preise und Marktmechanismen zu vermeiden, werden wir auch Handelskredite benötigen. Wir haben geschätzt, dass wir etwa 15 bis 20 Milliarden [US-Dollar] benötigen, die wir in sieben bis acht Jahren zurückzahlen werden. Wir wollten die Durchführung radikaler Wirtschaftsreformen noch eine Weile hinausschieben, aber die politischen Prozesse haben eine solche Wendung genommen, dass das alte System der Kommandowirtschaft vollständig abgebaut wird. Wir müssen schneller handeln, um es durch ein neues, marktwirtschaftliches System zu ersetzen.
Wir brauchen die Mittel, von denen ich spreche, um zu manövrieren. Insgesamt sind 20 Milliarden [US-Dollar] für Sie und für uns keine so große Summe, aber unter den gegebenen Umständen brauchen wir sie gerade jetzt. Wir planen, dem Obersten Sowjet bis zum 25. Mai ein Programm für den Übergang zur Marktwirtschaft vorzulegen. Ich werde also mit dem Präsidenten [des Obersten Sowjets] über diese Frage sprechen. Ich muss sagen, dass dies im Westen im Allgemeinen auf Verständnis gestoßen ist.
[An dieser Stelle bekommen Gorbatschows Einlassungen zu wirtschaftlicher Unterstützung durch den Westen eine entwürdigende Note. Es gibt wohl kaum ein Land auf dieser Welt, in dem man bessere Grundvoraussetzungen für einen Umbau seiner Wirtschaft finden kann. Die Sowjetunion aber fiel von einem Extrem ins andere. Gorbatschow lud regelrecht ein zu den anstehenden neoliberalen Exzessen wie auch dem Raubzug der westlichen „Partner“ in seinem Land. Die Sowjetunion und dann Russland hielten auch noch die andere Wange hin, als die westliche Geopolitik von Beginn an darauf setzte, die versprochene Zurückhaltung im geostrategischen Wettbewerb — insbesondere bezüglich der NATO-Osterweiterung, siehe dazu weiter unten mehr — zu brechen.]
James Baker:
Der Präsident ist mit dieser Frage vertraut. Ich habe es mit Ihrem Finanzminister in Washington besprochen. Wenn ich nach Hause zurückkehre, werde ich noch einmal darüber nachdenken und mit dem Präsidenten sprechen.
Michail Gorbatschow:
Wir haben mit einer Reihe von europäischen Vertretern darüber diskutiert, und der notwendige Betrag beginnt sich herauszukristallisieren. Wir brauchen aber auch Verständnis von Ihrer Seite. Die Situation erfordert es. Ich persönlich mag es nicht, Schulden zu machen, aber ich bin Realist und sehe ein, dass diese Lösung notwendig ist.
James Baker:
Ich glaube, dass Sie keine großen Schwierigkeiten haben werden, im Westen Kredite in dieser Höhe zu bekommen, vor allem, wenn Sie bereit sind, sie mit einer entsprechenden Hypothek aufzunehmen, was Sie, wie ich höre, tun.
Michail Gorbatschow:
Ich möchte betonen, dass nur ein Teil des Kredits für den Kauf von Waren verwendet wird; der Rest wird in Investitionen fließen, möglicherweise auch in Joint Ventures, die Ausweitung der Produktion, die Umstellung und so weiter.
James Baker:
Ich werde versuchen, dem Präsidenten zu vermitteln, welche Bedeutung Sie der Teilnahme der USA an diesem Programm beimessen.
Michail Gorbatschow:
Ganz genau. Es wäre doch seltsam, wenn die Vereinigten Staaten jetzt, wo es um die Verbesserung der sowjetisch-[US-]amerikanischen Beziehungen geht, nicht reagieren und sich nicht beteiligen würden. Ich habe kürzlich einen Dokumentarfilm über die Geschichte der sowjetisch-[US-]amerikanischen Beziehungen gesehen. Es ist wirklich eine Geschichte der verpassten Gelegenheiten, die Liste ist erschütternd. Deshalb frage ich mich: Werden wir uns auch diese Chance entgehen lassen?
James Baker:
Ich werde mit dem Präsidenten sprechen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass aufgrund der Innenpolitik der Vereinigten Staaten die Gewährung eines direkten Darlehens an die Sowjetunion oder von Krediten durch multilaterale Finanzinstitutionen wie der EBWE in einem traditionell negativen Kontext gesehen werden.
Michail Gorbatschow:
Es könnte auch auf andere Weise geschehen, zum Beispiel durch ein Konsortium.
James Baker:
Sehen Sie, teilweise aufgrund der Trägheit historischer Stereotypen und teilweise aus triftigen Gründen werden viele Leute in den USA sagen, dass wir der Sowjetunion einfach keine Kredite geben können, während sie weiterhin MiG-29-Flugzeuge an Kuba liefert oder wirtschaftlichen Druck auf die baltischen Staaten ausübt.
Darauf würden Sie natürlich sagen: Sind Vilnius oder zwei-drei MiG-29 wirklich wichtiger als die Perestroika in der Sowjetunion? Und das ist eine legitime Frage. Wir können jedoch eine bestimmte Atmosphäre auf der [US-]amerikanischen politischen Bühne nicht ignorieren. Die große Mehrheit unserer Senatoren ist dafür, die Entwicklung der Wirtschaftsbeziehungen zur UdSSR zu stoppen, bis das Problem im Baltikum gelöst ist. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sensibel das Thema Kuba in den USA ist. Wir müssen all dies berücksichtigen.
Bevor ich einige Worte zur deutschen Frage sage, möchte ich betonen, dass unsere Politik nicht darauf abzielt, Osteuropa von der Sowjetunion zu trennen.
Diese Politik hatten wir auch früher schon. Aber heute sind wir daran interessiert, ein stabiles Europa aufzubauen, und zwar gemeinsam mit Ihnen. Sie sagen: Wenn die USA Deutschland vertrauen, warum sollten sie es in die NATO aufnehmen?
Meine Antwort: Wenn Sie den Deutschen vertrauen, warum geben Sie ihnen dann nicht die Möglichkeit, ihre eigene Entscheidung zu treffen? Wir zwingen sie nicht, der NATO beizutreten. Wir wollen das vereinte Deutschland nicht deshalb in die NATO aufnehmen, weil wir Angst vor der Sowjetunion haben, sondern weil wir glauben, dass sich die Vergangenheit wiederholen könnte, wenn Deutschland nicht fest in den europäischen Institutionen verankert ist. Sie haben wie ich Geschichte studiert, Sie erinnern sich an den Völkerbund. Es ist schön, über gesamteuropäische Sicherheitsstrukturen und die Rolle der KSZE zu sprechen. Das ist ein schöner Traum, aber eben nur ein Traum. In der Zwischenzeit gibt es bereits die NATO, und die Beteiligung an der NATO bedeutet, dass Deutschland weiterhin auf dieses Bündnis angewiesen sein wird, um seine Sicherheit zu gewährleisten.
Michail Gorbatschow:
Doch was ist der Zweck der NATO? Sie wurde für eine andere Zeit geschaffen, was ist jetzt ihr Zweck?
James Baker:
Wenn Deutschland nicht fest in der bestehenden Sicherheitsstruktur verankert ist, wird es im Herzen Europas ein Gebilde geben, das seine Sicherheit mit anderen Mitteln gewährleisten will. Es wird nukleare Sicherheit wollen, während diese Sicherheit jetzt durch den nuklearen Schutzschirm der USA gewährleistet ist. Wenn Deutschland in der NATO bleibt, wird es viel leichter sein, auf sein atomares, biologisches oder chemisches Potenzial zu verzichten.
Gleichzeitig möchte ich sagen, dass wir verstehen, warum Deutschlands Mitgliedschaft in der NATO für die Sowjetunion ein psychologisches Problem darstellt.
Michail Gorbatschow:
Lassen Sie uns diese Frage von einem militärischen Standpunkt aus betrachten. Gerade jetzt, wo sich der Warschauer Vertrag rasch in eine rein politische Organisation verwandelt, wird die Mitgliedschaft Deutschlands in der NATO Ihr Militärbündnis stärken.
James Baker:
Kurzfristig vielleicht. Allerdings sprechen wir derzeit über eine Veränderung, über eine Anpassung der NATO, die ihr einen politischeren Charakter verleiht. Wir sind uns jedoch uneinig über die beste Plattform, um dies zu verhandeln. Aber wir verstehen Ihre Bedenken und wir berücksichtigen sie.
Ich glaube nicht, dass wir versuchen, einseitige Vorteile zu erlangen, wir wollen Stabilität in Europa und wir wünschen der Perestroika Erfolg. Genau wie Sie haben wir zwei Kriege erlebt, die das Ergebnis von Instabilität in Europa waren.
[Wer waren die Verantwortlichen für eine Politik, die zur Instabilität in Europa führte?]
Erlauben Sie mir, Ihnen einige Beispiele dafür zu geben, wie wir versucht haben, Ihre völlig legitimen Bedenken bei der Entwicklung unserer Deutschlandpolitik zu berücksichtigen.
Erstens: Wir haben vorgeschlagen, die Reduzierung und Begrenzung der Bundeswehr in der zweiten Phase der Wiener Gespräche zu überprüfen, die unmittelbar nach der Unterzeichnung des ersten Abkommens über konventionelle Streitkräfte beginnen sollte. Wir haben mit den Deutschen darüber gesprochen, und ich denke, sie werden zustimmen.
Zweitens: Präsident Bush schlug vor, den Beginn der Verhandlungen über taktische Atomwaffen zu beschleunigen.
Drittens: Wir haben vorgeschlagen, und die Deutschen haben zugestimmt, dass Deutschland sich verpflichtet, keine chemischen oder biologischen Waffen herzustellen, zu entwickeln oder zu erwerben.
Viertens: Wir schlugen vor, dass für eine vereinbarte Übergangszeit [sic!] keine NATO-Truppen auf dem Gebiet der DDR stationiert werden sollten.
Fünftens: Wir schlugen ferner vor, dass für eine vereinbarte Übergangszeit sowjetische Truppen auf dem Gebiet der DDR verbleiben würden.
Sechstens:
Die NATO wird sich weiterentwickeln und mehr zu einer politischen Organisation werden. Darüber hinaus wird es eine umfassende Überprüfung der militärischen Strategie geben, da die Wirksamkeit des Warschauer Paktes nachgelassen hat und die politische Rolle der Bündnisse gestärkt werden muss, wie Sie erwähnt haben.
Siebtens: Wir haben große Anstrengungen unternommen, um eine Einigung über die Grenzen Deutschlands zu erzielen. Wir haben jetzt eine solide Übereinkunft, dass ein vereinigtes Deutschland nur das Gebiet der DDR, der BRD und Berlins umfassen wird. Dies ist für die Polen und einige westeuropäische Länder wichtig. Offensichtlich ist es auch für die Sowjetunion wichtig.
Achtens: Wir bemühen uns in verschiedenen Foren darum, die KSZE letztlich in eine ständige Institution umzuwandeln, die ein wichtiger Eckpfeiler eines neuen Europas werden würde. Diese Institution würde alle europäischen Länder, die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten umfassen. Ich habe vorgeschlagen, im September dieses Jahres in New York ein Treffen der Außenminister von 35 Ländern abzuhalten, um das Gipfeltreffen der KSZE vorzubereiten, und schließlich der neunte Punkt.
Wir bemühen uns aktiv darum, dass die wirtschaftlichen Interessen der Sowjetunion im Einigungsprozess gebührend berücksichtigt werden, und sind uns bewusst, dass die Aufnahme eines vereinigten Deutschlands in die NATO für Sie ein politisches Problem darstellt. Dennoch glauben wir, dass ein vereinigtes Deutschland, wenn es fest im Rahmen dieser bewährten Sicherheitsinstitution verankert ist, niemals eine eigene nukleare Kapazität oder ein eigenes unabhängiges militärisches Kommando haben will.
[Baker stellte hier klar, dass die USA nicht gewillt waren und sind, Deutschland eine echte Unabhängigkeit zu gewähren. Sie würden deshalb auch dafür sorgen, „dass ein vereinigtes Deutschland (…) niemals ein eigenes unabhängiges militärisches Kommando haben“ würde. Gleichzeitig drängten die USA darauf, Deutschland vollständig, also einschließlich der ehemaligen DDR, in den NATO-Pakt zu integrieren. ]
Militärisch wird die NATO als Ergebnis der Veränderungen, die sich derzeit in Mittel- und Osteuropa vollziehen, völlig anders aussehen. Wenn Deutschland nicht Mitglied der NATO bleiben will, dann wird es das natürlich auch nicht. Die Vereinigten Staaten können Deutschland nicht zwingen, der NATO beizutreten. Es geht hier nicht um die Frage, ob wir den Deutschen vertrauen. Wir glauben aufrichtig, dass die NATO die Struktur ist, die die größte Stabilität in Europa bietet. Und das nicht nur im Hinblick auf die Ost-West-Beziehungen.
[Interessant ist es zu lesen, wie sich der gewiefte Taktiker Baker hier vergaloppierte. Gerade hatte er Deutschland die (unter anderem) militärische Unabhängigkeit abgesprochen, um einen Satz später zu suggerieren, dass Deutschland eine freie Wahl des militärischen Bündnisses offenstehen würde. In dieser Phase der Diskussion wird deutlich, dass die USA keinesfalls ihre Kontrolle über die deutsche Politik abzugeben gedachten.]
Es gibt einige wenige instabile Gebiete in Europa, die sich aus interethnischen Rivalitäten, ethnischen Spannungen und so weiter ergeben. Die Tatsache, dass Polen, die Tschechoslowakei und Ungarn unseren Ansatz unterstützt haben, ist nicht das Ergebnis [US-]amerikanischer diplomatischer Bemühungen. Wir begrüßen ihren Standpunkt, aber wir haben ihn nicht aktiv gesucht. Im Übrigen haben wir unsere Meinung geäußert, dass es für einige dieser Länder gut wäre, regionale Vereinigungen zu gründen. Ich verstehe also Ihre Besorgnis, sie ist völlig legitim. Ich hoffe, dass meine Erklärungen für Sie nützlich waren.
[Auch hier wird das Taktieren Bakers deutlich. Die USA nahmen in jener Zeit, und auch bereits davor, massiv Einfluss auf die Politik der osteuropäischen Staaten und förderten mit staatlichen, halbstaatlichen und privaten Organisationen (Stichworte: NED, Soros) intensiv westlich ausgerichtete Oppositionsgruppen.]
Michail Gorbatschow:
Was ist, wenn sich Ihre Worte als prophetisch erweisen und ein vereintes Deutschland nicht in der NATO bleiben will? Sie sagen, dass Sie es nicht erzwingen können. Was wird dann geschehen?
James Baker:
Ich möchte Sie wiederum fragen: Wenn Deutschland nicht in der NATO ist, was schlagen Sie dann vor?
Michail Gorbatschow:
Ich möchte, dass wir während der Verhandlungen, vor der Wiedervereinigung, etwas tun. Diese Gelegenheit haben wir jetzt. Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, werden wir keine Gelegenheit mehr haben, etwas anderes vorzuschlagen. Das ist der Punkt.
Ihre Argumentation beruht allein auf der Vorstellung, dass ein vereinigtes Deutschland Mitglied der NATO sein muss. Sie bieten keine Alternativen an.
Gleichzeitig sagen Sie, dass Deutschland irgendwann einmal beschließen könnte, nicht in der NATO zu sein. Stellen wir uns einmal vor, was passieren würde, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind.
Deutschland wird das Recht haben, die NATO zu verlassen, aber wir werden keine Möglichkeit haben, eine Alternative anzubieten. Im Moment haben wir diese Möglichkeit, wir haben die Rechte und Pflichten der vier Siegermächte. Der Einigungsprozess ist noch nicht abgeschlossen. Wenn wir beschließen, dass ein vereinigtes Deutschland nicht Mitglied einer militärischen Organisation sein wird, dann stellt sich natürlich die Frage über seinen Status. Ich denke, es sollte ein demokratisches, entmilitarisiertes Land mit klar definierten Grenzen usw. sein. Das wäre eine neue Situation, die wir in einer endgültigen Friedensregelung absichern müssten.
Die Regelung könnte Ihre neun Punkte beinhalten. Das wäre etwas, das jeder verstehen könnte. Es wäre mehr oder weniger ein Mittelweg, wobei Deutschland natürlich immer noch näher an Ihnen dran wäre, aber das Gleichgewicht wäre besser.
James Baker:
Sie schlagen vor, dass in dem Dokument festgelegt wird, dass Deutschland nicht das Recht hätte, in der NATO zu bleiben?
Michail Gorbatschow:
Deutschland würde außerhalb aller militärischen Bündnisse stehen. Genauso wie viele andere Länder.
James Baker:
Sie sprechen also von einem neutralen Deutschland?
Michail Gorbatschow:
Ich weiß es nicht. Vielleicht bündnisfrei. Vielleicht ein Sonderstatus. Frankreich hat zum Beispiel einen Sonderstatus. Um diesen Teil des Gesprächs abzuschließen, möchte ich vorschlagen: Lassen Sie uns noch einmal gründlich darüber nachdenken.
Wir werden nachdenken, und Sie sollten nachdenken. Lassen Sie uns dieses Gespräch in Washington fortsetzen. Und wenn keines meiner Argumente überzeugt, dann werde ich dem Präsidenten vorschlagen und öffentlich verkünden, dass wir auch der NATO beitreten wollen. Sie sagen ja, dass die NATO nicht gegen uns gerichtet ist, dass sie nur eine Sicherheitsstruktur ist, die sich an die neue Realität anpasst. Wir werden also vorschlagen, der NATO beizutreten.
James Baker:
Eduard A. Schewardnadse wurde auf einer Pressekonferenz in Bonn zu diesem Thema befragt.
Eduard Schewardnadse:
Damals habe ich geantwortet, dass wir noch keinen Antrag auf Aufnahme in die NATO gestellt haben.
Michail Gorbatschow:
Auf jeden Fall ist es keine rein hypothetische Frage. Es ist keine Absurdität.
James Baker:
Das ist interessant. Sie sagten, es gäbe viele neutrale und bündnisfreie Länder. Das ist richtig. Aber sie tun es aus freien Stücken und nicht, weil jemand sie zu diesem Status gezwungen hat.
[Stets insistierte Baker auf den Aspekt der freien Wahl eines Landes über seine Neutralität oder Bündnisangehörigkeit. Er erweckte so den Eindruck, dass es die vollständige politische und militärische Vernetzung wie Steuerung Westdeutschlands und die entsprechende Konditionierung der westdeutschen Politiker gar nicht geben würde. Baker wusste selbstverständlich, welche Wahl „aus freien Stücken“ das neue, von der alten Bundesrepublik dominierte Deutschland treffen würde.]
Michail Gorbatschow:
Nun, vielleicht werden die Deutschen diesen Status selbst einnehmen. In jedem Fall sollte es eine Ausweichmöglichkeit geben. Ihre Position basiert auf nur einer Option. Das ist es, was Sie wollen. Aber wir wollen etwas anderes. Wir können nicht nur auf der Grundlage dessen, was Sie wollen, vorgehen.
James Baker:
Wir wollen es nur, weil sie [in Deutschland] es selbst fordern. Sie sagen, das sei für Sie unannehmbar. Aber Neutralität kann man nicht erzwingen. Sie können sie nicht als Bedingung für die Beendigung der Verpflichtungen der vier Mächte verlangen. Dies würde den Grundsätzen der Schlussakte von Helsinki widersprechen, in der es eindeutig heißt, dass Länder das Recht haben, sich Bündnissen anzuschließen. Außerdem würde ein solches Vorgehen Deutschland in eine Sonderstellung bringen und bei den Deutschen große Ressentiments und Feindseligkeit hervorrufen. Mit anderen Worten, es würde die Saat für künftige Instabilität legen, und das ist genau das, was wir nicht wollen.
Michail Gorbatschow:
Wie kommen Sie darauf, dass es nur dann zu Ressentiments kommen wird, wenn Deutschland nicht Teil eines westlichen Bündnisses ist?
James Baker:
Es wird Ressentiments geben, wenn Deutschland in eine Art Sonderkategorie eingeteilt wird, wenn es gezwungen wird, etwas gegen seinen Willen zu tun. Wenn Deutschland sich aus freien Stücken entscheidet, Mitglied des Warschauer Paktes zu werden, wäre das eine andere Sache.
[Es lohnt sich der Bezug auf die Gegenwart: „Es wird Ressentiments geben, wenn Deutschland (…) gezwungen wird, etwas gegen seinen Willen zu tun“.]
Michail Gorbatschow:
Wenn sie [Deutschland] dem Warschauer Pakt beitreten wollten, was würden Sie dann tun?
James Baker:
Wir werden keine Einwände erheben, wenn es wirklich ihre freie Entscheidung sein sollte.
Michail Gorbatschow:
Wir können also feststellen, dass Sie auf ein solches Ersuchen mit Verständnis reagieren würden.
James Baker:
Die Schlussakte von Helsinki besagt, dass jedes Land Mitglied einer Organisation oder eines Bündnisses sein kann.
Michail Gorbatschow:
Darf ich daraus schließen, dass die Vereinigten Staaten mit Verständnis reagieren würden, wenn ein vereinigtes Deutschland Mitglied des Warschauer Paktes werden wollte?
James Baker:
Wir würden sagen: Deutschland sollte unserer Meinung nach Vollmitglied der NATO sein, allerdings nur auf eigenen Wunsch.
Michail Gorbatschow:
Und dennoch, im Prinzip: Wenn ein vereinigtes Deutschland auf der Grundlage des Prinzips der Wahlfreiheit von seinem Recht Gebrauch macht, die Organisation zu wählen, der es angehören will, und beschließt, Mitglied des Warschauer Paktes zu werden, werden Sie dem zustimmen können?
James Baker:
Wir werden sagen, dass dies unserer Meinung nach unter dem Gesichtspunkt der zukünftigen Stabilität die falsche Entscheidung ist. Wir werden aber an den Prinzipien von Helsinki festhalten.
Michail Gorbatschow:
Ich verstehe. Nun, ich bin zufrieden: Sie haben im Wesentlichen Argumente zur Unterstützung meiner Position geliefert.
Denn wir sagen, dass eine Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der NATO das Kräfteverhältnis verändern wird, das in den letzten 45 Jahren die Stabilität in Europa gewährleistet hat. Unsere Argumentation ist also ein Spiegelbild der Ihren.
James Baker:
Nein, dem kann ich nicht zustimmen.
Michail Gorbatschow:
Wir müssen nach einem Weg suchen, unsere Ansätze zu kombinieren. Die Vereinigung Deutschlands ist eine neue Realität, und dieses neue Phänomen stellt unsere Fähigkeit auf die Probe, Lösungen auf der Grundlage eines Interessenausgleichs zu finden. Wir haben ja gesagt, dass wir dies anstreben. Gerade jetzt, wo dieser Ansatz zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt wird, müssen wir nach einer für beide Seiten akzeptablen Lösung suchen.
James Baker:
Ich möchte Sie fragen: Würden Sie der freien Entscheidung Deutschlands zustimmen, Mitglied der NATO zu bleiben?
Michail Gorbatschow:
Ich bin ehrlich zu Ihnen und habe Ihnen gesagt:
Wenn ein vereinigtes Deutschland der NATO oder dem Warschauer Pakt angehören wird, wird dies zu einer Veränderung des strategischen Gleichgewichts in Europa und der ganzen Welt führen. Ich denke, in der gegenwärtigen Situation sollten Sie uns nicht im Stich lassen. Es ist ein sehr wichtiger Moment, und wenn dies geschieht, könnten wir völlig unerwartete Schritte unternehmen.
Lassen Sie uns also nach für beide Seiten akzeptablen Lösungen suchen.
Eduard Schewardnadse:
Ich möchte sagen, Herr Außenminister, dass Sie, wenn Sie über die Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands in der NATO nachdenken, vergessen, dass noch niemand das Potsdamer Abkommen gekündigt hat. Dieses Abkommen definiert theoretisch die Struktur, den militärisch-politischen Status und Bedingungen wie Entnazifizierung, Entmilitarisierung und Demokratisierung Deutschlands. Es legt auch unsere Rechte und die Rechte der vier Mächte fest.
Gerade jetzt werden wir aufgefordert, diese Rechte aufzugeben, aber auf der Grundlage eines einseitigen Beschlusses, der nur die Interessen des Westens berücksichtigt und unsere Belange außer Acht lässt. Zweitens. Ich stimme Ihnen zu, Herr Außenminister [Baker], wenn Sie sagen, dass wir die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten berücksichtigen müssen. Und Sie sprechen von der Minderheit Ihrer Bevölkerung. Deshalb möchte ich sagen: Ich bin sicher, wenn das vereinte Deutschland Mitglied der NATO wird, wird es die Perestroika scheitern lassen.
Unser Volk wird uns nicht verzeihen. Die Leute werden sagen, dass wir am Ende die Verlierer, nicht die Gewinner [des Zweiten Weltkrieges, in der Sowjetunion/Russland des Großen Vaterländischen Krieges] sind.
Noch eine Sache. Ich teile nicht Ihre Meinung, dass die gesamteuropäische Sicherheit nur ein Traum ist, eine Art Fantasie. Der KSZE-Prozess ist eine Realität. Wir müssen über europäische Sicherheitsstrukturen nachdenken, die nicht auf Blöcken beruhen. Wir können das schaffen.
Michail Gorbatschow:
Und unsere mögliche Mitgliedschaft in der NATO ist keine so wilde Fantasie. Schließlich gab es schon einmal eine große Koalition, warum sollte sie jetzt unmöglich sein?
James Baker:
Ich verstehe Ihren Standpunkt, dass Sie im Moment nicht allein dastehen können. Ehrlich gesagt haben wir genau deshalb den „2+4“-Mechanismus vorgeschlagen. Wir erkennen die Notwendigkeit Ihrer Beteiligung an der Regulierung des europäischen Prozesses an, einschließlich des Prozesses der deutschen Vereinigung.
Michail Gorbatschow:
Genau richtig.
James Baker:
Wir verstehen auch Ihre innenpolitischen Faktoren.
Michail Gorbatschow:
Ja, wir hören bereits, dass der Mechanismus zu „1+4“ geworden ist. Und die Sowjetunion ist die Eine, während Deutschland zur westlichen Vier gehört (a2).
James Baker:
Und noch eine Sache. Ich sagte, dass die gesamteuropäische Sicherheit ein Traum ist. Was ich meinte, ist, dass es heute ein Traum ist. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, wie man die Strukturen aufbauen kann, damit sie Wirklichkeit wird. In der Zwischenzeit halten wir es für wichtig, dass Deutschland fest in den Sicherheitsinstitutionen verankert ist, damit es nicht in Versuchung gerät, eine Art eigene Sicherheitsstruktur zu schaffen (a3). Wir halten es für wichtig, dass Deutschland Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist, auch wenn wir nicht Mitglied sind. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, welche Folgen ein separates, neutrales Deutschland hat. (a4, 2)
Teil 2 finden Sie >>> hier.
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Anmerkungen und Quellen
(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen — insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors — kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.
(a1) Es ist eine wirklich aufschlussreiche Projektion Bakers, Kuba Subversion in anderen Staaten vorzuwerfen. Wo man doch seitens den USA mit allen wirtschaftlichen, politischen, geheimdienstlichen und militärischen Mitteln über Jahrzehnte hinweg systematisch selbst Subversion in Kuba betrieben hatte.
(a2) Dieses „1+4“, auf das Gorbatschow anspielte, lässt sich aus Sicht eines gelernten DDR-Bürgers auch anders verstehen. Unter dem „2+4“-Format verstand man die zwei deutschen Staaten plus die vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges. Nun ist festzustellen, dass die Verhandlungsteilnehmer aus der DDR damals im Großen und Ganzen nie über eine Rolle als der von Statisten hinauskamen. Die politischen Führer der Bonner Republik waren es, die das deutsche Zepter bei den 2+4-Verhandlungen in der Hand hielten.
(a3) Baker stellte hier ausdrücklich klar, dass eine vollständige Souveränität Deutschlands nicht im Interesse Washingtons lag. Sein ganzes Augenmerk lag darauf, das vereinigte Deutschland für die von Washington geführte westliche Hemisphäre abzusichern. Alle Argumentationen über eine neue Sicherheitsstruktur waren reine Polemik. Die russische Führung hat die Wortakrobatik der westlichen Verhandlungsführer zu deutschen Wendezeiten und auch danach nicht vergessen. Die harte Konsequenz ist eine Neuausrichtung russischer Außenpolitik gegenüber den „westlichen Partnern“.
(a4) Die Übersetzung erfolgte unter Zuhilfenahme von DeepL.com.
(1) 22.06.1990; Bericht über das zweite Treffen im Rahmen 2 + 4 auf Ministerebene am 22. Juni 1990 in Berlin; https://deutsche-einheit-1990.de/wp-content/uploads/VorlassAlbrecht16_Ministertreffen2.pdf; S. 3 bis 5
(2) 18.05.1990; National Security Archive; Record of conversation between Michail Gorbachev and James Baker in Moscow; https://nsarchive.gwu.edu/document/16132-document-18-record-conversation-between
(Titelbild) Moskau, Kreml bei Nacht; Autor: EvgeniT (Pixabay); Datum: 29.04.2017; Quelle: https://pixabay.com/de/moskau-nacht-russland-kreml-2259724/; Lizenz: Pixabay License
Diese Erfahrung wurde schon vorher gemacht: Kaum hatte das Bleichgesicht seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt, war die Rothaut auch schon ihren Skalp los. Gorbatschow ist ja für seine Naivität massiv kritisiert worden; vielen gilt er heute noch schlicht als Verräter.
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Dieses Protokoll datiert vom Mai 1990. Natürlich konnten weder Bush noch Baker auch nur ahnen ( ;-))) ), was nur wenig später passieren sollte. Auftritt die Neue Weltordnung:
„Bereits im Jahr 1992, also nur ein Jahr nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, wurde die sogenannte Wolfowitz-Doktrin formuliert, nach der kein kollektives Sicherheitssystem wie das der UN-Charta, sondern allein die USA – gestützt auf ihre militärische, wirtschaftliche und technologische Übermacht – die internationalen Regeln bestimmen und auch durchsetzen solle. (…) ‚Unser erstes Ziel ist, das Wiederauftreten eines neuen Rivalen auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion oder woanders zu verhindern…‘ “
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https://www.emma.de/artikel/moral-gegen-macht-340477
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Gorbatschows Versagen fand eine Wiederholung bei Putins Rede im Deutschen Bundestag am 25. September 2001. Wieviel Überwindung muss es den russischen Staatschef gekostet haben (meine Vermutung), die Lüge über 9/11 herunterzuschlucken, um den ‚westlichen Partnern‘ einmal mehr ein Angebot zur Zusammenarbeit zu unterbreiten:
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„Die Welt befindet sich in einer neuen Etappe ihrer Entwicklung. Wir verstehen: Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten.“
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https://www.bundestag.de/parlament/geschichte/gastredner/putin/putin_wort-244966
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Danach ist so einiges über die Leitplanken geflogen, und aktuell muss sich Russland mit dem Schlamassel in der Ukraine plagen. Immerhin: Putin hat seinen Skalp noch, und mit BRICS & Co. besteht Anlass zur Hoffnung, dass sich die Welt in eine progressivere Richtung bewegt.
Verträge und Absprachen sind immer nur soviel wert, wie die dahinterstehenden Mächte in der Lage sind, diese durchzusetzen.
Meiner Meinung nach war Gorbatschow keineswegs so naiv, sich über den Tisch ziehen zu lassen, er hat nur feststellen müssen, daß aufgrund der Schwierigkeiten der sowjetischen Wirtschaft kaum noch Druckmittel vorhanden waren. Potentiale wie Land und Rohstoffe mögen zwar wertvoll sein, solange diese aber nicht im Kapitalkreislauf zirkulieren, kann man in der jeweiligen Situation damit wenig punkten, will man sie nicht weggeben (was dann später unter Jelzin geschah).
Gorbatschow sagte einmal an anderer Stelle: „Wenn wir die Situation nicht meistern, werden wir Deutschland wieder gegen uns haben.“
Im Jahre 1991, die baltischen Republiken waren bereits aus der Sowjetunion ausgeschieden, bemühte sich Gorbatschow um einen neuen Unionsvertrag. Der dazu eingeleitete Nowo- Ogarjowo- Prozeß wurde durch den Augustputsch der Janajew- Clique abgebrochen und konnte nicht mehr wiederbelebt werden, vielmehr beschlossen unter der Führung von Jelzin die Präsidenten der Ukraine, von Weißrußland und Kasachstan die Auflösung der Sowjetunion zum Ende des Jahres, wobei Gorbatschow in den verbleibenden Monaten mehr oder weniger machtlos zusehen mußte.
In der deutschen Presse gab es dazu die Einschätzung, Gorbatschow sei ein Held des historischen Rückzuges. Ein militärischer Rückzug ist immer die schwierigste Operation und der dafür verantworliche Heerführer kann danach nicht mit Auszeichnungen rechnen; Gorbatschow aber ist es zu verdanken, daß die Sowjetunion mit einem Seufzer unterging und nicht im nuklearen Inferno.
(Daß die BRD heute sein Erbe mit Füßen tritt, ist nicht seine Schuld.)
Ob das noch bestehende Imperium gleichermaßen dazu in der Lage ist, wird sich zeigen.
Herzlich, Steffen Duck!
[Stets insistierte Baker auf den Aspekt der freien Wahl eines Landes über seine Neutralität oder Bündnisangehörigkeit. Er erweckte so den Eindruck, dass es die vollständige politische und militärische Vernetzung wie Steuerung Westdeutschlands und die entsprechende Konditionierung der westdeutschen Politiker gar nicht geben würde. Baker wusste selbstverständlich, welche Wahl „aus freien Stücken“ das neue, von der alten Bundesrepublik dominierte Deutschland treffen würde.]
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Also wirklich Ped!
Das klingt ja fast so als könne ein Land wie Deutschland oder eben aktuell die Ukraine nicht souverän über seine Bündniszugehörigkeit entscheiden!? Oder seine Regierung!? Oder Krieg und Frieden!?
https://www.bbc.com/news/world-europe-26079957
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Nur zur Sicherheit: Ironiewarnung
[…] Eine historische Debatte und die roten Linien der NATO-Osterweiterung – Peds Ansichten […]