Wenn Russland in den Konflikt eintrat, dann hat es ihn nicht auslösen können.


Das ist simple sprachliche Logik. Was den Ukraine-Krieg betrifft, gibt es gelegentlich verblüffend offene Stellungnahmen. Man muss natürlich in der Lage sein, solche Stellungnahmen auch ideologisch befreit aufzunehmen. Ursache und Wirkung verschmelzen manchmal miteinander. Und nicht selten wird die Ursache auch als wahrscheinliches Ereignis vorweg genommen. Dann entsteht der Eindruck, die Ursache wäre die Wirkung und die Wirkung die Ursache gewesen.


Das klingt verzwickt und weist uns auf semantische Fallen hin, wenn es um Kausalitäten geht. Während eines Interviews, das John Kirby dem US-Sender Fox News im Mai 2022 gab, äußerte er:

„Ich habe mein ganzes Erwachsenenleben lang mit dem militärischen Geheimdienst zu tun gehabt. Und ich kann Ihnen sagen, dass es niemals perfekt ist. Es ist ein Mosaik. Man tut sein Bestes mit den Informationen, die man sammeln kann, setzt sie zusammen und versucht, sie zu analysieren. Manchmal ist man näher am Ziel als in anderen Fällen. In Bezug auf die Ukraine waren die Vereinigten Staaten buchstäblich führend in der Welt, als es darum ging, deutlich zu machen, was Russland seit dem Herbst in Bezug auf die Ansammlung von Streitkräften und seine Absichten, in die Ukraine einzumarschieren, getan hat.“ (a1, 1)

Und weiter:

„Wir sagten es laut und deutlich vom Podium hier im Pentagon und in der ganzen Stadt sowie in internationalen Hauptstädten auf der ganzen Welt und insbesondere in Europa. Und nicht jeder hat uns damals geglaubt, aber wir hatten mit dem, was Russland vorhatte, völlig recht. Und wir haben auch im Vorfeld dieser Invasion hart gearbeitet.“ (1i)

Das war natürlich Propaganda und keine Leistung eines westlichen Geheimdienstes im Sinne der Informationsbeschaffung zur Erkennung von russischen Absichten. In unzähligen Aussagen führender russischer Politiker wurde in den Monaten zuvor deutlich gemacht, dass Russland bei einem unveränderten Fortgang der Dinge militärisch intervenieren würde. Und zwar dann, wenn die ebenso klar formulierten Bedrohungen, die Russland für seine nationale Sicherheit erkannte, nicht aus der Welt geschafft würden. Die russische Regierung war diesbezüglich in den Monaten vor der Intervention in der Ukraine unmissverständlich.

Es war alles klar: Eine ukrainische Militäroperation gegenüber der russischen Ethnie in der Ostukraine (Lugansk, Donezk) würde man nicht mehr akzeptieren. Das gleiche galt für die faschistoiden, russophoben Tendenzen, welche in der Ukraine immer offener zutage traten. Und nicht zuletzt war längst die rote Linie in Bezug auf die Osterweiterung der NATO überschritten worden.

Russland begann keinen Krieg. Es nahm den Krieg an, den militärischen Fehdehandschuh auf.

Kirby’s Äußerungen fügen sich ein in eine jahrelang betriebene, großangelegte psychologische Operation. Eine, welche planvoll das Narrativ von einer bedrohten Ukraine entwickelte und in den Köpfen der westlichen Bevölkerungen implantierte. Das Narrativ auf Bedrohungen „vorbeugend“ reagieren zu müssen, war vom Grundsatz her überhaupt nicht neu und bereits vorher in kaum zu zählenden Kriegen der „westlichen Wertegemeinschaft“ praktiziert worden. Doch tatsächlich sollte Russland in den Krieg in der Ukraine hineingezogen werden. Und das Konzept ging auf. Das westliche Unschuldslamm, als dass sich der Wertewesten seit jeher verkauft, wurde dem verlogenen Narrativ zufolge angeblich in der Ukraine unprovoziert angegriffen.

Dass diese Nummer ein weiteres Mal in den Köpfen der westlichen Konsumenten griff, hatte auch mit dem über viele Jahrzehnte hinweg gepflegten Russenhass zu tun, der im Unterbewusstsein eine latente russische Gefahr und gleichzeitig einen Standesdünkel gegenüber den angeblich zivilisatorisch zurückgebliebenen Russen implantierte.

Kirby vermittelte eine emotionale Botschaft. Aber wie wir gleich erfahren werden, teilte er uns unter der Decke der emotionalen Botschaft auch die Wahrheit mit. Die Legende vom „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ muss ja genau deshalb so vehement verbreitet werden, weil sie eben nicht der Wahrheit entspricht. Sie ist rational nicht plausibel, also muss mit psychologischen Methoden gewissermaßen nachgeholfen werden.

Es ist wirklich wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es sich beim „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ um die Verbreitung einer Lüge im Rahmen einer langfristigen psychologischen Operation handelt. Ebenso wichtig ist es, zu erfassen, dass dieser Krieg von London und Washington geplant und begonnen wurde. Und bereits mit Entfachen des Krieges 2013/14 war das auch ein Krieg gegen Russen und Russland — wenn auch auf ukrainischem Boden.

Ohne Feindbilder keine Kriege. Strategische Ziele im Sinne der Wahrung und Erlangung von Macht sind ethisch-moralisch nicht attraktiv. Also muss eine Scheinmoral her, mit der man die Gesellschaften ins Kriegsboot holt. Mit Angst und Schuldgefühlen hat man Menschen leider schon immer erfolgreich in Kriege einbinden können. So hat man die westlich geführten Kriege gegen Korea, Vietnam, Nikaragua, den Irak, Afghanistan, Libyen und Jugoslawien stets mit ethischen Standards bühnentauglich gemacht. Und stets hat sich, wenn nicht sofort dann später, herausgestellt, dass die Scheinethik auf einem Meer von Lügen basierte.

Kommen wir zu weiteren aufschlussreichen Äußerungen John Kirby’s. Solchen, die uns eigentlich die Wahrheit auf dem Silbertablett servieren:

„Die Regierung Biden hat schon lange vor der Invasion Waffen geliefert. Die erste Milliarde Dollar, die der Präsident für die Ukraine bereitstellte, beinhaltete auch tödliche Hilfe. Und das war, bevor Putin beschloss, einzugreifen. Außerdem haben wir sehr offen und ehrlich darüber gesprochen, was wir bei den Russen beobachten konnten. Und der letzte Punkt, den wir meiner Meinung nach nicht so sehr im Auge behalten, wie wir es sollten, Neil, ist die Ausbildung und der Aufwand, der in den letzten acht Jahren betrieben wurde, um die Ukrainer auf diese Art von Krieg vorzubereiten. Die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien und andere Verbündete halfen den Ukrainern bei der Ausbildung in den Bereichen Führung kleiner Einheiten, Kommando und Kontrolle sowie operatives Manövrieren.“ (1ii)

Die bemerkenswerteste Passage aus obigem Zitat sieht der Autor in dieser:

„Die erste Millarde Dollar, die der Präsident für die Ukraine bereitstellte, beinhaltete auch tödliche Hilfe. Und das war, bevor Putin beschloss, einzugreifen.“

Was nun verdient eine besondere Würdigung dieser Aussage? Erstens stellt Kirby die Kausalitäten an dieser Stelle richtig, ja, sogar bemerkenswert präzise dar. Nicht nur, dass die Ukraine lange vor dem „Eingreifen“ Russlands mit NATO-Waffen vollgestopft wurde. Sondern auch bevor ein „Eingreifen“ von der russischen Führung überhaupt „beschlossen“ wurde.

Die Herausforderung besteht nun darin, die durch einen semantischen Kniff Kirby’s verschleierte Realität vom Kopf auf die Füße zu stellen. Der Kniff nutzt zur Darstellung der Kausalität ein „bevor“ statt einem „nachdem“. Es ist spannend, zu erfassen, wie unsere Emotionen mittels Sprache gesteuert werden. Denn was Kirby implizit ausdrückte, ist das: Unter anderem nachdem die USA der Ukraine Milliarden an Dollar zur militärischen Aufrüstung bereitstellten, beschloss Russland, „einzugreifen“. Zuvor gab es einen solchen „Beschluss“ nämlich nicht.

Unter anderem die USA haben also die Ukraine nicht nur aufgerüstet, bevor Russland „eingriff“. Sie taten es, bevor Russland überhaupt „beschloss einzugreifen“. Wenn es aber diesen „Beschluss“ zuvor nicht gab, dann gab es bis dahin auch keine russische Bedrohung der Ukraine. Erst nachdem die anglo-amerikanisch geführte NATO beschlossen und tatkräftig begonnen hatte, dieses Land hochzurüsten, vor allem aber eben auch begann, Krieg insbesondere gegen Russen in der Ukraine zu führen, trat dies ein. Wer bedrohte wen? Vor allem: Wer initiierte die Eskalation der Drohungen?

Das hat uns Kirby im Jahre 2022 quasi durch die Blume erzählt. Und Kirby wusste genau, von was er wie sprach. Er war vor seinem Eintritt in die Politik im Jahre 2015 ein hoher Militär in der US-Marine, zuletzt Berater im Generalstab (2). Die seit Jahrzehnten in immer stärkeren Maße betriebene Aufrüstung der Ukraine und ihre Einbindung in die NATO-Strukturen sind ihm wohlbekannt.

Noch etwas sehr bemerkenswertes teilte uns Kirby, im Jahre 2022 Pressesprecher des US-Kriegsministeriums, in den obigen zwei Sätzen mit. Wovon der zweite lautete:

„Und das war, bevor Putin beschloss, einzugreifen.“

Ist das nicht interessant? Erst recht, wenn es von einem ranghohen US-Politiker und Ex-Militär kommt? Eingreifen kann man nur in etwas Bestehendes. Etwas, was zuvor geschaffen oder begonnen wurde. Russland hat also — wie gesagt ist das die implizite Aussage Kirby’s — nicht etwa den Konflikt ausgelöst, sondern militärisch in diesen eingegriffen. Eingegriffen — und sogar das hat Kirby uns erzählt —, weil es von diesem Konflikt direkt und indirekt betroffen war. Russland hat damit lediglich die passive Rolle eines Betroffenen gegen die aktive Rolle des Eingreifenden eingetauscht.

Vehement wurde im öffentlichen Informationsraum die Einbindung der Ukraine in die Strukturen der NATO als russische Propaganda abgetan. Betrieb also der hohe Vertreter der US-Politik John Kirby im Mai 2022 russische Propaganda? Natürlich nicht. Erst nachdem das geschehen war, von dem Kirby im Folgenden sprach, „beschloss Putin einzugreifen“:

Und der letzte Punkt, den wir meiner Meinung nach nicht so sehr im Auge behalten, wie wir es sollten, Neil, ist die Ausbildung und der Aufwand, der in den letzten acht Jahren betrieben wurde, um die Ukrainer auf diese Art von Krieg vorzubereiten. Die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien und andere Verbündete halfen den Ukrainern bei der Ausbildung in den Bereichen Führung kleiner Einheiten, Kommando und Kontrolle sowie operatives Manövrieren. (1iii)

Kirby war Militär. Als dieser berichtet er voller Stolz davon, wie die Ukraine durch die NATO kriegstauglich gemacht wurde. Von „den letzten acht Jahren“ sprach Kirby da. Das waren genau die acht Jahre, die dem Maidan-Putsch folgten. Es waren genau die acht Jahre, an deren Beginn der Ukraine-Konflikt offen losgetreten wurde. Es waren acht Jahre Krieg, in welchen Russland erst im Jahre 2022 aktiv eintrat.

Hohe ukrainische Politiker versprachen im März 2014:

„Ich bin selbst bereit, eine Kalaschnikow in die Hand zu nehmen und dem Dreckskerl [gemeint ist Wladimir Putin] in den Kopf zu schießen. […] Ich werde die ganze Welt [gegen Russland] erheben, sobald ich es kann, damit — verdammt — von Russland nicht einmal ein verbranntes Feld übrig bleibt.“ (3)

So beginnen Kriege: mit Worten. Russlands Intervention begann mit Ansage. Insofern bestand die Leistung der US-Dienste lediglich darin, genau dafür zu sorgen, dass die Ursachen für eine russische Intervention auch wirklich hergestellt würden:

„In Bezug auf die Ukraine waren die Vereinigten Staaten buchstäblich führend in der Welt, als es darum ging, deutlich zu machen, was Russland seit dem Herbst in Bezug auf die Ansammlung von Streitkräften und seine Absichten, in die Ukraine einzumarschieren, getan hat.“ (1iv)

Denn das sagt uns Kirby natürlich nicht. Dass Russland explizit in den militärischen Konflikt hineingezogen werden sollte. Und der Zweck des Ganzen lautet? Lassen wir dazu eine regelmäßig in den Gleichstrommedien auftretende NATO-Propagandistin zu Wort kommen:

„Russland muss in der Ukraine eine strategische Niederlage erfahren und für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen werden. Alles andere wäre eine politische Bankrotterklärung des Westens.“ (4)

Und wieder steckt in der ganzen Propaganda Wahrheit. Denn Stefanie Babst, so der Name der NATO-Propagandistin, weist uns darauf hin, um was für einen Krieg es sich in der Ukraine tatsächlich handelt. Und das ist im Kern nun einmal kein Verteidigungskrieg der Ukraine sondern einer des sogenannten Wertewestens gegen Russland. Insbesondere handelt sich um einen Krieg, den der Westen um jeden Preis gewinnen muss, weil er sich sonst als politisch bankrott ansieht. Ein solcher, wohlgemerkt selbstgewählter Standpunkt bietet keinen Raum für Verhandlungen. Ein solches Denken ist schlüssigerweise zwanghaft auf Krieg gebürstet, somit nicht friedensfähig und der Diplomatie keine Chance gewährend (5).

Befreit von der propagandistischen Semantik treffen sich somit die Aussagen von Kirby und Babst. Der Krieg gegen Russland wurde lange geplant und dessen Ziel ist die Destabilisierung, gar Spaltung und Fragmentierung des Riesenlandes. Russland reagierte auf die längst als existenziell wahrgenommene Bedrohung. Und genau darüber muss sich jeder im Klaren sein: Dass das Prinzip von Ursache und Wirkung im Realen auch durch eine wüste Propaganda nicht außer Kraft gesetzt wird.

Die derzeitige Kriegspsychose, die von unverantwortlichen Politikern auch in Deutschland geschürt wird, zeigt nichts anderes, als dass das Ziel, Russland um jeden Preis in einen größeren Konflikt zu ziehen, um ihm eine strategische Niederlage beizubringen, nicht aufgegeben wurde. Sollte Russland auf die real wachsende Bedrohung durch die NATO-Staaten irgendwann mit militärischer Macht reagieren, werden sich die bellizistischen Meinungsführer im Informationsraum sicher über einen weiteren „unprovozierten russischen Angriffskrieg“ echauffieren. Dass die Kausalitäten anders aufgestellt sind, kann auch heute jeder, der offenen Auges ist, kristallklar sehen.

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.


Anmerkungen und Quellen

(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen — insbesondere der deutlich sichtbaren Verlinkung zum Blog des Autors — kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei internen Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.

(a1) Die Übersetzungen erfolgten unter Zuhilfenahme von DeepL.com.

(1 bis 1iv) 10.05.2022; Fox News; Biden administration sent weapons to Ukraine ‚well before‘ invasion: Pentagon press secretary; https://www.foxnews.com/media/biden-administration-weapons-ukraine-invasion-pentagon-press-secretary

(2) 22.04.2015; U.S.News, AP; Matthew Lee; Officials: Former Pentagon briefer Kirby to become new State Department spokesman; https://www.usnews.com/news/politics/articles/2015/04/22/officials-ex-pentagon-spokesman-to-move-to-state-department

(3) 25.03.2014; taz; „Dreckskerl in den Kopf schießen“; https://taz.de/Timoschenko-ueber-Putin/!5045724/

(4) 23.11.2023; Konrad Adenauer Stiftung; Christoph Bors bei Podiumsdiskussion mit Stefanie Babst; https://www.kas.de/de/web/niedersachsen/veranstaltungsberichte/detail/-/content/wunstorfer-wintervortrag-23-11

(5) 11.07.2025; Redaktionsnetzwerk Deutschland; Lawrow wirft Merz antirussische Nazi-Parolen vor; https://www.rnd.de/politik/russland-lawrow-wirft-merz-antirussische-nazi-parolen-vor-VWYSHYLMGZKGZPJVYN33FXFX3M.html

(Titelbild) Ukraine, NATO, Flagge; Autor: Wilfried Pohnke (Pixabay); 15.04.2022; https://pixabay.com/photos/nato-ukraine-flag-solidarity-7131948/; Lizenz: Pixabay License

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Von Ped

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