Es ist ein langer Anlauf, den die Leser in bisher sieben Artikeln zur Verwicklung der Türkei in die Konflikte im Nahen – und Mittleren Osten begleitet haben. Der aber aus meiner Sicht verständlich macht, wie die fortwährende Eskalation des Krieges an und hinter seinen Grenzen wie auch in der Türkei selbst(!) verstehbar ist. Jetzt nun wenden wir uns der Ausweitung des Krieges auf die Kurdengebiete zu.


Für den folgenden Text fasse ich am Beginn einige grundlegende Erkenntnisse zusammen, um den Leser – trotz der inzwischen ja doch sehr umfangreichen Informationen – eine Struktur anzubieten. Es haben sich in der Analyse Interessengruppen heraus kristallisiert, die ständig miteinander interagieren, konkurrieren oder kooperieren. Eine Matrix halte ich für geeignet, um zu zeigen, wo welche Gruppen im Jahre 2012 agierten; mit Sicht von der Türkei aus.

Türkei Westl. Staaten Syrien Golf-Monarchien
Regierung Regierungen Regierung Regierungen
Armee NATO-Armeen Armee, FSA Armeen
Geheimdienst Geheimdienste Geheimdienste, FSA, „Aktivisten“ Geheimdienste
Muslimbrüder Muslimbrüder, Geheimdienste Muslimbrüder Muslimbrüder
Kurden (PKK) Kurden (Barzani) Kurden (PYG)  
SNC Freunde Syriens, Regierungen FSA Freunde Syriens
Medien Medien „Aktivisten“, FSA Medien
FSA SNC FSA SNC

Je dunkler und kräftiger die Schrift, desto stärker sind die Bindungen der Gruppen zwischen den Staaten bzw. Staatengruppen. Nicht alle Verbindungen kann die Matrix abbilden, z.B. die zwischen Geheimdiensten, Militärs und den Medien oder die zwischen der Erdogan-Regierung und Barzani´s Kurdenstaat im Nordirak oder auch die zwischen den Muslimbrüdern und Geheimdiensten in der Türkei selbst. Zu den Medien sind innerhalb dieser  Betrachtung auch soziale Netzwerke und Kampagnen-Plattformen zu rechnen; zu den Regierungen auch regierungsnahe – und gemeinnützige politische Institutionen (kurz NGOs). Aber für den großen Blick auf die Urheber und Handlungsstränge, die von der Türkei ausgehen, halte ich diese Tabelle für hilfreich.

Zwei Gruppen sind nicht in der Matrix enthalten: der türkische Schattenstaat fungiert auf einer Meta-Ebene über allen anderen Gruppen (innerhalb der Türkei). Und die große Gruppe der Opportunisten, zu der sich (in unterschiedlicher Ausprägung) jeder von uns zählen kann, betrifft also alle Gesellschaften und alle Menschen. Die Auswirkungen des Opportunismus, die sich in unserem ganz normalem täglichen Verhalten äußern, werden völlig unterschätzt.

In all diesen Interessengruppen geht die Bevölkerung teilweise auf. Ein komplexes Geflecht gesellschaftlicher Gruppen, dass sich gegenseitig steuert, in dem Macht ausgespielt wird und die Bevölkerung in unterschiedlicher Weise benutzt bis ausgenutzt wird, deren Interessen aber auch mehr oder weniger von den Mächtigen vertreten werden.

Schauen wir auf den Krieg in Syrien, können wir außerdem bis zum Ende des Jahres 2012 eine gewisse Abfolge entdecken:

  1. Die Vorbereitungen
    1. ideologisch, durch die Geostrategen des Westens („Der Neue Nahe Osten“)
    2. logistisch durch die Politik und Geheimdienste des Westens unter Einbeziehung des türkischen Schattenstaates (u.a. „Vorhalten“ einer Opposition für die „befriedete“ Gesellschaft; Einstimmung der Medien und sozialen Netzwerke)
  2. Der Aufstand
    1. ideologisch durch das Verbreiten des Narrativs vom „Arabischen Frühling in Syrien“
    2. politisch mittels Bearbeitung der Entscheidungsträger in der Türkei
    3. logistisch durch Politik und Geheimdienste (Bereitstellung von Waffen, Kommunikationstechnik und Geheimdienstinformationen)
    4. aktivistisch durch die Provokateure der Muslimbruderschaft (Anschläge auf Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Aufrufe zum Sturz der Regierung)
  3. Die Überleitung in den Krieg
    1. ideologisch durch das Narrativ, dass „ein Diktator sein eigenes Volk abschlachtet“
    2. politisch durch schleichende Handlungsübernahme seitens der türkischen Regierung
    3. logistisch durch Aktivierung der vorgehaltenen Opposition (SNC)
    4. aktivistisch durch Rekrutierung, Ausrüstung und Entsendung von Milizen (mit Basis im sicheren Hinterland der Türkei)

Dieser grobe Umriss sollte genügen, um die weiteren Prozesse in der Türkei und Syrien verstehen zu können. Im folgenden werden wir eine neue Phase und neue Akteure des Syrien-Krieges untersuchen.

Ausweitung des Krieges auf die Kurdengebiete

Teil 6 der Artikelreihe brachte die syrischen Kurden ins Spiel. Fassen wir auch das dort Behandelte noch einmal kurz zusammen. Die Syrische Arabische Armee (SAA) zog im Jahr 2012 ihre Truppen fast vollständig (ausgenommen einige wenige Enklaven) aus den Kurdengebieten im Norden des Landes ab.

Die Medien unterstellten der Assad-Regierung, die Kurden damit gegen die Türkei in Stellung bringen zu wollen. Ein völliger Unsinn, jeder konnte sehen, unter welchem Druck die SAA stand und wie wichtig die Bündelung ihrer Kräfte war, um dem Angriff der Muslimbrüder und der von ihnen geführten FSA Stand zu halten. [1]

Schauen wir mal, wie deutsche Medien das Geschehen interpretierten:

„Vor allem für die Türkei wächst nun das Risiko, noch tiefer in den syrischen Konflikt gezogen zu werden. Seit Monaten bereits lässt die Türkei es zu, dass die Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) den Süden des Landes als Rückzugsgebiet nutzen. Doch nun zeigt sich zunehmend, wie gefährlich der Aufstand nebenan werden kann. Entsprechend nervös reagierte Ankara auf die jüngsten Entwicklungen in den Kurdengebieten. Am Mittwoch wurden sämtliche Grenzübergänge für den Frachtverkehr geschlossen; die Regierung verlegte zusätzliche Truppen in die Grenzregion.“ [2]

Dazu eine Richtigstellung: Die Türkei wurde nicht in den Konflikt hinein gezogen, sie hatte sich aktiv hinein manövriert; Die Welt sagt ja selbst, dass die FSA türkisches Territorium als Rückzugsraum für ihren Krieg gegen die Zentralregierung nutzte. Abertausende bewaffnete Milizen betraten und verließen also Syrien ständig über die türkische Grenze. [3] Das bedeutet übrigens auch, dass die Grenze zur Türkei seit Monaten nicht mehr von der SAA vernünftig gesichert werden konnte. Statt dessen hatten Milizen der FSA die Kontrolle von Grenzübergängen zur Türkei übernommen. [4]

Grenzen sind für Staatsgebilde existenziell. Sie sind Zeichen ihrer Souveränität, grenzen den Rechtsraum gegenüber den Nachbarn ab und sind Symbol der Nation. Werden Grenzen gewaltsam aufgelöst, dann ist auch das Staatswesen bedroht. Während die Massenmedien über „Massaker von Assads Schergen“ und vom „Freiheitskampf aus Homs“ massenhaft ungeprüfte „Berichte“ verbreiteten, erodierten die syrischen Grenzen im Nordwesten und auch im Süden des Landes.

Um was ging es doch gleich den Geostrategen bei der „Gestaltung“ des „Neuen Nahen Ostens“? Um die Neuziehung von Grenzen. Das beinhaltet das nieder reißen bisheriger Grenzen, was gleichzeitig mit der Zerschlagung von Staaten einhergeht. Da ist auch wieder das Konzept sichtbar: „Kreative Zerstörung“.

Aber es gab daneben auch (noch) sichere Grenzen und nicht zufällig waren es u.a. die der Kurdengebiete. In den Kurdengebieten gab es keine Muslimbrüder und keine FSA. Ist es nicht bemerkenswert, dass es in diesen Gebieten über Monate große friedliche Demonstrationen, aber keinen „Volksaufstand“, keine bewaffneten Auseinandersetzungen und folgerichtig auch keine Toten auf den Straßen gab? [5] Das funktionierte selbst in den Gebieten, die kurdisch verwaltet wurden und in denen daneben Stützpunkte der SAA weiter bestanden. [6] Keine Extremisten, keine bewaffneten Milizen – kein Krieg. Weder vor dem Abzug der Syrischen Arabischen Armee, noch danach. Gibt das nicht zu denken?

Wen sollte so etwas stören? Die Türkei? Weil dort gesicherte Grenzen bestanden, stabile Strukturen und Frieden herrschte, sollte dies eine Bedrohung für die Türkei sein? Bedrohlich für ein Land ist doch vielmehr das Gegenteil. Lesen Sie dazu nochmal das Zitat aus Die Welt (s.o.). Massenhaft Waffen beiderseits der Grenzen, Unruhen, Flüchtlingsbewegungen, militärische Auseinandersetzungen, Chaos; das ist eine Bedrohung!

Wenn nun aber jemand ein explizites Interesse daran hat, Chaos herbei zu führen. Was wird dieser Jemand dann tun? Ich zitiere meine eigenen Gedanken aus Teil 6 dieser Artikelserie:

Denken wir an das Prinzip der „Kreativen Zerstörung“. Um Einfluss und Gestaltungsfähigkeit im Zielgebiet zu erlangen, muss dort zuvor ein Konflikt entfacht werden, je gewalttätiger desto besser. Wie nannte es doch Condoleeza Rice? Geburtswehen. Man kann es auch als das pathologische Prinzip beschreiben: Schaffe ein Problem und biete dann die Lösung. Hintertreibe Stabilität, intrigiere, lüge, verleumde. Hetze gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auf. Stachle sie dazu an, Gewalt als legitimes Mittel des Protestes oder der Verteidigung anzuwenden.

Und ich füge hinzu: Stärke alle Teilnehmer in ihren Ideologien und versorge sie mit Waffen. Wie spielte sich nun die Destabilisierung in den Kurdengebieten ab?

Schreckensbild autonomes Kurdengebiet

Eine der – wohlgemerkt aus meiner Sicht – großen Schwächen türkischer Politik, ist ihr ausgeprägter Nationalismus, gekoppelt mit Großmachtansprüchen in der Region. In diesem vertreten sie die Meinung, dass die türkische Nation ethnisch homogen aufgestellt ist. Es gibt nur Turkvölker. Nur so sieht man eine dauerhafte Einheit des Landes als gesichert an. Wenn jetzt dazu eine respektable Minderheit im Land mit deutlich abweichender Kultur und dem Wunsch nach Selbständigkeit auf das Spielfeld tritt, ergibt das, völlig nachvollziehbar, ein Spannungsfeld.

Die Ideologie einer geeinten Nation von Turkvölkern ist mit dem Kemalismus jedoch auch im Selbstverständnis der führenden türkischen Politiker fest verankert. Ihr Ego ist stark von dieser Idee geprägt, alles was die Idee gefährdet, gefährdet dieses Ego und – damit in ihrer Gedankenwelt auch die türkische Nation. (Gruppen von) Menschen, die skrupellos genug sind, die Schwäche eines übersteigerten Egos bei anderen für die eigenen Interessen auszunutzen, haben damit natürlich wunderbare Möglichkeiten, den Probanten regelmäßig über das Stöckchen springen zu lassen. Um so mehr, als der Traum von einer Führungsnation Türkei auch in der Bevölkerung Anklang findet.

Cafer Solgun sagte dazu auf einem Symposium zum Thema Kemalismus:

„Ich glaube, dass der Hauptgrund für unsere Demokratisierungsprobleme die Idee der offiziellen Ideologie ist, dass wir alle gleich sind. Solange wir uns dem nicht stellen, können wir zum Beispiel unsere Minderheitenprobleme nicht lösen. Kein Land braucht die Führung durch eine Staatsideologie. Was wir brauchen, ist ein Staat, der auf Grundrechten und Freiheit aufbaut.“ [7]

Der Islam, welcher über die AKP unter Erdogan auch im Staat mehr Fuß gefasst hat, wird – wieder meine Sicht – in diese streng gefasste Ideologie „eingebaut“ und festigt sie damit sogar noch. Der Kemalismus als Staatsideologie der Nation und der Islam als mglw. angehende Staatsreligion; das zusammen ist keine gute Voraussetzung für einen Staat gleichberechtigter freier Bürger.

Genau dort kann immer wieder angesetzt werden, um die Türkei zum weiteren gewünschten Handeln zu bewegen. Wenn nun nicht näher genannte Quellen über den Schattenstaat und offizielle Kanäle „wertvolle Informationen“ lancieren, die den Türken suggerieren, die PKK (in der Türkei) und PYD (in Syrien) schmieden gemeinsame separatistische Pläne für ein autonomes Kurdistan, dann ist die Reaktion der Egomanen in der Regierungsspitze vorprogrammiert.

Aber – und darauf werden wir zurück kommen – so absurd waren die „Ängste“ der Türken dann aber doch nicht! In gewisser Hinsicht entwickelte sich hier ein Stellvertreterkrieg, der einen Machtkonflikt zwischen der Türkei und den USA entsprang. Denn die Zweiten hatten und haben sehr wohl Pläne für ein kurdisches Staatsgebilde …

Konkrete Pläne hat man den syrischen Kurden nicht nachweisen können, aber die Türkei sah den indirekten Beweis. Es geht hier nicht um Rationalität (die leben die Strippenzieher), es geht um Emotionalität, unbewusste Beißreflexe. Genau das gleiche gilt für den absurden Vorwurf, die Assad-Regierung hätte ihre Truppen zurück gezogen, um den Kurden freie Hand für einen Angriff auf die Türkei zu geben. Aber der Glaube der türkischen Führung an diese Erfindungen von Gefahren – weil es eben so gut in ihr Weltbild passte – war es, der die Türkei noch tiefer in ihr unsinniges Syrien-Abenteuer hinein zog.

Die Umsetzung

Die türkische Regierung steckte nun in der eigenen ideologischen Klemme und versuchte der Gefahr über verdeckte Operationen zu begegnen. Hierzu konnte sie sich ihrer „Partner“ sicher sein. Deren Netzwerke bieten ein reichhaltiges Portfolio, um illegal in Krisengebieten zu werkeln. Und so wurde die FSA, über den SNC am Tropf der Golfmonarchien, der CIA und der Türkei hängend [8], auf die Kurden angesetzt. Wie nun geschah das?

Einem Bericht der Frankfurter Rundschau habe ich Teile eines Interviews aus dem Jahr 2012 mit Salih Muslim, Ko-Vorsitzender der Sozialistischen Kurdischen Partei der Demokratischen Einheit (PYD) in Syrien, entnommen [Hevorh. Peds Ansichten]:

Seit zwei Wochen gibt es Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee und kurdischen Verbänden der PYD in Serekani (Ras al-Ain) an der syrisch-türkischen Grenze. Was ist da los?

In rein kurdischen Gebieten haben wir im Juli die Einrichtungen des Regimes übernommen. Die Region Serekani ist kompliziert, denn dort leben Kurden und Araber gemeinsam. Deshalb waren wir extrem vorsichtig. Und deshalb gab es dort noch einige Soldaten des Regimes, Grenzpolizisten und Geheimdienstler. Am 9. November attackierten dann bewaffnete arabische Gruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) die verbliebenen Truppen des Regimes in Serekani.

Wer genau hat am 9. November von wo angegriffen?

Die Angreifer kamen von der türkischen Seite der Grenze und attackierten zunächst den Grenzposten des Assad-Regimes. Die türkische Armee hatte die gesamte Gegend einen Tag zuvor geräumt und sogar ihre Grenzposten abgezogen, sodass die FSA freien Zugang hatte. Allerdings war es nicht die echte FSA, sondern ausländische Kämpfer der al-Nusra-Front und der Brigade al-Sham, die beide zu al-Kaida gehören. Wenig später begannen sie, die kurdischen Viertel von Serekani anzugreifen.

Um wie viele Angreifer handelte es sich?

Um 700 bis 1000 Angreifer. Sie kamen zum einen aus der Türkei in türkischen Armeefahrzeugen, zum anderen aus Syrien, aus Azaz und Aleppo. An den ersten Tagen kämpften sie nur gegen die Regimekräfte, und diese verteidigten sich. Wir verhielten uns ruhig.

Wieso kam es dann später doch zu Kämpfen zwischen der FSA und Ihren kurdischen Volksverteidigungskräften in Serekani?

Am dritten Tag griffen sie plötzlich die Kurdenviertel an. Wir verhandelten mit ihnen und sagten ihnen: Bleibt, wo ihr seid! Die Verhandlungen führte auf kurdischer Seite der Präsident des Volksrates von Serekani, Abid Xelil. Doch sie töteten ihn und ließen uns damit keine andere Wahl. Unsere Volksverteidigungskräfte attackierten die FSA, und bis vor wenigen Tagen kämpften wir gegeneinander. Am vergangenen Wochenende begannen wir, mit der FSA über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Wir schlugen vor, dass Araber und Kurden zusammen die Stadt verwalten sollten. Doch die Türkei akzeptierte die Vereinbarung nicht und befahl der FSA: „Kämpft weiter – oder wir unterstützen euch nicht mehr.“ Das haben uns FSA-Leute berichtet. Noch ruhen die Waffen. Allerdings hat jede Seite Gefangene der anderen Seite.

Haben Sie versucht, mit den Türken zu verhandeln?

Die türkische Regierung ist dazu nicht bereit. Türkische Soldaten schossen von der Türkei aus Mörsergranaten auf kurdische Stellungen.

Wie viele Menschen starben bei den Kämpfen in Serekani?

Insgesamt etwa 50 Menschen. [9]

Das also passierte. Die türkische Armee räumte ihre Stellungen an der Grenze zu Syrien und nahm ihre Grenzbeamten gleich mit. Sie schuf freie Bahn für – Terroristen. Am nächsten Tag griffen Rebellen der FSA von der Türkei aus verbliebene syrische Armee-Einheiten auf syrischem Territorium an – und wenig später die Kurden selbst. Die FSA eine Volkswehr zur Verteidigung von Demonstranten? Diese große Lüge westlicher Massenmedien über die Rolle der FSA als Teil einer Volksbewegung kann gar nicht oft genug heraus gehoben werden.

Aber wie hinterhältig ist doch diese türkische Politik?! Natürlich, wer sich selbst betrügt, muss auch andere betrügen. Trotzdem verschlägt einem die Dreistigkeit derer feindseligen Handlungen gegen das Nachbarland (die ohne das Agieren der CIA im Hintergrund des türkischen Schattenstaates so niemals möglich gewesen wäre [10]) glatt die Sprache. Rebellen, zu nichts anderem mit türkischen Militärfahrzeugen nach Syrien gekarrt, als Chaos anzurichten, wurden sogar ausdrücklich aufgefordert, weiter gegen die Kurden zu kämpfen. [11] Echte Proxies also.

Die Freiheitskämpfer wechseln das Gewand

Was aber im November des Jahres 2012 endgültig offen gelegt wurde, war die Tatsache, dass die Türkei bereit war, noch Rebellen ganz anderem Kalibers für ihre Zwecke zu nutzen. Nur die Türkei? Kaum!

Wie sagte der Kurdenführer?:

Allerdings war es nicht die echte FSA, sondern ausländische Kämpfer der al-Nusra-Front und der Brigade al-Sham, die beide zu al-Kaida gehören.[12]

Die FSA war nur noch die leere Hülle, die Staffage, um Terroristen ganz anderen Kalibers in Syrien aktiv werden zu lassen. Ihre Hauptrolle bestand fortan darin, nach außen als eine Art Armee des Volkes auf zu treten, in Wirklichkeit aber als Schleuser für die von den westlichen Geheimdiensten über die Türkei gebrachten Waffen zu dienen und diese an die richtigen Adressaten weiter zu leiten: Al-Nusra. [13]

Fortan sollten islamistische Gruppen das Sagen im Krieg gegen Syrien haben. Achten wir auf das Datum, es ist der November 2012. Es ist ein reichliches Jahr her, dass ISI-Chef Baghdadi die Gründung von Al-Nusra veranlasste. Und innerhalb dieser Zeit hatten sie und seinesgleichen die FSA aufgesogen.

Die FSA und deren respektabler Anteil von Deserteuren hatten ihre Schuldigkeit getan. Ab nun waren sektiererische Salafisten aller Coleur die bestimmenden Akteure im Umsturzszenario für Syrien. Und so wie zuvor die FSA in der Türkei aufgepäppelt wurde, so erfuhren nun diese Salafisten alle Unterstützung der Türkei, des türkischen Schattenstaates, der westlichen Geheimdienste, der Medien, der Opportunisten. Und die westlichen Medien sangen weiter laut im Chor der Gleichschaltung das Lied von den bewaffneten Oppositionellen und ihrem Kampf gegen das „böse Assad-Regime“.

Dabei trieben die Medien noch ein anderes böses Spiel. Sie begleiteten das Einsickern dieser religiösen Extremisten mit der Mär, dass in Syrien der Konflikt in einen Glaubenskrieg abdriften würde. Sie konstruierten einen Konflikt zwischen Sunniten einerseits sowie Alawiten und Schiiten andererseits, den es so in Syrien nicht gegeben hatte.  Aber noch wichtiger: Sie stellten nicht die Verbindung zu den eindringenden Salafisten her, sondern konstruierten den Grund im Wirken des „brutalen Assad-Regimes“. [14]

Eine völlig verquere Kausalkette, die einzig dazu diente, den Menschen in den westlichen Demokratien ein Szenario vom Abgleiten in das Chaos zu verklickern. Was wiederum deren Vorurteile bestärkte, dass die Völker im Nahen – und Mittleren Osten friedensunfähig wären. Da war aber gar kein Abgleiten. Syrien versuchte man vielmehr mit aller Macht in das Chaos zu stürzen.

Diese ständige selektive Darstellung der Ereignisse in Syrien und der Türkei durch die Medien, dass Verbergen von Zusammenhängen, das Vertauschen von Ursache und Wirkung, sowie die unablässige Kackophonie vom Kampf der „guten Unterdrückten“ gegen „den bösen Unterdrücker“ spielten auch eine wichtige Funktion, um die Inszenierung dort weiter führen zu können.

Die ganze Berichterstattung, wie sie geführt wurde (und wird), hat(te) das Ziel, den Menschen die Fähigkeit zu nehmen, die Ereignisse zu verstehen. Dafür führte man „Experten“ in´s Feld, welche die „Aufgabe“ übernahmen, den Menschen eine Geschichte, ein Narrativ zu übermitteln. Experten von der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), einer deutschen Stiftung, auf die ich schon mehrfach hinwies, die direkt in den versuchten Systemumsturz in Syrien verwickelt ist und deren Expertisen Objektivität ausstrahlten, die sie nie und nimmer verdienten, wurden entsprechend in den Medien wider gegeben. [15]

Wer nun also ist Jabhat al-Nusra? Die Wurzeln dieser Gruppierung liegen im Irak des Jahres 2003, als die USA den Irak mit einem völkerrechtswidrigen Krieg überzogen. Just in jener Zeit baute der gebürtige Jordanier Abu Mussab al-Sarkawi die dortige Al-Qaida Filiale mit einem dschihadistischen Netzwerk auf und umgehend begann eine Terrorisierung des Iraks durch Bombenanschläge, Entführungen und Enthauptungen. [16]

Erkennt der Leser Parallelen? Die USA als Führer der freien Welt stürzten im Namen von Freiheit und Demokratie „eine böse Diktatur“. Und was folgte? Das Land versank im Chaos, die Gewalt grassierte, die Existenz des Landes selbst wurde gefährdet. Und das in Anwesenheit tausender US-amerikanischer Soldaten und Geheimdienstleute, ausgerüstet mit dem modernsten was Militär- und Kommunikationstechnik zu bieten haben. Unter der Präsenz der US-Truppen etablierte sich genau das Netzwerk, nämlich Al-Qaida, dessen Existenz die USA als Grund für ihren Krieg gegen den Terror angaben. Unfähigkeit? Wisssen Sie, lieber Leser, daran kann ich nicht mehr glauben. Al-Qaida war der Vorwand, doch seine Macht entfaltete sich erst nach der US-Invasion im Irak!

Der damalige US-Außenminister Colin Powell stellte damals Sarkawi als Verbindungsglied zwischen Al-Qaida und der Hussein-Regierung dar, um so den Krieg gegen den Irak als einen gegen das terroristische Netzwerk von Al-Qaida zu begründen. Das war eine Lüge, wie sich bald herausstellte. Und, wer fragt heute noch danach?

Und aus welchen Mitgliedern rekrutierte sich das Terror-Netzwerk von Sarkawi? Achtung! Wieder einmal schließt sich der Kreis:

„“Einige der ersten Rekruten von Sarkawi stammten aus dem Kreis der Muslimbruderschaft in Syrien„, sagt Nada Bakos, Ex-CIA-Analystin für al-Qaida im Irak.“ [17]

Nur um noch einmal daran zu erinnern. Wir reden von jener syrischen Muslimbruderschaft, die in London wohlwollendes Exil der britischen Regierung genoss und die in Jordanien geduldet wurde. Geduldet werden musste, denn die jordanische Regierung wusste, wer Sarkawi war und hatte ihn auf Grund von Mordanschlägen zum Tode verurteilt. [18] Warum musste das jordanische Königshaus das tun?

Sarkawi wurde im Jahr 2006 ermordet, doch das Netzwerk blieb intakt und wurde stärker und stärker. Es kam an immer modernere Waffen und Geld heran und gründete immer neue Zweige von Al-Qaida; allesamt sektiererisch, salafistisch, extremistisch – eine Gefahr für jede friedliche, bis dahin funktionierende Gesellschaft.

Al-Nusra machte das erstemal im Januar 2012 in jihadistischen Foren mit einem Video auf sich aufmerksam. Ihr Sprecher nannte sich al-Fatih („The Conqueror“) Abu Muhammad al-Jawlani. Im April des selben Jahres schließlich kündigte der Chef von Al-Qaida im Irak, Abu Bakr al-Baghdadi, die Vereinigung von Al-Nusra und Al-Qaida in Syrien zum Islamischen Staat im Irak und der Levante (ISIL) an. [19]

Zuvor hatte der syrische Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri alle islamistischen Gruppen zum gemeinsamen Kampf gegen Assads Regierung aufgerufen. Wenn auch der Chef von Al-Nusra, Abu Mohammed al-Golani, diese Vereinigung wenig später widerrief, so schwor er doch dem Al-Qaida-Chef die Treue. [20]

Analysen der Quilliam-Stiftung [21] kamen zu diesen Schlussfolgerungen [Übers. Peds Ansichten]:

„Unseren Quellen zufolge, erhält Jabhat al-Nusra weiterhin strategische und ideologische Unterstützung durch den Islamischen Staat im Irak (ISI) und sein Aufbau wird bis heute von Al-Qaida begleitet. Aktuell lässt sich Al-Nusra als Al-Qaida definieren, eine selbständig agierende Struktur, ideologisch verbunden mit, aber unabhängig von ISI agierend.“ [22]

Und im Spiegel las man:

Ich glaube, man kann nur schwer einen Unterschied zwischen al-Qaida im Irak und Dschabhat al-Nusra machen„, sagt Bakos [CIA-Analystin]. „Schließlich teilen sie sich höchstwahrscheinlich dieselben Ressourcen.“ Das US-Außenministerium bezeichnete Dschabhat al-Nusra im Dezember sogar als Pseudonym der irakischen al-Qaida und als „Versuch von al-Qaida im Irak, den Kampf des syrischen Volks für seine eigenen böswilligen Zwecke zu kapern„. [23]

Jetzt wäre es wirklich sehr interessant, heraus zu finden, was genau das für Ressourcen sind und wer sie bereitstellt …

Unreflektiert und damit ungewollt offen tragen Polit-Experten des Westens nach draußen, dass der Sturz der Asssad-Regierung nur mit Terroristen realistisch ist; dabei ohne Scheu Sympathie für diese „Aufständischen“ äußernd:

„Dschabhat al-Nusra hat sich unersetzlich gemacht für den Aufstand – und das bringt ihnen Anerkennung ein.“ [24]

Anerkennung – ja? Von wem? Die Nachfolge-Organisation von Dschabhat al-Nusra die Dschabhat Fatah asch-Scham stellt übrigens den Hauptteil der „Aufständischen“ im Ost-Aleppo des Jahres 2016 dar. Aufständische? Es gibt da eine UN-Charta, der sich alle Mitglieder der Vereinten Nationen verpflichtet fühlen (sollten). Diese beinhaltet auch das Recht zum Aufbegehren gegen die eigene Regierung. Wenn die Mehrheit eines Volkes sich nicht mehr von seiner Regierung vertritt fühlt, ist eine Erhebung gegen sie akzeptiert und rechtens, aber Artikel 2, Ziffer 7 der UN-Charta sagt auch:

„Aus dieser Charta kann eine Befugnis der Vereinten Nationen zum Eingreifen in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung auf Grund dieser Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden; die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“ [25]

Das hat sehr wichtige Konsequenzen, die der Völkerrechtler Stephan Hobe so beschreibt:

„Aufständischen, die sich im Kampf gegen ihre etablierte Regierung befinden, dürfen dritte Staaten wegen des völkerrechtlichen Interventionsverbots der UN-Charta (Artikel 2, Ziffer 7) keine Hilfe leisten, weder finanzielle Hilfe, Waffenlieferungen, Ausbildung noch logistische Hilfe. Nur humanitäre Hilfe darf geleistet werden, also Hilfe für die Versorgung der Bevölkerung, der Verwundeten und Gefangenen.“ [26][27]

Weder die FSA noch die Milizen von Al-Qaida (wie sie alle auch heißen mögen) waren und sind also Aufständische, auch nicht nach dem Völkerrecht. „Aufständische“ oder „Rebellen“ ist aber ein inflationär gebrauchter Begriff der Medien hierzulande, eben weil er das Narrativ vom „Volksaufstand“ in sich trägt. Man stelle sich nur den Wandel im Bewusstsein der Menschen vor, wenn diese Kämpfer jeden Tag in ihrer wahren Funktion in unseren Gazetten Erwähnung fänden, also als Terroristen. Die Verwendung dieser falsch platzierten Begriffe durch die Medien ist daher – Propaganda.

Hilfe für die Kurden?

Die Kurden im Norden Syriens wurden also offensichtlich in einen Krieg gezogen, den sie weder wollten noch gewinnen konnten. Dass die Kurden Waffen besaßen, bedeutete noch lange nicht, dass sie auch gegen die bestens ausgerüsteten Milizen von FSA und al-Qaida (al-Sham, al-Nusra) bestehen konnten. Deutlicher gesagt, hatten sie keine Chance, zumal jene Milizen logistisch und geheimdienstlich durch die Türkei (und andere?) unterstützt wurden. Man braucht nur einen Blick auf die gut ausgerüstete und ausgebildete Syrische Arabische Armee werfen, die unter großen eigenen Verlusten, einen mühsamen Kampf gegen diese Terroristen ausfocht.

Von einem Aufschrei des Westens gegenüber der unverfrorenen Einmischung der Türkei in Syrien, nun beim Thema Kurden, konnte keine Rede sein. Da ist sie wieder, die einseitige, parteiliche, wertende „Berichterstattung“ der Medien, wie der Politiker. Man ließ die Türken gewähren. Die Türkei, eng vernetzt über Politik und Schattenstaat, erhielt von keiner Seite einen Wink, ihr Handeln (gegenüber den syrischen Kurden) zu überdenken, was einer Aufforderung zum Weitermachen entsprach. Es ist doch klar, dass damit eben dieses Handeln auch den Machtinteressen derer entsprach, die in der Lage waren, türkische Politik zu beeinflussen. Aber sie wollten es nicht. Warum?

Statt alles zu tun, um mit den zur Verfügung stehenden Werkzeugen, wie Diplomatie, Geheimdiensten und persönlichen Verbindungen die Ängste und damit die Bereitschaft zur Gewalt abzubauen, geschah genau das Gegenteil. Man sorgte dafür, dass auch die andere Seite ausreichend Waffen bekam. Man zementierte die Feindbilder bei den Parteien. Man ließ der Türkei Handlungsfreiheit in ihren feindseligen Handlungen gegenüber Syrien und den Kurden im nördlichen Syrien – und man sorgte dafür, dass auch die Kurden moderne Waffen erhielten.

Zuvor sorgte man jedoch noch für eine Situation, durch die jene Versorgung mit Waffen für die Kurden, mit dem notwendigen Krieg gegen den Terrorismus – und zwar speziell den IS (Islamischer Staat) begründet werden konnte; dabei verschweigend, dass der IS eine Kreatur westlicher Politik des Teile und Herrsche ist. Kobane (2014) sollte als das medienwirksame Fanal dienen, den bedrängten Kurden zu Hilfe zu kommen …

Republik eines Clans

Unter der Moderation des Präsidenten der (sogenannten) Republik Irakisch-Kurdistan wurde am 11.Juni 2012 im irakischen Erbil ein Abkommen unterzeichnet, in welchem der Rückzug der syrischen Armee aus kurdisch bewohnten Gebieten im Norden und Nordosten Syriens geregelt und deren Verwaltung an die PYD übergeben wurde. Wenig später bildete sich unter dessen Anwesenheit einer Hoher Kurdischer Rat, als Vertreter aller syrischen Kurden. [28][29]

Masmud Barzani ist der Name des Präsidenten und dieser Mann ist ein langjähriger Partner der CIA, worüber US-Medien ziemlich ungeniert bereits in den 1990iger Jahren berichteten; hatte man sich doch die moralische Legitimität gegeben, dass ein Sturz der irakischen Hussein-Regierung – auch an jedem Völkerrecht vorbei – rechtens sei. [30] Die Barzani´s sind seit Jahrzehnten einer der mächtigsten kurdischen Clans und haben die Geschicke der Kurden maßgeblich bestimmt – leider nicht zu deren Besten.

Die sie selbst immer wieder schädigende Politik der Kurden hat viel mit ihren Traditionen zu tun, in denen Staaten in ihrer Bedeutung immer hinter den Clan-Strukturen standen und es usus war, immerfort wechselnde Bündnisse einzugehen. So ließen sich die Kurden als Ganzes wiederholt benutzen. [31]

Masmud´s Vater Mustafa Barzani meinte schon einmal, Anfang der 1970iger Jahre, dass ein Pakt mit der CIA ein Kurdenreich unter seiner Herrschaft ermöglichen würde. Die Tragik der Geschichte besteht darin, dass die Kurden weder die Briten noch die US-Amerikanern durchschauten, so nicht erkennend, dass ein Prinzip des „Teile und Herrsche“ nicht allen Seiten dient, die es mitspielen. Die USA ließen Mitte der 70iger Jahren die kurdischen Peschmerga-Kämpfer einfach sitzen (nachdem sie sie in einen Guerilla-Krieg gegen den Iran getrieben hatten), als sie es für sinnvoller hielten, in Bezug auf Öl und Gas freundlichere Beziehungen zum Iran und Irak aufzubauen.

Der damalige US-Außenminister Kissinger kommentierte von US-Seite unbeantwortete Hilferufe des Mustafa Barzani in der Sprache empathielosen Machtdenkens: Man dürfe „verdeckte Operationen nicht mit Wohltätigkeitsveranstaltungen verwechseln„. [32] Als Washington aber seinen Fokus auf den Sturz der unbootmäßigen Hussein-Regierung legte, konnte es erneut auf die Korrumpierbarkeit des Barzani-Clans vertrauen.

Seit 2001 waren regelmäßig CIA-Agenten bei Barzani in Irakisch Kurdistan zu Gast [33] oder trafen ihn in Berlin. [34][35] So unterstützte man nicht nur den Sturz der Hussein-Regierung sondern machte sich auch  zum Werkzeug der CIA bei der erneuten Destabilisierung der (kurdisch bewohnten) Gebiete im Nordwesten des Iran. [36] Seit Jahrzehnten sind demnach Militärs, Berater und Geheimdienstleute aus den USA in der Region unterwegs. Die Armee Barzani’s – deren Kämpfer sich Peshmerga nennen – ist folgerichtig durchsetzt mit diesen Leuten. [37] Alle politischen Aktivitäten der Barzani-Regierung entsprechen dann auch den Plänen der US-Geostrategen. (s.w.u.)

The Greater Middle East

Die geostrategischen Pläne zu Grenzziehungen eines Neuen Nahen Ostens, von denen an dieser Stelle schon mehrfach gesprochen wurde, ordnen sich in ein größeres Konzept ein, genannt Greater Middle East (Großraum Naher Osten). Als Begriff tauchte es etwas früher auf als die Strategiekarte, nämlich im Jahre 2004. Was es beschreibt, ist in die wohlfeilen Worte demokratischer Werte gefasst, die verbergen, was wirklich dahinter steckt: die Großmachtpolitik eines Hegemons.

Ich zitiere aus einem Artikel der Bundeszentrale für Politische Bildung, den diese im Jahre 2005 veröffentlichte:

„Nach der offiziellen Lesart stützt sich das Projekt auf drei Säulen: Förderung der Demokratie und Good Governance; Aufbau einer Wissensgesellschaft und Ausbau der ökonomischen Potenziale. Die US-Regierung präsentierte ihr Drei-Säulen-Modell während des G-8 Gipfels von Sea Island im Juni 2004. Doch neben dieser Demokratisierungsabsicht verfolgt die US-Regierung mit großem finanziellen und personellen Aufwand ein anderes Greater Middle East-Projekt mit unverkennbar hegemonialpolitischen Zielen; erstens: die Beseitigung der „Schurkenstaaten“ in Afghanistan und im Irak, anschließend die Etablierung von neuen, in den USA ausgebildeten und neoliberal geschulten Führungseliten und die Durchführung von Wahlen; zweitens: das unter der Bezeichnung Partnership for Peace formulierte bilaterale Abkommen zur Einrichtung von möglichst vielen militärischen Stützpunkten wie in Afghanistan, Irak, Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidschan und in den Ölscheichtümern am Persischen Golf; und drittens: Kooperation mittels Geld und Waffen mit allen den USA freundlich gesinnten Staaten. In der Logik dieser Programmatik ist kurz- oder mittelfristig auch ein Regimewechsel in Syrien und vor allem im Iran nicht ausgeschlossen.

Diese realistische Variante des US-Greater Middle East Projekts ist durchaus keine neue Idee der Neokonservativen, sie hat vielmehr historische Wurzeln und beruht auf einem breiten Konsens innerhalb der politischen Elite der Vereinigten Staaten. Die Mittel- und Nahostpolitik der Demokraten und die der Republikaner unterscheiden sich bestenfalls in der Rhetorik, jedoch nicht grundsätzlich. Beide Lager legitimieren ihren moralischen Anspruch, Freiheit gegen Tyrannei weltweit ausbreiten zu wollen, im Einklang mit der Tradition des amerikanischen Idealismus und der republikanischen Verfassung. Welches Regime aber zum „Schurkenstaat“ auserkoren und welcher Tyrann zu welchem Zeitpunkt in der Welt gestürzt werden soll, hängt von der jeweiligen aktuellen Interessenlage ab.“ [38]

Überhaupt ist dieser Artikel der bpb wirklich lesenswert und gern zum kompletten Studium empfohlen. Mit diesem weiteren Auszug kann der Leser aus meiner Sicht nun doch sehr gut einordnen, was das Greater Middle East bezweckt:

„Der Demokratieexport in den Greater Middle East ist demnach primär kein zivilisatorisches und für die Demokratie Hoffnung stiftendes Projekt. Er ist Bestandteil einer neuen ideologischen Offensive zur Rechtfertigung geostrategischer Interessen. Er ist das Herzstück einer neokonservativen Strategie, die Huntingtons Konzept vom Krieg der Kulturen durch ein neues Gewand von Freiheit oder Tyrannei austauscht. Bushs Freiheitsprojekt („Das Überleben der Freiheit in unserem Lande hängt zunehmend vom Erfolg der Freiheit in anderen Ländern ab“) erhält beängstigende Plausibilität. Der Demokratieexport in den Greater Middle East steht in einer expansionistischen Tradition: Die kolonialistische Expansion vom 17. bis 19. Jahrhundert wurde fast immer mit der Zivilisierung der „Barbaren“ legitimiert.“ [39]

Im zitierten Artikel steht zudem noch das:

„Ob die neue militärische Koalition der irakischen Kurden mit den USA und Israel die Demokratieentwicklung in der Region fördert, muss bezweifelt werden.“ [40]

Und in diesem Kontext darf auch die folgende Karte, welche die CIA im Jahre 2002 erstellte, betrachtet werden:

2002_kurdish-inhabited_area_by_cia_2002

Die Etablierung eines Kurdistans ist erklärtes Ziel der „kreativen Zerstörer“; und ein rotes Tuch für die türkische Regierung. Viele – ich nenne sie mal so – Übersprunghandlungen der Türkei lassen sich so besser verstehen. Natürlich sind der AKP-geführten Erdogan-Regierung auch Planspiele für einen sogenannten „kurdischen Korridor“ bekannt. [41] Schauen Sie mal, wie das aussehen könnte:

2013-02-01_kurdischerkorridor_nsnbc_internat

Verbinden wir die Informationen dieser Grafik mit den Aktivitäten von US-Militärs und Geheimdiensten im Dunstkreis der PYD (respektive YPG) in Syrien, werden die Ängste der Türkei doch erstaunlich nachvollziehbar und der Kampf der PYD erscheint in einem völlig anderen Licht! Vier Jahre später (2016) erzählen die „Leit“-Medien irgendeine Geschichte, dass die PYD den IS bekämpft, doch vielleicht sind dessen Kriegsziele ganz andere und richten sich gegen den IS nur scheinbar, aber in Wirklichkeit gegen Syrien UND die Türkei.

Karten, wie die Obige, werden auf dem Basar von Erbil, der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan angeboten. [42]

Gibt es ein Motiv, dass die US-Strategen „so etwas Böses“ planen könnten? Geostrategen vertreten sinnigerweise geostrategische Interessen und dort spielt der ungehinderte Zugang zu Ressourcen eine entscheidende Rolle. [43] Und, nun ja, in den Gebieten um Kirkuk und Mossul lagern gewaltige Mengen an fossilen Brennstoffen und eine US-kontrollierte kurdische „Republik“ mit direktem Zugang zum Meer … [44]

Recep Erdogan hat Masmud Barzani 2012 direkt auf den „kurdischen Korridor“ angesprochen und davor gewarnt, die PYD als Werkzeug für dessen Umsetzung zu benutzen. Die Reaktion würde eine andere sein, als die auf die Aktivitäten der Kurden im Irak, welche die dortige staatliche Souveränität untergraben. [45] In jenem Jahr wurde Barzani von der Politik in aller Herren Länder hofiert. [46] Dass von Demokratie in Barzani´s Clan-Staat keine Rede sein kann (während man in Syrien eine Regierung verteufelte), juckte dabei bezeichnenderweise keinen der Demokraten. Bis zum Jahre 2012 hatte die Barzani-Regierung bereits 48 Verträge mit ausländischen Ölfirmen geschlossen; illegal, weil an der Zentralregierung in Bagdad vorbei, obwohl sie von Jener zu dieser Zeit mit 18 Prozent an den Öleinnahmen beteiligt wurde. [47] Unverhohlen unterstützt der „Partner“ USA die Herauslösung Irakisch-Kurdistans aus dem Irak, was die Türkei entschieden ablehnt.

Empfinden Sie, lieber Leser, auch so wie ich? Dass nämlich die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen?

Wirklich interessant ist die Politik der Türkei gegenüber Syrien in der Hinsicht, dass Erdogan zwar seit 2011 einen Systemsturz im Nachbarland anstrebte, dabei glaubte territoriale Eroberungen im Nordwesten Syriens machen zu können, dort wo es den Anspruch einer Schutzmacht für die Turkmenen erhob. Dass es aber ansonsten an einer Teilung Syriens ganz und gar nicht interessiert war. Nur versuchten die Türken sich damit an der Quadratur des Kreises. Die Turkmenengebiete und der dafür erforderliche Sturz der Assad-Regierung war der vergiftete Happen, der Erdogan aus dem Schattenstaat und von den „Partnern“ hingeworfen wurde. Hätte er diesen verschmäht, wäre die Infiltration der syrischen Kurden und der sie dominierenden PYD durch Washingtons „Kreative Zerstörer“ niemals möglich gewesen. Denn erst musste Syrien ausreichend destabilisiert und seine Grenzen durchlässig gemacht werden. Und dafür gab sich die Türkei her. Wir sehen an dieser Stelle einen Paradefall für Betrug, der jedoch nur deshalb funktionierte, weil der Betrogene selbst betrügerische Absichten hegte und genau darüber gesteuert wurde.

Die Türkei wollte ihren Kardinalfehler einfach nicht wahrhaben, der darin lag, aktiv einen Krieg im Nachbarland voran zu treiben. Was nützte es ihr da, dass sie anderswo bemerkenswerte diplomatische Aktivitäten entwickelte. Als sie das Undenkbare tat und Masud Barzani nach Ankara einlud, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Anerkennung des Pseudo-Staates anbot – nur um zu erreichen, dass dieser keine Handlungen voran trieb, die zu einem Kurdenstaat auf syrischem Boden führen könnten. [48] Mit Barzani hatte sie schlicht den falschen Ansprechpartner, denn über die Gestaltung des „Neuen Nahen Ostens“ bestimmen ganz sicher andere.

Nur drei Monate später setzte eben dieser Masud Barzani hunderte kurdische Kämpfer samt Bewaffnung in Richtung Nordsyrien in Bewegung. Sofort reiste Davutoglu, der türkische Außenminister nach Erbil, um bei Barzani vorstellig zu werden und Regierungs-Chef Erdogan gebrauchte starke Worte, um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen. [49] War die türkische Regierungsspitze tatsächlich so naiv, dass sie nicht wusste, von wem das alles ausging?

Ab dem Jahr 2012 jedenfalls entschied sich die Türkei, aktiv die Kurden in Syrien zu bekämpfen. Sie wich damit von den Plänen der Strippenzieher ab, die ihr allein die „Aufgabe“ des Sturzes der Assad-Regierung zugedacht hatten. Und plötzlich kam es zu Reibungen im Schattenstaat. Mir ist aufgefallen, dass just in jener Zeit der innertürkische Machtkampf mit dem Netzwerk um den Prediger Fetulah Gülen ausbrach. Gülen´s Bewegung hat traditionell sehr starke Bindungen an die CIA und das US-Establishment. Und das Gülen-Netzwerk steckt tief im Schattenstaat der Türkei.

Und im Jahre 2013 kam plötzlich aus dieser Ecke der Ruf nach Demokratie laut wie nie zuvor und die friedliche(?) Bewegung auf dem Taksim-Platz und im angrenzenden Gezi-Park wurde zu einem großen medialen, weltweiten Ereignis. Die Ereignisse in der Türkei sollten also auch im Jahr 2013 nichts an Brisanz verlieren.

Parallel dazu hiefte Erdogans Truppe den Krieg gegen Syrien auf eine neue Stufe. Material und Propaganda dazu lieferten die westlichen Demokratien. Sie allesamt hatten keine Skrupel, auf eine „Rote Linie“ hinzuarbeiten, über die sie sich den Segen der Weltgemeinschaft erschleichen wollten, offen interventionistisch in Syrien einzugreifen. Dazu mehr in diesem Beitrag.


Quellen

[1][2] Syriens Kurden melden befreite Städte; Gabriela M.Keller; 29.7.2012; https://www.welt.de/politik/ausland/article108411576/Syriens-Kurden-melden-befreite-Staedte.html

[3][14][15] Der syrische Bürgerkrieg: Zwischen Eskalation und Intervention; Daniel Möckli, Roland Popp; November 2012; Center for Security Studies (CSS); ETH Zürich;  http://www.css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/CSS-Analysen-124-DE.pdf; S.3, S.2

[4] Syrien im Bürgerkrieg; SWP-68; Muriel Asseburg, Heiko Wimmen; November 2012; https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2012A68_ass_wmm.pdf

[5] KurdWatch; 24.3.2011; http://www.kurdwatch.org/?cid=233&z=de

[6] http://www.fr-online.de/aegypten-syrien-revolution/interview-salih-muslim–es-gab-keinen-kurden-deal-mit-dem-regime-,7151782,21011376.html

[7] Leo Brux; 12.4.2012; Migrationsblog der Initiativgruppe e.V.; http://blog.initiativgruppe.de/2012/04/12/die-turkei-heute-1-ataturk-und-mohammed/

[8] Syrian Jihadism; Arion Lund; 14.9.2012; Swedish Institute of International Affairs; S.18, S.20; http://www.ui.se/upl/files/77409.pdf

[9][11][12] Es gab keinen Kurden-Deal mit dem Regime; Frank Nordhausen; 1.12.2012; http://www.fr-online.de/aegypten-syrien-revolution/interview-salih-muslim–es-gab-keinen-kurden-deal-mit-dem-regime-,7151782,21011376.html

[10] C.I.A. Said to Aid in Steering Arms to Syrian Opposition; Eric Schmitt; 21.6.2012; http://www.nytimes.com/2012/06/21/world/middleeast/cia-said-to-aid-in-steering-arms-to-syrian-rebels.html?pagewanted=all&_r=1

[13]Reality Check – Three Facts You Don’t Know; Ben Swann; CBS; https://youtu.be/GLdYYWKpbi0

[16][17][22][24] http://www.spiegel.de/politik/ausland/al-qaida-in-syrien-wer-hinter-der-terrorgruppe-al-nusra-steckt-a-876552.html

[18] dpa; 16.2.2006; https://www.welt.de/print-welt/article198342/Al-Sarkawi-in-Jordanien-in-Abwesenheit-zum-Tod-verurteilt.html

[19][20] Islamisten sind sich nicht grün; Beate Seel; 17.4.2013;  http://www.taz.de/!5069229/

[21] Ein muslimischer Thinktank gegen den Islamismus; Jörg Lau; 7.4.2008; http://blog.zeit.de/joerglau/2008/04/07/ein-muslimischer-thinktank-gegen-den-islamismus_1123

[23] http://www.quilliamfoundation.org/wp/wp-content/uploads/publications/free/jabhat-al-nusra-a-strategic-briefing.pdf

[25] UN-Charta; Art.2, Zi.7; 25.10.2016; http://www.unric.org/de/charta#kapitel2

[26] Einführung in das Völkerrecht; Stephan Hobe; Tübingen 2014; S. 175, S.292; ISBN 978-3-8252-4146-9

[27] 25.10.2016; https://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand

[28] Syrische Kurden zwischem dem Assad-Regime und der Türkei; Nick Brauns; 2013; http://www.nikolaus-brauns.de/Dritter_Weg_Westkurdistan.htm

[29] Barzani Unites Syrian Kurds Against Assad; Hazal Ates; 16.7.2012; Al-Monitor; http://www.al-monitor.com/pulse/politics/2012/07/barzani-grabs-assads-kurdish-car.html

[30] U.S. Welcomes Kurdish Leader Who Betrayed C.I.A. in Iraq;  James Risen;  http://www.nytimes.com/1998/07/25/world/us-welcomes-kurdish-leader-who-betrayed-cia-in-iraq.html?_r=0

[31] 26.10.2016; https://peds-ansichten.de/2016/10/tuerkische-gratwanderungen-4/

[32] Falsche Verbündete; Nick Brauns; 10.9.2016; http://www.nikolaus-brauns.de/Falsche_Verbundete.htm

[33] N.N., CIA Continues Preparations to Striking Iraq, Al-Bawaba, 18.3.2002.

[34] Alan Sipress, Talks With Iraqi Opposition Intensify, WP, 13.5.2002, S. 1.

[35] USA: Der nächste Angriff auf den Irak; Gerhard Piper; 8/2002; http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Irak/piper.html

[36] Überall zuschlagen; Hans Georg; 28.10.2009; http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14398; Originalquelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57651

[37] Die Peshmerga haben eingebettete US-Spezialeinheiten; 18.4.2014; http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Die-Peshmerga-haben-eingebettete-USSpezialeinheiten/story/10981003

[38][39][40] Demokratisierung eines Greater Middle East; Mohssen Massarrat; 2.11.2005; http://www.bpb.de/apuz/28717/demokratisierung-des-greater-middle-east?p=all

[41][45] http://nsnbc.me/2013/02/06/a-kurdish-corridor-to-be-set-up-by-the-us-israel/

[42][47] Fieberhafter Aufbau im Kurdenstaat Nordiraks; Inga Rogg; 17.7.2012; Neue Züricher Zeitung; http://www.nzz.ch/fieberhafter-aufbau-im-nordirakischen-kurdenstaat-1.17361171

[43] http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/Syrien-Eurasien-und-die-neue-multipolare-Weltordnung/20130804

[44] „Geburtswehen des Mittleren Ostens“; Jürgen Wagner; 28.4.2007; Informationsstelle Militarisierung; http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse07-018.pdf

[46] http://transmissionsmedia.com/greater-kurdistan-a-new-actor-on-middle-east-map/

[48] Barzani, Erdogan call on PKK to let go arms; 21.4.2012; Hurriyet Daily News; http://www.hurriyetdailynews.com/barzani-erdogan-call-on-pkk-to-let-go-arms.aspx?pageID=238&nID=18942&NewsCatID=338

[49] Aufmärsche an der Grenze; Frank Nordhausen; 1.8.2012; Frankfurter Rundschau; http://www.fr-online.de/meinung/analyse-zu-kurden-aufmaersche-an-der-grenze,1472602,16776298.html

Bilder

[Titelbild] Antikabir; Grabstätte des Staatsgründers der Türkei Mustafa Kemal Atatürk; Datei: monument-471329_960_720_bearb.jpg (peds-ansichten.de); aus Originaldatei: monument-471329_960_720.jpg; Foto: Joakim Roubert (d97jro); Quelle: https://pixabay.com/p-471329/?no_redirect ; Lizenz: Public Domain

[b1] Datei: Kurdish-inhabited_area_by_CIA_(2002).jpg; his work is in the public domain in the United States because it is a work prepared by an officer or employee of the United States Government as part of that person’s official duties under the terms of Title 17, Chapter 1, Section 105 of the US Code. See Copyright.; Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kurdish-inhabited_area_by_CIA_%282002%29.jpg; Lizenz: Public Domain

[b2] Name: Kurdish Corridor; Autor: Maj. Agha H Amin; Datum: 1.2.2016; Quelle, Datei:  http://nsnbc.me/wp-content/uploads/2013/02/kurdishsyrianstratscenario.jpg ; Lizenz: k.A.

Von Ped

2 Gedanken zu „Türkische Gratwanderungen (8)“
  1. Guten Tag @Ped.
    Ihren Blog habe ich über die Diskussion bei Analitik.de gefunden. Ihre umfassende Betrachtung eröffnet mir Zusammenhänge bisher nicht beachteter und eben so wenig betrachteter Aspekte der türkischen Verhältnisse. Danke dafür.

    Die Türkei liegt an einer in jeder Beziehung extrem bedeutungsvollen Position. Seit dem byzantinischen Reich ist die gesamte Historie geprägt von Ereignissen, die im Grunde kein anderes Ziel hatten, (und heute noch haben) von hier aus die Schnittstelle zwischen Asien und Europa und Afrika zu kontrollieren. Das schon damals Konstantinopel die herausragende strategische Lage zwischen den Meeren darstellte, ist hier sehr anschaulich dargestellt. http://www.geocities.ws/films4/ersteglobalisierung.jpg

    Auch das Osmanische Reich entwickelte sich um diesen Kondensationspunkt. Nach dem 1. Weltkrieg beendete der Vertrag von Sèvres (1920) zwischen der Entente und dem Osmanischen Reich formal diesen Krieg. Aber eine Ratifizierung erfolgte nicht, da das Osmanische Reich mit dem Tod des letzten Sultans inzwischen nicht mehr existierte. Die völkerrechtliche Verbindlichkeit ist also nicht gegeben. Dies hat noch bis heute Auswirkungen auf die türkische Strategien, insbesondere in Syrien und im Irak. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/14/Treaty_sevres_otoman_de.svg
    Das gilt auch für eine Reihe anderer Verträge aus dieser Zeit, wie den Vertag von Kars (1921) an die sich die Türkei als Ende 1923 neu geschaffener Staat nicht gebunden fühlen muss. Die Anrainer, wie Armenien und indirekt Aserbaidschan haben in den 90ern darauf aufmerksam gemacht, was postwendend zu militärischen Auseinandersetzungen führte.
    Auch nach dem Untergang des Osmanischen Reichs besetzt die Türkei noch immer diese strategische Position am Bosporus. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass die globalen Machtverhältnisse sich soweit verschoben haben, dass die geografischen Lage der Türkei nunmehr bestimmend für die gesamte geopolitischen Situation ist, aber genaugenommen lediglich Spielball der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der großen Mächte. In diesem Spannungsfeld versucht Erdogan den 1920 diktierten Versallenstatus zu überwinden. Zuerst alleine mit NATO und gegen alle Nachbarstaaten und nunmehr mit indirekter Unterstützung Russlands ohne NATO und mit Duldung der Nachbarn.

    Man darf auch nicht vergessen, dass die Türkei ein Vielvölkerstaat ist. Nach meiner Auffassung bewirkt die Negierung der modernen Ansätze von Atatürks Gesellschaft und die von Erdogan bevorzugten islamischer Tradition eine Polarisation, die ihn zu polizeistaatlichen Methoden zwingt. Das kann ohne äußere Stabilisierung (Russland!) nicht gut gehen. Wir werden sehen.
    Andererseits birgt die Nachbarschaft zum damaligen Russischen Reich, später der Sowjetunion und nunmehr der Russischen Förderation und Kontrolle zur historischen (neuen) Seidenstraße (Persien, China) sowieso den Schlüssel für die aktuellen geopolitischen Auseinandersetzungen und Lösungen, als auch die Impulse für inneren Entwicklungen im Lande selbst.

    Das selbst unter Bedingungen einer relativer Autonomie der Völker innerhalb eines islamischen Staates ein Zusammenleben überhaupt möglich ist, halte ich insoweit für fraglich, ob Gülen mit dem kemalschen Ansatz dieses Problem löst, für unwahrscheinlich, weil genau das die USA verhindern dürften und auch Atatürk dieses Problem nicht ansatzweise lösen konnte.

    Ich werde ihre Analysen und Betrachtungen weiterhin gerne und aufmerksam verfolgen. Nochmals Danke und Gruß.
    D.C.

  2. @Don Carlos
    (@HPB)

    Danke für diesen bereichernden Kommentar! Ihre (wie HPBs) fundierten Betrachtungen fand ich schon bei Analitik sehr wohltuend.
    Die Rolle der Gülen-Bewegung wird noch (wie schon versprochen) Thema eines gesonderten Beitrags sein.

    Seien Sie herzlich gegrüßt! Ped

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