Eine Lüge birgt ein Narrativ, aber ein Narrativ ist mitnichten immer eine Lüge.
Wir wissen, dass Narrative Erzählungen sind. Es sind Erzählungen, die sowohl Geschehenes als auch Erdachtes, Realität und Denkprozesse miteinander verbinden, um eigene oder fremde Überzeugungen weiterzugeben. Damit ist jedes Narrativ gewissermaßen Abstraktion und weitergehend Fiktion. Narrative sind etwas Alltägliches, wir benutzen sie fortwährend. Oft werden nun Narrative unterschwellig mit Lügen gleichgesetzt, mit vorsätzlicher Desinformation. Stimmt das? Gibt es gar einen Kampf der Narrative? (Nicht nur) Sebastian Domschke hat sich darüber Gedanken gemacht.
Jetzt steht es sogar bei Manova — „Kampf der Narrative“ (1) schreibt Christian Stolle. Es ist darum, für mich, dringend geboten, dazu ein paar grundsätzliche Erwägungen in die Diskussion einzubringen. Worum geht es?
Ich habe vor einer Weile ein Gespräch mit einem Freund geführt, der hier vielleicht mitliest, und der sich das Wort ‚Bildung‘ nicht nehmen lassen wollte. Ein Begriff, den ich längst aufgegeben habe. Ihm ist der Begriff wichtig — Bildung im Sinne von Humboldt.
Das wäre natürlich schön, aber dieser Bildungsbegriff beinhaltet ein Konzept von ‚Selbstorganisation‘! Humboldt hat sich selbst gebildet. Und das ist furchtbar aus der Mode gekommen. Prozesse, die sich selbst regulieren, strukturieren, organisieren! Wo kämen wir denn da hin? Wie könnte man so was denn noch kontrollieren?!
Und so sehe ich, überall wo ich hinschaue, Bildung vom Bildhauer. Egal ob Schule, staatlich geförderte Künste, Museen… überall geht es darum, Vorurteile in Stein zu meißeln. Von Humboldtscher Bildung keine Spur und darum habe ich diesen Begriff aufgegeben. Aber ich verstehe natürlich das Anliegen meines Freundes und wenn er die Hoheit über den Bildungsbegriff hätte, ich würde ihn mit Begeisterung verwenden. Hat er aber nicht und meine Hoffnung richtet sich darum darauf, einen anderen Begriff zu finden, der den Aspekt der Selbstbestimmung schon in sich trägt und nicht offen lässt für eine feindliche Übernahme durch die üblichen Verdächtigen.
Und vielleicht ist mein Anliegen um das ‚Narrativ‘ ähnlich. Vielleicht ist der Kampf längst verloren? Und doch…
Wenn ich philosophische (oder selbst mathematische oder physikalische) Betrachtungen anstelle, dann arbeite ich mit Narrativen. Ein Gedankenexperiment ist ein Narrativ. Eine Metapher ist ein Narrativ.
Irgend jemand sagte mal, alles Sehen sei perspektivisches Sehen. Und gleichsam — ohne irgend eine Einschränkung — ist alles Sprechen erzählerisches Sprechen. Auf Englisch ‚narrative‘ — die Wurzel ist natürlich radikal lateinischer Herkunft. Das Narrativ ist die Perspektive der Sprache und die Perspektive zu verändern geht im sprachlichen Bereich nicht, indem man seine Füße benutzt und um die Banane läuft, um sie aus einer anderen Richtung anzublicken, sondern ausschließlich, indem man das Narrativ ändert.
Ich brauche darum Narrative, und viele davon! Aber es gibt eine wichtige Einschränkung. Eine Lüge ist nicht das selbe wie ein Narrativ! Ein Narrativ ist eine sprachliche Perspektive auf den Gegenstand meiner (sprachlichen) Betrachtung.
Im Gegensatz dazu ist eine Lüge eine Aussage mit der Absicht zu täuschen. An dieser Stelle sei angemerkt, dass weder der Gebrauch des Wortes ‚Narrativ‘ noch des Wortes ‚Lüge‘, wie ich sie hier mache, mit der Wikipedia zusammen gehen. Das nehme ich nicht nur in Kauf. Ich bestehe darauf.
Der ‚russische Angriffskrieg‘ — als eines von vielen vielen Beispielen — ist eine Lüge in obigem Sinn. ‚Verteidigungsministerium‘ ist genauso eine Lüge wie die daran angelehnte Aussage, Deutschland würde ‚am Hindukusch verteidigt‘. Das Einzige was am Hindukusch verteidigt wurde, waren die Mohnfelder der staatlichen US-amerikanischen Drogenmafia, besser bekannt unter dem Namen CIA (2 bis 9).
Und das wiederum — insbesondere die Gleichsetzung eines staatlichen Geheimdienstes mit einer organisierten kriminellen Vereinigung — ist ein Narrativ. Es geht darum, sprachlich eine Perspektive zu erschließen, die uns normalerweise — das heißt hier, in unserer eingeübten sprachlichen Ausdrucksweise — nicht in den Sinn kommt.
Denn alles Sprechen ist erzählerisches Sprechen, wie oben dargelegt. Es geht nicht anders.
Schwierig ist es freilich, im Alltag ein Narrativ von einer Lüge zu unterscheiden. Es ist schwierig, weil jede sprachliche Lüge (es gibt auch nonverbale Lügen) erzählerisch verpackt ist. Und weil eine Lüge die Absicht zu täuschen beinhaltet — von Mitmenschen die uns in aller Regel ebenbürtig sind — ebenbürtig an Verstand. Insoweit es nicht um Mitmenschen, sondern um von ihnen geschaffene Institutionen als Handlungssubjekten geht, sind sie uns möglicherweise auch überlegen — überlegen an Macht.
So oder so sind Täuschungen aus naheliegenden Gründen auf den zu Täuschenden zugeschnitten. Es macht keinen Sinn, wenn die Katze der Maus erzählt, sie wolle sie nicht fressen. Aber wenn die Schwanzspitze aus dem Gras heraus zuckt, könnte die Maus denken, die Gefahr sei noch eine Katzenlänge weiter weg, als sie tatsächlich ist (ein Beispiel für eine nonverbale Lüge).
Lügen sind konstruiert, genau wie die Narrative, die ich verwende. Es gibt natürlich Narrative, die praktisch von selbst entstehen. Aber wenn ich zum Beispiel ein Gedankenexperiment entwerfe, um eine physikalische Idee zu untermauern, dann konstruiere ich dieses Experiment natürlich ganz gezielt. In dem Fall konstruiere ich das Gedankenexperiment so, dass der Ausgang selbsterklärend ist und dem Verständnis eines zugrunde liegenden physikalischen Prinzips förderlich, und nicht etwa widersprüchlich oder irreführend.
Wer eine Lüge konstruiert, konstruiert sie nach Möglichkeit so, dass die Täuschung funktioniert, denn das ist ja die Absicht — und zwar beim Empfänger, man könnte auch sagen der Zielgruppe der Lüge.
Wer verstehen will, warum die PLandemie vor allem von Bildungsbürgern unkritisch und unreflektiert aufgenommen wurde — das ist schon die ganze Antwort. Das war die Zielgruppe, denn die Bildungsbürger erschaffen die öffentliche, Entschuldigung, die veröffentlichte Meinung über Institutionen wie insbesondere die Medien. Und die veröffentlichte Meinung ist maßgeblich für politische Entscheidungen beziehungsweise deren Rechtfertigung.
Die Bildungsbürger — da war doch was? Wiederholung der weiter oben aufgeführten Erkenntnis: Und so sehe ich überall, wo ich hinschaue, Bildung vom Bildhauer. Egal ob Schule, staatlich geförderte Künste, Museen… überall geht es darum, Vorurteile in Stein zu meißeln.
Man beachte: Das beantwortet die Frage nach dem ‚Warum‘. Über das ‚Wie‘ ist damit noch nicht allzu viel gesagt. Der Umgang mit Narrativen muss darum geübt werden. Zum Beispiel könnten wir folgendes Narrativ einnehmen:
Es gibt gar keinen Kampf der Narrative, weil es keinen geben kann. Ein Narrativ ist ein Objekt — im Gegensatz zu einem Subjekt. Ein Narrativ kann überhaupt nicht kämpfen. In der Sichtweise der Perspektiven oben stehen verschiedene Narrative einfach nebeneinander, und wir können sie ‚einnehmen‘ oder auch nicht. Beachten wir dabei die sprachlichen Gleichnisse vor allem mit dem militärischen Vokabular, ‚einnehmen‘ ist ein solches.
So wie ich eine Banane aus verschiedenen Richtungen anschauen kann, wenn ich das möchte.
Im Gegensatz dazu stehen im medialen Raum unterschiedliche ‚Narrative‘ eben nicht einfach nebeneinander. Dieses Narrativ hier zum Beispiel ist gefährliche Desinformation. Selbstverständlich. Die Lügen der Regierung dagegen sind amtliche bestätigte Wahrheiten (Achtung! Sarkasmus!). Den Begriff ‚Wahrheit‘ habe ich bis dato bewusst in meinen Ausführungen kein einziges Mal verwendet. Nicht einmal bei der Definition einer Lüge.
Womit wir es zu tun haben, ist also kein Kampf der Narrative, sondern ein Krieg der Lügen. Aber es ist kein Krieg, den die geschicktesten Lügen gegeneinander führen. Lügen können genauso wenig Krieg führen (oder eben kämpfen) wie Narrative. Den Krieg führt das mächtigste ‚Verteidigungsbündnis‘ der Welt, das man sachgerecht mit die ‚größte und mächtigste Terrorvereinigung der Welt‘ umschreiben sollte, weil dies den Tatsachen entspricht, egal ob im Irak, in Libyen, in Syrien oder in Afghanistan — oder in New York und seit 2022 auch in der Ostsee.
Und diese kriminelle Vereinigung führt einen illegalen Angriffs- und Vernichtungskrieg. Es benutzt dazu Lügen, Lügen, Lügen und nichts als Lügen — Lügen sind also das Mittel, nicht der Akteur.
Und diese Terrororganisation führt diesen Angriffskrieg gegen uns, deren Köpfe als das neue Schlachtfeld auserkoren wurden. Und das Schlachtfeld wird beschossen, unaufhörlich, aus allen Rohren (10). Das wäre ein Narrativ. Und es steht nicht gegen, sondern schlicht neben der eingangs zitierten Schlagzeile von Manova. Es ist ein anderer Blickwinkel.
Vielleicht bin ich zu spät. Vielleicht ist der Begriff ‚Narrativ‘ längst verbrannt und bis zur Unkenntlichkeit geschwärzt. Vielleicht brauchen wir einen neuen Begriff, der nicht mit ideologischem Ballast aufgeladen ist (vergleiche Rainer Mausfeld).
Es ist wie mit dem eingangs erwähnten Begriff der Bildung. Aber woher nehmen wir so einen Begriff? Und wenn wir den haben, wie sorgen wir dafür, dass er nicht vereinnahmt wird wie eine (‚nie gewesene‘) Friedenspartei von einem Verteidigungsbündnis?
Und bleiben wir, bis wir diesen neuen Begriff gefunden haben — in dem einen wie dem anderen Fall —, im wörtlichen Sinne sprachlos zurück?
Vielen Dank, Sebastian, und bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Anmerkungen und Quellen
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(1) 17.10.2024; Manova; Christian Stolle; Kampf der Narrative; https://www.manova.news/artikel/kampf-der-narrative
(2) 2008; Zeitenschrift; Amerikanische Marines müssen in Afghanistan die Heroin-Plantagen der Taliban bewachen; https://www.zeitenschrift.com/news/amerikanische-marines-muessen-in-afghanistan-die-heroin-plantagen-der-taliban-bewachen
(3) 25.06.2021; MintPress News; Alan MacLeod; Geopolitics, Profit, and Poppies: How the CIA Turned Afghanistan into a Failed Narco-State; https://www.mintpressnews.com/cia-afghanistan-drug-trade-opium/277780/
(4) 13.11.2014; TaSS; Opium production in Afghanistan over 20 years; https://tass.com/infographics/7264
(5) 03.12.2018; Quantara; Janet Jursawe; Ein trauriger Rekord; https://de.qantara.de/inhalt/drogenhandel-in-afghanistan-ein-trauriger-rekord?nopaging=1
(6) Mai 2015; United Nations; World Drug Report 2015; https://www.unodc.org/documents/wdr2015/World_Drug_Report_2015.pdf; S. 5
(7) 09.03.2018; World Atlas; Mark Owuor Otieno; What Was Operation Cyclone?; https://www.worldatlas.com/articles/what-was-operation-cyclone.html
(8) 28.07.1991; The Washington Post; Steven Mufson, Jim McGee; BCCI Scandal: Behind the Bank of Crooks and Criminals; https://www.washingtonpost.com/archive/politics/1991/07/28/bcci-scandal-behind-the-bank-of-crooks-and-criminals/563f2216-1180-4094-a13d-fd4955d59435/
(9) Dezember 1992; US-Senat; John Kerry, Hank Brown; The BCCI Affair; https://ia800406.us.archive.org/9/items/TheBCCIAffair/The-BCCI-Affair.pdf; ab S. 9
(10) 09.07.2023; Westend-Verlag; Jonas Tögel; Kognitive Kriegsführung; https://westendverlag.de/Kognitive-Kriegsfuehrung/1634
(Titelbild) Frau, Denken, Glaube, Zweifel; Autor: geralt (Pixabay); 11.03.2016; https://pixabay.com/de/illustrations/gesicht-seele-kopf-rauch-licht-1247955/; Lizenz: Pixabay Licence