Die CIA-Operation Aerodynamic
Der seit 2022 mit aller Gewalt eskalierte Konflikt in der Ukraine lässt sich viel weiter zurückverfolgen, als die meisten von uns es sich vorstellen können. Bereits Ende der 1940er Jahre versuchten sowohl der gerade gegründete US-Auslandsgeheimdienst CIA als auch der britische MI6 radikale, extrem nationalistische, gar faschistische Bewegungen in der Westukraine für sich zu nutzen.
Nach 1990
Einer der Mentoren des derzeitigen russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin war Anfang der 1990er Jahre der damalige Bürgermeister von St. Petersburg, Anatoli Sobtschak.
1992 gab Sobtschak ein Interview, in welchem er das gerade neu etablierte ukrainische Staatsgebilde als eine Zeitbombe bezeichnete und die zukünftige Eskalation eines Konflikts auf ukrainischem Boden vorhersah. Vorhersah in einer globalen, nicht nur für Russland existenziellen Dimension (1). Es waren keine prophetischen Gaben, die Sobtschak zu dieser Prognose befähigten, sondern schlicht seine größere Perspektive auf die Dinge.
Aus strategischer Sicht schritten die gesellschaftlichen Umwälzungen der 1990er-Jahre in Russland und der Ukraine im Gleichklang. Beide Staaten unterwarfen sich einer neoliberalen Rosskur, die nicht nur mit dem Ausverkauf des Landes, der Schaffung einer superreichen Oligarchenschicht und der Verarmung weiter Teile der Bevölkerung einherging. Denn zur gleichen Zeit strömten westliche „Nichtregierungsorganisationen“ und deren Geld ins Land. Sie infiltrierten die finanzklamme Gesellschaft mit ihrem Geld und ihren Visionen, um die Entscheidungsträger zu korrumpieren und die Massen zu manipulieren.
So wurde die dem Netzwerk der Open Society Foundations von George Soros angehörende Internationale Renaissance-Stiftung (International Renaissance Foundation, kurz IRF) bereits vor dem Zerfall der Sowjetunion, am 8. April 1990, in der Ukraine gegründet (2). Unter deren Schirmherrschaft verstärkten die Soros-Netzwerke, unter anderem mit Gründung der Unabhängigen Medienvereinigung der Ukraine (Independent Media Union of Ukraine, kurz IMUU) ihre Kontrolle über die dortige Medienlandschaft. Gehebelt wurde das durch die ungleich höhere finanzielle Unterstützung seitens der sogenannten US-Entwicklungsbehörde USAID (3).
Soros und die US-Administration zogen damals — was ihre geostrategischen Ziele betrifft — ziemlich am gleichen Strang. Das Konzept offener Gesellschaften unter dem Banner von Demokratie und Freiheit (Soros) eröffnete vielfältige Möglichkeiten der Infiltration souveräner Staaten, um deren Gesellschaften umbauen zu können. Und dazu wurde die US-Außenpolitik zudem von Leuten wie dem ehemaligen US-Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski dominiert:
„Inwieweit die USA ihre globale Vormachtstellung geltend machen können, hängt davon ab, wie ein weltweit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasischen Kontinent fertig wird — und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.“ (4)
Bald würden die Verfechter dieser Strömung unter der Bezeichnung Neokonservative subsumiert. Brezezinski schlussfolgerte in seinem 1997 erschienenen Buch Die einzige Weltmacht (englischer Originaltitel The Grand Chessboard):
„Folglich muss die [US-]amerikanische Außenpolitik den geopolitischen Aspekt der neu entstandenen Lage im Auge behalten und ihren Einfluss in Eurasien so einsetzen, dass ein stabiles kontinentales Gleichgewicht mit den Vereinigten Saaten als politischem Schiedsrichter entsteht.“ (4i)
Zwei Namen äußerst einflussreicher Geostrategen in den USA: George Soros und Zbigniew Brzezinski, der eine gebürtiger Ungar, der andere gebürtiger Pole. Beide sich als US-Bürger berufen fühlend, die Heimat ihrer Geburt gesellschaftlich umzugestalten. Beide mit einer starken machtgetriebenen Ideologie als theoretischen Unterbau für ihren Messianismus versehen.
Brzezinski nahm nichts vorweg, als er das folgende schrieb. Er fasste lediglich ein altes Konzept zusammen, in dessen Mittelpunkt die angestrebte Fragmentierung des riesigen russischen und dann sowjetischen Staatsgebildes stand. Auf diese Art und Weise hoffte man sich eine weitgehende politische Kontrolle über die neuen Staatsgebilde zu verschaffen und weitergehend vor allem den ungehinderten Zugang zu den Ressourcen des riesigen Gebietes:
„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ (4ii)
Den NATO-Einfluss auch territorial an die Westgrenzen Russlands auszudehnen, war 1997 längst ausgemachte Sache und in jener Zeit bereits in Gang gebracht worden (5 bis 7):
„Wie weit sollte sich die Europäische Union nach Osten erstrecken? Und sollten die Ostgrenzen der EU zugleich die östliche Frontlinie der NATO sein? […] Da zunehmend Konsens darüber besteht, dass die Nationen Mitteleuropas sowohl in die EU als auch in die NATO aufgenommen werden sollten, richtet sich die Aufmerksamkeit auf den zukünftigen Status der baltischen Republiken und vielleicht bald auf den der Ukraine.“ (4iv)
Da war an einen Wladimir Putin als russischen Präsidenten noch gar nicht zu denken. Und noch einmal Brzezinski — über Jahrzehnte hinweg eine graue Eminenz von US-Regierungen:
„Irgendwann zwischen 2005 und 2010 sollte die Ukraine für ernsthafte Verhandlungen sowohl mit der EU als auch mit der NATO bereit sein […]“ (4v)
Was allerdings weitgehend unter dem Radar läuft, ist die Tatsache, dass sich die geostrategischen Konzepte westlicher Großmächte zur Fragmentierung Russlands noch viel weiter zurückverfolgen lassen. Wobei die Ukraine als erst im Ergebnis des Ersten Weltkrieges auftauchendes Staatsgebilde immer eine Schlüsselrolle spielte.
Vor 1945
Der extreme, russophobe, teils faschistoide Nationalismus, der in Teilen der Ukraine und von der ukrainischen Führung gelebt sowie deren westlichen Drahtziehern seit nun Jahrzehnten getätschelt wird, steht in krassem Gegensatz zur nationalen Geschichte des Landes. Es gab in der Ukraine keinen Jahrhunderte währenden Reifeprozess einer Nation, die dem Land eine kulturelle Identität hätte verleihen können, wie das in anderen europäischen Staaten der Fall gewesen ist.
Dieser Nationalismus hatte nur bedingt inhärente Ursachen, aber es gab sie. Freilich wurden die existierenden Konflikte kräftig von außen geschürt, um die sowjetische Nachkriegsgesellschaft zu spalten und zu destabilisieren.
Der britische und später anglo-amerikanische Imperialismus hat seine globale Macht der geschickten systematischen Ausnutzung von Widersprüchen anderswo zu verdanken. Verdeckte Wühlarbeit leisteten traditionell deren Auslandsgeheimdienste: der britische MI6 (Military Intelligence, Section 6) und ab 1948 die US-amerikanische CIA (Central Intelligence Agency).
Die CIA war gerade erst als US-Auslandsgeheimdienst gegründet worden, als man innerhalb dieser begann, unter den ukrainischen Emigrantenorganisationen eine gut vernetzte, radikale Gruppe auszuwählen, welche am Besten geeignet wäre, Subversion in der Ukrainischen Sowjetrepublik zu betreiben.
1970 deklassifizierte die CIA eine Reihe von Dokumenten, welche den über Jahrzehnte betriebenen, verdeckten Krieg gegen die Sowjetunion auf ukrainischem Boden bezeugten. Die Operationen waren unter dem Projektnamen AERODYNAMIC geplant und durchgeführt worden. Während in späteren Zeiten stärker mit sogenannter Softpower, mit den „weichen“ Methoden der Infiltration „neu zu gestaltender“ Gesellschaften gearbeitet wurde, hatte AERODYNAMIC anfangs eine vor allem paramilitärische Ausrichtung. In CIA-Dokumenten liest sich das so:
„Der Zweck des Projekts AERODYNAMIC besteht darin, den antisowjetischen ukrainischen Widerstand für Zwecke des Kalten Krieges und des heißen Krieges zu nutzen und auszubauen. Gruppen wie der Ukrainische Oberste Befreiungsrat (UHVR) und seine Ukrainische Aufstandsarmee (OUN), die Auslandsvertretung des Ukrainischen Obersten Befreiungsrats (ZPUHVR) in Westeuropa und den Vereinigten Staaten sowie andere Organisationen wie die OUN/B werden dafür genutzt werden.“ (8)
In den ukrainischen Wäldern verbargen sich nach Kriegsende tausende von bewaffneten Kämpfern, die mit der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetarmee gekämpft hatten. Sie bildeten ein Reservoir, um eine aus dem Westen gesteuerte Fünfte Kolonne aufzubauen, welche neben der Informationsbeschaffung Diversion und Propaganda in ihrer Heimat betreiben sollten. Parallel dazu waren tausende Menschen aus der Ukraine in den Westen geflüchtet, darunter keineswegs nur Opfer von politischen Säuberungen sondern auch viele radikale, faschistoide oder auch „nur“ kriminelle Ukrainer.
Im Zitat weiter oben wurden eine Reihe von ukrainischen Nachkriegsorganisationen aufgeführt, denen wir uns kurz zuwenden möchten. Dabei treffen wir auf ein seit Jahrzehnten in Teilen der Westukraine herrschendes Phänomen: den Bandera-Kult.
In den CIA-Dokumenten zu AERODYNAMIC ist von vier Organisationen die Rede: der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA), dem Ukrainischen Obersten Befreiungsrat (UHVR) sowie der Auslandsvertretung des Obersten Befreiungsrates der Ukraine (ZPUHRV).
Die OUN wurde 1929 im damals polnisch regierten Ostgalizien gegründet und forderte eine unabhängige und zudem — hier finden wir die erste faschistoide Sentenz, die bis in die Gründungsjahre der Ukraine zurückreicht — ethnisch homogene Ukraine (9). Das ist wichtig zu wissen: Der ukrainische Nationalismus trug aufgrund seines Rassenwahns — der Überzeugung, dass es ethnisch „saubere“ Ukrainer gäbe, denen die künftige Ukraine gehören müsste — von Beginn an eine Note in sich, die rassistisch-faschistischen Systemen eigen ist.
Folgerichtig setzte die OUN von Beginn an auf Terror zur Erreichung ihrer politischen Ziele. Der Nationalismus sollte unversöhnlich und gewalttätig gegen Feinde im Inneren wie im Außeren durchgesetzt werden. Und ganz wie zum Beispiel im Deutschen Reich, in dem das deutsche Volk als Ethnie überhöht und überlegen dargestellt wurde, ging auch bei den ukrainischen Nationalisten, welche durch die OUN repräsentiert wurde, eine latenter Antisemitismus einher. Damit stand die OUN nicht allein. Der auch von Judenhass getränkte Nationalismus nicht nur im Deutschen Reich sondern überhaupt den meisten Staaten Mittel- und Osteuropas war verhängnisvoller Weise auch „attraktiv“ für junge Menschen (10).
Einer der Mitglieder der OUN, Eugen Stachiw, berichtete in seinen Erinnerungen von Ideologiekursen der Organisation:
„[…] die Programme der Vorlesungen… waren tatsächlich hundertprozentige Entlehnungen der totalitären faschistischen Ideologie.“ (11)
Die gesellschaftlichen Verwerfungen Anfang der 1930er-Jahre, einschließlich einer katastrophalen Hungersnot mit wahrscheinlich Millionen Todesopfern vor allem auf dem Gebiet der heutigen Ukraine förderten natürlich den Radikalismus der ukrainischen Nationalisten. Um deren Führer würde sich in den kommenden Jahrzehnten ein von außen geförderter Heldenkult aufbauen. Und außerdem würden die Protagonisten der OUN bald zu Werkzeugen im Rahmen westlicher Geopolitik taugen. Es gibt noch mehr zu nennende Namen, aber der Autor möchte sich hier auf drei Persönlichkeiten der OUN beschränken: Stepan Bandera, Andrij Melnyk und Mykola Lebed.
Personalien
Stepan Bandera schloss sich der OUN kurz nach ihrer Gründung an und stieg in kurzer Zeit bis zur Leitungsebene der Organisation auf. Er führte, gerade einmal 24 Jahre alt, die Operationen der OUN in Polen und organisierte, unter anderem mit Mykola Lebed, 1934 den Mord am damaligen polnischen Außenminister Boleslaw Pierazki (11i). Doch machten die Attentate der OUN auch nicht vor polnischen und ukrainischen Politikern halt, die um friedliche Lösungen im polnisch-ukrainischen Konflikt bemüht waren. Für den Mord an Pierazki wurden unter anderen Bandera und Lebed vor Gericht gestellt. Mitangeklagte brachten im Gerichtssaal ihre Überzeugung und Treue zum „Führer“ (ukrainisch Prowidnyk) mit dem faschistischen Gruß zum Ausdruck und Bandera selbst behauptete:
„dass im Kampf um die Freiheit der Ukraine »nicht nur Hunderte, sondern Tausende Menschenleben geopfert werden müssen«.“ (12, 13)
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges blieb Bandera in Haft, dann gelang es ihm wie auch Lebed, aus dem Gefängnis zu entkommen. Er hielt sich bis 1941 in Krakau auf und unterstützte das Deutsche Reich bei der Vorbereitung der Operation Barbarossa, des Feldzuges gegen die Sowjetunion. Als er nach Auslösung von Barbarossa auf einem von der OUN proklamierten ukrainischen Staates bestand, wurde er verhaftet und verbrachte zwei Jahre in „Ehrenhaft“ im Konzentrationslager Sachsenhausen (12i, 14). Allein die Sonderbehandlung des Häftlings Bandera weist bereits darauf hin, dass seine Kollaboration mit Hitler-Deutschland nicht beendet war. Vielen seiner Kampfgefährten wurde diese besondere Behandlung nicht zuteil, 1.500 wurden verhaftet, viele von ihnen umgebracht (9i).
Auch als sich die OUN in zwei Fraktionen spaltete — die OUN-M von Andrij Melnyk und die OUN-B von Stepan Bandera geführt — hatten ihre Mitglieder keine Probleme mit der nationalsozialistischen Ideologie, einschließlich derer Rassentheorie. Es waren Brüder im Geiste, es waren Faschisten. Sie verfolgten Polen und Juden nicht weniger grausam als die deutschen Besatzer (15).
„Aus diesem Grund hielten die OUN und die galizische SS-Division die Ausrottung von Zehntausenden von Polen, Juden und allen anderen nicht ethnischen Ukrainern für gerechtfertigt. Die SS-Division Galizien (deren Mitglieder sich mit der OUN überschnitten) war für ihre extreme Grausamkeit berüchtigt, einschließlich Folterungen und Verstümmelungen, die mit denen der japanischen Einheit 731 vergleichbar waren.“ (9ii, 15i)
Melnyks „gemäßigtem“ OUN-Zweig, der OUN-M (M für Melnyk) wurden von den deutschen Besatzern Verwaltungs- und Ordnungsaufgaben in der der Westukraine übertragen. Mykola Lebed übernahm, im Untergrund operierend, die Führung der OUN-B (B für Bandera). Im Winter 1942 wurde er zudem der Anführer des neu gegründeten militärischen Zweiges der OUN, der Ukrainischen Aufständischen Armee, der UPA. Diese Untergrundorganisation blieb bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1956 aktiv, und von Beginn an setzten ihre Mitglieder auf Terror. Allein am 11. Juli 1943 fiel die UPA in 80 Gemeinden ein und ermordete 10.000 Polen (16). Schon davor hatten deutsche Behörden Wolhynien und Ostgalizien (in etwa die heutige Westukraine und Teile Südostpolens) für „judenfrei“ erklärt und das hatte damit zu tun:
„Die Hälfte aller ukrainischen Juden — etwa 800.000 — wurde auf dem kleinen Gebiet der Westukraine getötet, wo die OUN-B trotz der Verhaftung ihrer Führungsriege die Deutschen beim Judenmord unterstützte. Sie schickte ihre Mitglieder zur Polizei, damit sie bewaffnet wurden und die Besatzer bei den Deportationen und Erschießungen unterstützen konnten. Aufgrund der kleinen Anzahl von deutschen Polizisten in der Ukraine wäre die Ermordung von mehr als 90 Prozent aller westukrainischen Juden ohne sie nicht möglich gewesen.“ (17)
Doch machte der Terror nicht einmal vor der vorgeblich eigenen Ethnie und den angeblich Gleichgesinnten halt. Lebeds Kämpfer in der Banderas OUN-B vertretenden UPA töteten bis Kriegsende Zehntausende Ukrainer allein deshalb, weil man sie verdächtigte, mit Melnyks OUN-M und anderen Bandera-Abweichlern kooperiert gehabt zu haben (18, 19). Allein in den Jahren 1943/44 metzelten sie bis zu 100.000 Zivilisten nieder (20).
Das mörderische Treiben der faschistischen OUN und der UPA bis hin zum Einsatz des von der deutschen Abwehr finanzierten und ausgerüsteten Bataillons Nachtigall (21) und der ukrainischen SS-Division Galizien (22) wurde hier nur angerissen. Aber es genügt, um das Wirken der Bewegung, die mit Stepan Bandera eng verbunden wird, zusammenzufassen:
„Die ‚Säuberung‘ des Staates von Juden, Polen, Russen und anderen ethnischen und politischen ‚Feinden‘ war ein fester Bestandteil des politischen Programms der OUN, das die Bewegung zumindest in der Westukraine teilweise realisierte. Der ukrainische Fall — ähnlich wie der kroatische, slowakische oder rumänische — zeigt, dass der radikale Nationalismus in keinerlei Gegensatz zum Faschismus stand, sondern mit ihm verschmolz beziehungsweise ein fester Bestandteil dessen war.“ (17i)
Im Sommer 1944 wurde der Ukrainische Oberste Befreiungsrat (UHVR) sowie die Auslandsvertretung des Obersten Befreiungsrates der Ukraine (ZPUHRV) gegründet. Diese Organisationen standen unter weitgehender Kontrolle der UPA und der Bandera-Gruppe der OUN. Eine Schlüsselperson hier war erneut Mykola Lebed. Er sollte (und wollte?) möglicherweise noch im gleichen Jahr Kontakte mit den westlichen Allierten knüpfen (23). Fakt ist, dass die Wahl der CIA später auf genau diese Organisationen fallen würde (siehe weiter unten).
Eine Personalie von den drei anfangs genannten fehlt noch: Andrij Melnyk. Den es politisch relevant zweimal gibt, wobei keine Verwandtschaft zwischen den Persönlichkeiten nachgewiesen ist. Die Verbindungen sind anderer Natur. Denn der eine Andrji Melnyk war seit 1938 Führer der OUN-M, während der andere Andrij Melnyk ab 2015 sieben Jahre lang als Botschafter der Ukraine in der Bundesrepublik Deutschland fungierte. Die OUN-B des Stepan Bandera und Mykola Lebed ermordete ab 1942/43 tausende reale oder angenommene Anhänger der OUN-M von Andrij Melnyk (24).
Der Namensvetter dieser Tage, der ukrainische Vorzeigepolitiker im Ausland, eben auch Andrij Melnyk, ist ein überzeugter Anhänger Stepan Banderas. Kaum im Amt begab er sich am 27. April 2015 an das Grab Banderas in München, um dort Blumen niederzulegen und Bandera als „unseren Helden“ zu rühmen (25). Menschen, die in Ideologien verstrickt sind, täuschen sich, um nicht enttäuscht zu werden. Sie verstehen Enttäuschung nicht als Gewinn, sondern als Erniedrigung. Sie fühlen sich selbst als der Held, den sie verehren und könnten den Sturz vom Sockel nicht verkraften. Aber Bandera war kein Held.
Als der Botschafter Andrij Melnyk in einem Interview auf die dunkle Seite des Stepan Bandera angesprochen wurde, bestritt er jede Verantwortung des OUN-Führers und verwies darauf, dass doch die deutschen Faschisten Bandera ins Konzentrationslager gesteckt hätten. Er habe sich „das angesehen“. Hat er? Die Zelle des ukrainischen Nationalisten hatte man mittels Durchbruch auf 15 Quadratmeter verdoppelt. Sie war ausgestattet mit Möbeln, Teppich und Bildern an der Wand. Der Häftling durfte seine eigene Kleidung tragen, bekam Sonderrationen Essen und durfte Besuch empfangen (14i).
So geht man mit Personen um, die man für sich benutzen kann. Die Politik der OUN, die Bandera anführte, war extremistisch, rassistisch und antisemitisch (26). Und Bandera ließ sich benutzen. Er ließ sich für seinen nationalistischen Wahn und Machthunger von den deutschen Faschisten und später gleichermaßen für den neuen Hegemon einspannen. Das ist menschlich. Zur heldischen Verklärung taugt es nicht. Der ukrainische Politiker der Gegenwart, Andrij Melnyk, steht repräsentativ für einen großen, wenn auch sicher nicht den größten Teil der ukrainischen Gesellschaft.
Mit der sich immer deutlicher abzeichnenden Niederlage des faschistischen Deutschlands begannen die ukrainischen Faschisten sich nach neuen Herren umzusehen.
Vor der Operation AERODYNAMIC
Als sich der Vorgänger der CIA, der OSS (Office of Strategic Services), 1945 noch umbenannt in SSI (Strategic Services Unit) (27), im Rahmen der Vorboten des Kalten Krieges mit dem ukrainischen Untergrund zu befassen begann, musste er sich um Kontakte nicht übermäßig bemühen. Und ehe man sich traf, wusste man ziemlich genau über die OUN-Führer Bescheid — insbesondere über Stepan Bandera und Mykola Lebed.
Bandera suchte seine neuen westlichen Freunde und diese suchten ihn. Er verließ das sinkende Schiff Hitlerdeutschland im Februar 1945 und versteckte sich mit seiner Familie in Österreich und Süddeutschland. Doch kaum war der Krieg zu Ende, baute er in München ein OUN-Zentrum auf. Das war nur möglich durch die freundliche Mitwirkung des britischen und US-Auslandsgeheimdienstes. Die Schlapphüte schützten ihn und seine Familie, finanzierten den Neuaufbau und Betrieb der Organisation und kümmerten sich um die Ausbildung seiner Anhänger zu Agenten (17ii, 28).
Banderas Radikalität und faschistische Attitüden — er beanspruchte für sich selbst nach wie vor, eine „neue Ukraine“ mit diktatorischen Vollmachten zu führen (16i) — führten jedoch zu Konflikten. Deshalb lösten sich die CIA, Jahre später auch der MI6 von Bandera und ersetzten ihn durch den nicht minder radikalen aber politisch geschickter vorgehenden Mykola Lebed (9iii). Ohne den Schutz dieser Dienste aber hing Banderas Leben an einem seidenen Faden. Am 15. Oktober starb Bandera laut offizieller Darstellung durch den Mordanschlag eines jungen Westukrainers, der vom sowjetischen Auslandsgeheimdienst KGB aquiriert worden war (17iii).
Aber natürlich wusste man bei der CIA auch, um wen es sich bei Mykola Lebed handelte. In einem Bericht des „Counterintelligence Corps“ (CIC) der US-Armee von 1947 wird Lebed nach Zeugenaussagen als „ein bekannter Sadist und Kollaborateur der Deutschen“ beschrieben (29). Doch hatten die US-Geheimdienste keinerlei Berührungsängste mit Faschisten und Kollaborateuren des Dritten Reiches. Teilnehmer der verdeckten Operationen erinnerten sich später: „Wir wussten, was wir taten… Wir benutzten jedweden Bastard, solange er ein Antikommunist war“ (30).
Im Jahre 1945 floh Lebed nach Rom, im Gepäck und in seinem Kopf führte er eine Fülle von Namen und Kontakten antisowjetischer Ukrainer mit sich, die aus der Ukraine und aus Internierungslagern in Deutschland entwichen waren oder sich dort noch aufhielten. Mit diesem Faustpfand nahm er Kontakt zu den westlichen Alliierten auf und das CIC nahm ihn in seine Obhut. Es erhoffte sich den Aufbau eines Agentennetzes zur Beschaffung von Informationen über sowjetische und ukrainische Aktivitäten im besetzten Deutschland (15ii).
Der ukrainische Faschist Mykola Lebed genoss ab sofort den besonderen Schutz durch US-Dienste. Die politischen Verhältnisse in Italien liefen damals auf eine von Kommunisten geführte Regierung mit engen Beziehungen zur Sowjetunion hinaus. Der Rückzug der US-Besatzungsbehörden stand im Raum. Daher gab das CIC vor:
„Sollte ein solcher [oben beschriebener] Fall eintreten, würden die Interessen der USA indirekt Schaden nehmen, da [Lebed] über wichtige Informationen zu den Aktivitäten des ukrainischen Widerstandes in der Ukraine verfügt.“ (15iii)
Deshalb auch beantragte Ivan Hrinioch, ein Pater und gleichzeitig Leiter der politischen Abteilung des UHVR — zur Erinnerung: das war der von Lebed mitkontrollierte Ukrainische Oberste Befreiungsrat — die Verlegung Lebeds an einen sicheren Ort. Und so schleuste das CIC Mykola Lebed und dessen Familie im Dezember 1947 nach München. All das geschah noch vor beziehungsweise während der Gründung der CIA und bevor an die Operation AERODYNAMIC überhaupt zu denken war.
Man beachte: Ukrainische Faschisten und Kriegsverbrecher lebten auch nach der Niederlage des faschistischen Deutschlands in, wohlgemerkt, Westdeutschland sicherer als in Italien.
Man beachte außerdem: Faschisten aller Coleur genossen besonderen Schutz durch die westlichen Siegermächte, kaum dass der Weltkrieg sein Ende gefunden hatte (28i).
Überhaupt spielte und spielt es keine Rolle, ob die jeweilige Person ein überführter Krimineller, Kriegsverbrecher oder Terrorist ist. Einziges Kriterium ist die „Verwendbarkeit“ des Menschen. In der anglo-amerikanischen Geostrategie ist moralisch alles erlaubt, was zur Destabilisierung des russischen und zwischenzeitlich sowjetischen Riesenreiches taugt.
Am 18. September 1947 unterzeichnete US-Präsident Harry S. Truman den National Security Act, in dessen Zuge der National Security Council (NSC) und die Central Intelligence Agency (CIA) gegründet wurden (31).
Operation AERODYNAMIC
Wie bereits erwähnt, hatte es erste Kontaktversuche Lebeds in den Westen bereits zu Kriegszeiten gegeben. Dies geschah unmittelbar nach Gründung der UHVR samt deren Auslandsvertretung ZPUHVR im Juli 1944. Letzterer gehörten an: Ivan Hrinioch als Präsident (siehe auch weiter oben), Mykola Lebed als Außenminister und Yuri Lopatinski als Delegierter der UPA (des militärischen Armes der OUN-B). Ivan Hrinioch war gleichzeitig ein ukrainisch-katholischer Priester. Als solcher hatte er Verbindungen zu hohen regionalen Kirchenvertretern — und damit indirekt zum Vatikan (16ii).
Der Vollständigkeit halber sei aufgeführt, dass der britische MI6 1948 über Gerhard von Mende, zuvor im Ressort des Ostministeriums von Alfred Rosenberg tätig, Kontakt zu Bandera aufnahm. Die von Bandera gestellten politischen, finanziellen und technischen Anforderungen überstiegen jedoch die Möglichkeiten der Briten, sodass eine Zusammenarbeit vorerst nicht zustande kam. Doch ein Jahr später willigten sie doch ein und begannen, ganz so wie es die CIA dann tun würde, Agenten illegal in die Ukraine einzuschleusen (16iv). Während die Briten weiter auf Bandera und seine OUN setzten, fokussierten die USA auf Mykola Lebed, warum?
1948 waren die größten ukrainischen Organisationen, welche von einem gewaltsam übernommenen ukrainischen Staat träumten, vom Machtkampf zerfressen. Dieser Machtkampf wurde von der CIA aufmerksam beobachtet. Die OUN wurde weitgehend von Stepan Bandera kontrolliert. Er beanspruchte die alleinige Autorität über die Ukrainer (beziehungsweise die Menschen, die er als einer ukrainischen Ethnie zugehörig betrachtete), und das sowohl im In- wie auch im Ausland. Auf einem OUN-Kongress im August 1948 schloss er Hrinioch und Lebed aus der Partei aus und befahl seinen eigenen Anhängern, aus deren Organisationen auszutreten. Damit einher ging die Spaltung zur UHVR und ZPUHVR.
Das CIC stellte bereits 1947 fest, dass Bandera-Anhänger in jedem Internierungslager der westlichen Besatzungszonen anzutreffen waren und diese über ein ausgeklügeltes Kuriersystem, das bis in die Ukraine reichte, verfügten. Ein attraktives System, um Nachrichten abzuschöpfen und ein Agenten- und Diversantennetz aufzubauen. Dem stand entgegen, dass Bandera zunehmend wahnhaft und paranoid wirkte und bereit war, „jede Person zu beseitigen, die für [Bandera] oder seine Partei gefährlich sein könnte“ (16iii). Wohl auch deshalb entschied sich die CIA bei der Operation AERODYNAMIC auf Lebeds UHVR und ZPUHVR zu setzen (32).
Insbesondere begann man sich bis in die höchsten politischen Kreise der USA um die Person Mykola Lebed zu kümmern. In Müchen hatte Lebed eine Scheinidentität (Roman Turan), um ihn vor dem Zugriff durch sowjetische Behörden zu schützen, die dessen Auslieferung als Kriegsverbrecher und faschistischen Kollaborateur verlangten. Mehr noch: Nachdem der stellvertretende CIA-Direktor W.G. Wyman die US-Einwanderungsbehörde darüber informiert hatte, dass Lebed „dieser Behörde [der CIA] wertvolle Hilfe geleistet hat“, wurde Lebed samt Frau und Tochter unter dem Deckmantel des Displaced Persons Act (33) in die USA eingeschleust (15iii).
Auch danach wurde die Einwanderungsbehörde (INS) von der CIA massiv unter Druck gesetzt, um Lebed ein dauerndes Bleiberecht in den USA zu gewähren. So schrieb Allen Dulles, damals stellvertretender Direktor der CIA, noch am 5. Mai 1952 in einem Brief an den INS-Beauftragten Mackey:
„Im Zusammenhang mit zukünftigen Operationen der Agency von höchster Wichtigkeit ist es dringend notwendig, dass die Person [Lebed] in der Lage ist, in Westeuropa zu reisen. Bevor [er] eine solche Reise unternimmt, muss die Agentur jedoch … seine Wiedereinreise in die Vereinigten Staaten ohne Ermittlungen oder Zwischenfälle sicherstellen, die unangemessene Aufmerksamkeit auf seine Aktivitäten lenken würden.“ (9iv)
Das war 1952, sieben Jahre nach Ende des Weltkrieges, und zeigt, dass Lebed von der CIA und auch vom MI6 als sozusagen strategische Figur gehandelt wurde. Strategische Konzepte sind allgemein langfristige Konzepte. Im Sinne derer operativen Umsetzung wurde für den Kriegsverbrecher eine ungehinderte Reisetätigkeit in der westlichen Hemisphäre als notwendig erachtet — aber dazu später mehr. Fakt ist, dass Lebed 1960 in AERODYNAMIC-Dokumenten bereits als US-Bürger geführt wurde (34).
Im ersten Ansatz zielte AERODYNAMIC auf klassische, direkte Methoden von Diversion in der Ukrainischen Sowjetrepublik und überhaupt der Sowjetunion. Außerdem setzte man anfangs (1948) noch auf beide Fraktionen, die von Lebed wie die von Bandera. Noch einmal sei das grundsätzliche Ziel von AERODYNAMIC genannt, dass darin bestand:
„[…], den antisowjetischen Widerstand der Ukraine für Zwecke des Kalten Krieges und des heißen Krieges zu nutzen und auszuweiten. Gruppen wie der Ukrainische Oberste Befreiungsrat (UHVR) und seine Ukrainische Aufstandsarmee (OUN), die Auslandsvertretung des Ukrainischen Obersten Befreiungsrats (ZPUHVR) in Westeuropa und den Vereinigten Staaten sowie andere Organisationen wie die OUN/B werden dafür genutzt werden.“ (8i, 35)
Doch schließlich wurde zwischen der ZPUHVR (die Auslandsvertretung des Obersten Befreiungsrates der Ukraine) und der CIA eine Vereinbarung geschlossen, wonach gemeinsame Anstrengungen unternommen werden sollten, um Operationen in der Ukraine zu entwickeln. Die ZPUHVR sollte Agentenpersonal, Kontakt- und andere operative Daten liefern und ein operatives Netzwerk in der Ukrainischen Sowjetrepublik unterhalten. Der CIA oblag die technische Unterstützung, das heißt die Finanzierung und der Betrieb von Ausbildungseinrichtungen, die Bereitstellung von Kleinwaffen, Versorgungsgütern und Kommunikationsausrüstung wie Funkgeräten, Generatoren und Batterien sowie Lufttransporte (32i).
Konkret sah das zum Beispiel so aus (b1):
Selbst kriegerische Handlungen auf ukrainischem Boden waren Bestandteil des Konzepts von AERODYNAMIC (31ii). Dass hier ein aus dem Ausland gesteuerter Krieg auf sowjet-ukrainischem tobte, belegt allein die Zahl von 35.000 durch OUN-B-Milizen getöteten sowjetischen Sicherheitskräften seit dem Weltkriegsende bis zum Jahr 1951 (36, 37).
Parallel zur AERODYNAMIC betrieb der britische Auslandsgeheimdienst MI6 Ende der 1940er- Anfang der 1950er-Jahre die Operation Integral, bei der unter anderem — so wie bei der CIA-Operation — Agenten bei Nacht und Nebel mit dem Fallschirm über der Ukraine abgesetzt wurden. Aber gerade diese Operationen des Projekts endeten regelmäßig in Fehlschlägen (38) — und wurden trotzdem bis in das Jahr 1953 immer wieder aufs Neue bewilligt (39).
AERODYNAMIC mit Softpower
Mitte der 1950er-Jahre hatte sich bei der CIA die Einsicht durchgesetzt, dass der Versuch paramilitärischer Subversion auf ukrainischem Territorium weitgehend gescheitert war. Die paramilitärischen Gruppen der UPA und OUN-B waren bereits 1946/47 erheblich dezimiert und nun praktisch vollständig aufgerieben worden (40, 41). Das bedeutete aber nicht das Ende von AERODYNAMIC, das Projekt wurde noch Jahrzehnte weitergeführt, allerdings subtiler.
Man ging fortan zu klassischen Methoden der Spionage über und baute mit dem bestehenden Netz der ukrainischen Diaspora eine Infrastruktur auf, mit welcher man psychologische Kriegsführung betrieb. So versuchte man sowjetische Geschäftsleute, Wissenschaftler, Sportler und Künstler bei ihren Reisen in das westliche Ausland sowie im Ausland lebende Ukrainern als Agenten zu ködern (42, 43).
Wenn die „harten“ mit den „weichen“ Methoden kombiniert werden. Wenn alle Register auf der technischen, sozialen, psychologischen Ebene gezogen werden, um andere Gesellschaften „zu verbessern“. Wie könnte man das nennen — vielleicht hybride Kriegsführung?
Dieser in heutiger Zeit von Politikern und Vertretern der Massenmedien verwendete „Modebegriff“ spiegelt sehr schön das eigene Selbstverständnis, ja Sendungsbewusstsein wider. Sind die Protagonisten überhaupt fähig, das zu reflektieren? Der aus eigener und transportiert werden wollender Hysterie geborene Begriff „hybride Kriegsführung“ ist ein gutes Beispiel, ein typischer Kampfbegriff aus dem Propagandabaukasten (44).
Genau das jedoch, was britische und US-Geheimdienste unter anderem in der Ukrainischen Sowjetrepublik und übrigens auch reichlich vom Boden der gerade gegründeten westdeutschen Bundesrepublik praktizierten (45), lässt sich auf jeden Fall recht gut unter dem Begriff „hybride Kriegsführung“ einordnen.
An dieser Stelle ist es lohnenswert, auf die weitere Karriere des ukrainischen Nationalisten und Kriegsverbrechers Mykola Lebed zu schauen. In der englischen Wikipedia lesen wir:
„Von 1952 bis 1974 leitete er das Prolog Research Center in New York; von 1982 bis 1985 war er stellvertretender Vorsitzender und seit 1974 Mitglied des Verwaltungsrats der Einrichtung. Von 1956 bis 1991 war er Mitglied des Vorstands der Ukrainischen Gesellschaft für Auslandsstudien in München und Toronto […].“ (46)
Das klingt recht unverfänglich. Aber verblüffender Weise klärt uns ausgerechnet die deutschsprachige Wikipedia (Stand 8. Oktober) darüber auf, dass dieses Prolog Research Center im Rahmen der CIA-Operation AERODYNAMIC betrieben wurde (47):
„Ab 1953 begann AERODYNAMIC mit einer ukrainischen Studiengruppe unter der Leitung von Lebed in New York zu arbeiten, die unter der Schirmherrschaft der CIA ukrainische Literatur und Geschichte sammelte und ukrainische nationalistische Zeitungen, Bulletins, Radioprogramme und Bücher zur Verbreitung in der Ukraine produzierte.“ (9v)
Das Center gehörte zur 1953 von der CIA gegründeten Prolog Research and Publishing Association Inc. (PRaPA) und Mykola Lebed wurde umgehend als deren Präsident eingesetzt. Vizepräsident wurde der ZPUHVR-Vorsitzende Ivan Hrinioch (siehe auch weiter oben) (48). Dass es sich beim PRaPA um eine CIA-Filliale handelte, wussten nur die sechs Führungsmitglieder der ZPUHVR, welcher Lebed und Hrinioch angehörten. Von Prolog angeheuerte und bezahlte ukrainische Schriftsteller waren ahnungslos. Auch in München wurde eine Prolog-Filliale betrieben (9vi). Die Literaten ahnten nicht, dass sie für psychologische Kriegsführung im Rahmen eines CIA-Projektes eingespannt wurden (49).
„Ab 1955 wurden Flugblätter aus der Luft über der Ukraine abgeworfen[,] und Radiosendungen mit dem Titel »Nova Ukraina« wurden in Athen für den ukrainischen Konsum ausgestrahlt. Diese Aktivitäten gingen über in systematische Briefkampagnen in die Ukraine über ukrainische Kontakte in Polen und Emigrantenkontakte in Argentinien, Australien, Kanada, Spanien, Schweden und anderswo. Die Zeitung „Suchasna Ukrainia« (Ukraine heute), Informationsbulletins, eine ukrainischsprachige Zeitschrift für Intellektuelle namens ‚Suchasnist‘ (Die Gegenwart) und andere Publikationen wurden an Bibliotheken, Kultureinrichtungen, Verwaltungen und Privatpersonen in der Ukraine verschickt. Diese Aktivitäten förderten den ukrainischen Nationalismus [].“ (9vii, 16v)
Wir sprachen bereits über den „Modebegriff“ namens „hybride Kriegsführung“, hierzulande auch euphemistisch „Demokratieexport“ genannt. Genau das wurde in diesem Text besprochen.
AERODYNAMIC und ein Nachfolgeprojekt namens QRPLUMB wurden bis zum Jahr 1991 von der CIA weitergeführt (50), dann öffneten sich die Grenzen der untergehenden Sowjetunion und auch die Ukraine wurde ein offen bearbeitbares Feld. Projekte wie AERODYNAMIC wurden in der Ukraine und vorerst auch in Russland überflüssig. Andere Methoden würden entwickelt und eingesetzt, um weiter auf die Ziele von AERODYNAMIC hinzuarbeiten.
Was können wir aus all dem für Schlussfolgerungen ziehen? Da gibt es so einige, aber hier auffallend ist die Kontinuität, mit der das britische und später anglo-amerikanische Imperium das große Russland niederzuringen, ja zu zerschlagen sucht. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass es nicht etwa die gesellschaftlichen Verhältnisse dieses Riesenlandes sind, die es zu einem Feindbild erster Güte machen. Denn egal ob Zarenreich, sozialistischer Staat oder das Russland nach Jelzin — sie alle waren und sind politischen Gestaltern im Westen nicht recht. Die einzige „glückliche“ Zeit westlicher Eliten in Bezug auf Russland war die Jelzin-Ära. Eine Ära, in der Russland in Armut und Chaos versank, eine abartig reiche Oligarchenschicht entstand und ausländische „Investoren“ beim Plündern der russischen Ressourcen kein Halt mehr kannten.
Der Ukrainer Mykola Lebed, Banderas früherer Kampfgenosse, Terrorist, Kriegsverbrecher und Faschist, starb im Jahre 1998 hochbetagt und unbehelligt in New Jersey (USA).
Bitte bleiben Sie schön aufmerksam, liebe Leser.
Anmerkungen und Quellen
(Allgemein) Dieser Artikel von Peds Ansichten ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung — Nicht kommerziell — Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen kann er gern weiterverbreitet und vervielfältigt werden. Bei Verlinkungen auf weitere Artikel von Peds Ansichten finden Sie dort auch die externen Quellen, mit denen die Aussagen im aktuellen Text belegt werden.
(1) 02.05.2023; Simplicius The Thinker; Prophetic 1992 Interview with Putin Mentor Anatoly Sobchak Predicts Existential Clash; https://simplicius76.substack.com/p/prophetic-1992-interview-with-putin?utm
(2) International Renaissance Foundation; About Us; https://www.irf.ua/en/about/; abgerufen: 16.09.2025
(3) 04.02.2025; Columbia Journalism Review; Jon Allsop; USAID and the Media in „Time of Monsters“; https://www.cjr.org/the_media_today/usaid-and-the-media-in-a-time-of-monsters.php
(4 bis 4v) 1997; Zbigniew Brzezinski; The Great Chessboard (Die einzige Weltmacht); Basic Books, New York; Deutsche Ausgabe: Fischer Taschenbuch-Verlag (dtv) unter Lizenz Beltz Quadriga Verlag, Weinheim u. Berlin; ISBN 3-596-14358-6; http://fischer-tb.de; S. 15, (3i) S. 16, (3ii) S. 70, (3iv) S. 80, (3v) S. 127
(5) United Nations; Archives and Records Management Section; Folder S-1818-0082-0002 — Redeployment — battalion; https://search.archives.un.org/informationobject/browse?collection=724283&query=S-1818-0082-0002&topLod=0
(6) 26.02.2022; Junge Welt; Jörg Kronauer; Projekt Einkreisung; https://www.jungewelt.de/artikel/421558.geopolitik-projekt-einkreisung.html
(7) 24.04.2014; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Alexander Neu, Christine Buchholz, Sevim Dagdelen und weiterer; Deutscher Bundestag — 18. Wahlperiode; https://dserver.bundestag.de/btd/18/012/1801221.pdf; S. 5
(8, 8i) 08.01.2016; Strategic Culture; Wayne Madsen; CIA: Undermining and Nazifying Ukraine Since 1953; https://web.archive.org/web/20230325174021/https://strategic-culture.org/news/2016/01/08/cia-undermining-and-nazifying-ukraine-since-1953/
(9 bis 9vii) 06.04.2022; Axel B.C. Krauss; Wie die ukrainische nationalistische Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg von der CIA gekauft wurde — Cynthia Chung; https://axelkra.us/wie-die-ukrainische-nationalistische-bewegung-nach-dem-zweiten-weltkrieg-von-der-cia-gekauft-wurde-cynthia-chung/
(10) 03.08.2015; Andreas Kappeler; Bundeszentrale für politische Bildung; Geschichte der Ukraine im Überblick; Die Westukraine in der Zwischenkriegszeit; https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/izpb/info-aktuell/209719/geschichte-der-ukraine-im-ueberblick/
(11 bis 11ii) 13.10.2009; Alexander Gogun; Stepan Bandera — ein Freiheitskämpfer?; https://gedenkbibliothek.de/download/Dr_Alexander_Gogun_Stepan_Bandera_ein_Freiheitskaempfer_vom_13_10_2009.pdf
(12) 19.02.2022; Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung; Grzegorz Rossolinski-Liebe; Stepan Bandera und die gespaltene Erinnerung an die Gewalt in der Ukraine; https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/stepanbandera_ukraine
(13) 26.01.1936; CDIAL (Central’nyj deržavnyj istorychnyj archiv u L’vovi); Gerichtsprotokoll; f. 371, op. 1, spr. 8, od. 75, Bl. 176; entnommen bei https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/257664/verflochtene-geschichten/?p=all#footnote-target-19
(14, 14i) 10.08.2022; Berliner Zeitung; Maritta Adam-Tkalec; SS-General Berger über den ukrainischen Faschisten Bandera: „Unerhört wertvoll“; https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ss-general-berger-ueber-den-ukrainischen-faschisten-bandera-unerhoert-wertvoll-li.244257
(15 bis 15iii) 2005; Richard Breitman, Norman J.W. Goda und weitere; U.S. Intelligence and The Nazis; National Archives & Cambridge University Press; S. 65; (15ii) S. 251; (15iii) S. 252
(16 bis 16v) 2011; Richard Breitman, Norman J.W. Goda und weitere; Hitler’s Shadow Nazi War Criminals, US. Intelligence, and the Cold War; National Archives; S. 74, (16i, 16iii) S. 78, (16ii) S. 77, (16iv) S. 81, (16v) S. 87/88; entnommen bei https://axelkra.us/wie-die-ukrainische-nationalistische-bewegung-nach-dem-zweiten-weltkrieg-von-der-cia-gekauft-wurde-cynthia-chung/; https://www.archives.gov/files/iwg/reports/hitlers-shadow.pdf
(17 bis17iii) Bundeszentrale für politische Bildung; Grzegorz Rossolinski-Liebe; Verflochtene Geschichten; https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/257664/verflochtene-geschichten/?p=all; Primärquelle: 1990; Shmuel Spector; The Holocaust of Volhynian Jews 1941-1944; Jerusalem, 1990
(18) 2004; Timothy Snyder; The Reconstruction of Nations; New Haven: Yale University Press; S. 164
(19) 11.02.1988; Voice; Ellen McGarrahan, Leslie Yenkin, Kevin Coogan; To Catch A Nazi; https://msuweb.montclair.edu/~furrg/essays/conasoncatchnazi86.pdf
(20) 13.04.2022; Deutschlandfunk; Martin Sander; Die problematische Seite des ukrainischen Nationalismus; https://www.deutschlandfunkkultur.de/bandera-kult-ukraine-100.html
(21) 28.12.2018; FOIA Research; Nachtigall Battalion; https://www.foiaresearch.net/organization/nachtigall-battalion
(22) 28.07.2024; Overton Magazin; Richard Kallok; Ukraine: SS-Division „Galizien“ als Werbepartner der Armee-Mobilisierung; https://overton-magazin.de/top-story/ukraine-ss-division-galizien-als-werbepartner-der-armee-mobilisierung/
(23) https://en.wikipedia.org/wiki/Mykola_Lebed#World_War_II; abgerufen: 07.10.2025
(24) 06.05.2015; Deutscher Bundestag; 102. Sitzung, Plenarprotokoll 18/102; https://dserver.bundestag.de/btp/18/18102.pdf#P.9775; Anlage 12, S. 9775
(25) Deutsch – Ukrainisches Zentrum e.V.; Andrij Melnyk; http://www.deutsch-ukrainisches-zentrum.de/wissen/wichtige-ukrainer/melnyk-andrij/; abgerufen: 06.10.2025
(26) 01.07.2022; Welt; Thomas Schmidt; Andrij Melnyk und der ukrainische Nationalismus; https://schmid.welt.de/2022/07/01/andrij-melnyk-und-der-ukrainische-nationalismus/
(27) Das unsichtbare Imperium; CIA / History of the Central Intelligence Agency; https://www.das-unsichtbare-imperium.de/category/cia/cia-history/; abgerufen: 08.10.2025
(28, 28i) 1998; CIA; Kevin C. Ruffner; Cold War Allies: The Origins of CIA’s Relationship with Ukrainian Nationalists (S); https://www.cia.gov/readingroom/docs/STUDIES%20IN%20INTELLIGENCE%20NAZI%20-%20RELATED%20ARTICLES_0015.pdf
(29) 11.12.2010; The New York Times; Sam Roberts; Declassified Papers Show U.S. Recruited Ex-Nazis; https://www.nytimes.com/2010/12/12/us/12holocaust.html; Artikel hinter Registrierschranke
(30) 12.01.2025; Thomas Boghardt; ‘All the heroes are dead:’ U.S. covert operations in Ukraine, 1949-1953; https://www.tandfonline.com/doi/figure/10.1080/02684527.2024.2422136; S. 151 bis 171
(31) Das unsichtbare Imperium; History of the Central Intelligence Agency, Gesetzliche Grundlage; https://wiki.das-unsichtbare-imperium.de/wiki/History_of_the_Central_Intelligence_Agency#Gesetzliche_Grundlage; abgerufen: 08.10.2025
(32 bis 32ii) 22.06.1955; CIA, Operation/Projekt Aerodynamic (Ukraine), Evaluation; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%202_0030.pdf; 1955-06-22_CIA-Operation_Aerodynamic_Evaluation
(33) Immigration History; Displaced Persons Act (1948); https://immigrationhistory.org/item/1948-displaced-persons-act/; abgerufen: 08.10.2025
(34) 05.08.1960; CIA; Projekt AERODYNAMIC; Classified Message; Mykola Lebed; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2019%20%20%28OPERATIONS%29_0047.pdf
(35) CIA, Operation/Projekt Aerodynamic (Ukraine), Memorandum; 28.08.1953; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%201_0118.pdf; S. 3; lokal: 1955-06-22_CIA-Operation_Aerodynamic_Evaluation
(36) 30.03.2022; Liberation; Gabriel Rockhill; Nazis in Ukraine: Seeing through the fog of the information war; https://www.liberationnews.org/nazis-in-ukraine-seeing-through-the-fog-of-the-information-war/
(37) 1951; US-Einwanderungsbehörde INS; Schriftwechsel mit Frank Wisner (Chef des CIA-Directorate of Plans); entnommen bei: John Loftus: The Belarus Secret; Knopf, New York, 1982; S. 102/103
(38) 10.02.2025; Welt; Martin Klemrath; 12 Agenten ließ die CIA über der Ukraine abspringen — nur einer kam zurück; https://www.welt.de/geschichte/article255147210/Project-Aerodynamic-12-Agenten-liess-die-CIA-ueber-der-Ukraine-abspringen-nur-einer-kam-zurueck.html; hinter Werbeschranke
(39) 16.10.1952; CIA; ; Projekt AERODYNAMIC; Memorandum for the Chiefs; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%201_0079.pdf
(40) 01.09.1954; CIA; Projekt AERODYNAMIC; Report to MYOPIA by Leader of Drohobycz.Okrug on Strength and Disposition of Illegal Members; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2012%20%20%28OPERATIONS%29_0016.pdf
(41) 29.07.1954; CIA; Project AERODYNAMIK; Operational — Redsox/Aerodynamic; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2012%20%20%28OPERATIONS%29_0013.pdf; Seite 2
(42) 04.09.1959; CIA; Project AERODYNAMIK; Memorandum: for Chief, SR/3; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2017%20%20%28OPERATIONS%29_0063.pdf
(43) 23.05.2020; Voice Of Russian-Speaking America; Irina Schiller; Operation Aerodynamics: how the CIA looked for Ukrainians with anit-Soviet sentiments; https://forumdaily.com/en/operaciya-aerodinamika-kak-cru-iskalo-ukraincev-s-antisovetskimi-nastroeniyami/
(44) Bundesministerium der Verteidigung; Was sind hybride Bedrohungen; https://www.bmvg.de/de/themen/sicherheitspolitik/hybride-bedrohungen/was-sind-hybride-bedrohungen–13692; abgerufen: 06.10.2025
(45) 14.10.1959; CIA; Projekt AERODYNAMIC; Classified Message; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2018%20%20%28OPERATIONS%29_0008.pdf
(46) https://en.wikipedia.org/wiki/Mykola_Lebed#Post-war_activities; abgerufen: 08.10.2025
(47) https://de.wikipedia.org/wiki/Mykola_Lebed; abgerufen: 08.10.2025
(48) 08.12.1966; CIA; Project AERODYNAMIC, Memorandum For: IG Survey Group on Proprietaries; https://www.cia.gov/readingroom/docs/AERODYNAMIC%20%20%20VOL.%2035%20%20(OPERATIONS)_0039.pdf
(49) 14.01.2016; Voltairenet; Wayne Madson; CIA: Untergrabung und Nazifizierung der Ukraine seit 1953; https://www.voltairenet.org/article189894.html; schlechte deutsche Übersetzung, in englisch: https://www.voltairenet.org/article189895.html
(50) 28.12.2018; FOIA Research; Prolog Research Corporation (QRTENURE, AETENURE); https://www.foiaresearch.net/project/prolog-research-corporation-qrtenure-aetenure
(b1) siehe (35)
(Titelbild) Spion, Agent, Ermittlung, Geheimdienst; Autor: Lenzatic (Pixabay); 12.12.2020; https://pixabay.com/de/photos/spion-detektiv-mafia-gangster-5821903/; Lizenz: Pixabay License