Wie bereits an dieser Stelle thematisiert, fand am vergangenen Mittwoch auch in Dresden eine Veranstaltung für die Freilassung des Journalisten Julian Assange statt.


Ort des Geschehens war das, Einheimischen als Dresdner Haus der Presse bekannte, Verlagshaus der auflagenstarken Sächsischen Zeitung. Diese ist im Besitz der DDV-Mediengruppe (a1). Die Demonstration beabsichtigte, die Beschäftigten des Hauses „mit der Nase“ darauf zu stoßen, dass ein Kollege von ihnen dringend ihres Engagements bedarf.

Während der Demonstration wurde ein offener Brief an die Mitarbeiter der Verlagsgruppe verlesen, danach von 93 Teilnehmern der Veranstaltung unterzeichnet und schließlich im Verlagshaus selbst offiziell übergeben (a2). Im Folgenden der Wortlaut dieses offenen Briefes:


Offener Brief an alle Dresdner Journalisten anlässlich der Berichterstattung über die Folter von Julian Assange

Sehr geehrte Damen und Herren,

dies ist ein offener Brief eines breiten Bündnisses aus der Dresdner Bürgerschaft. Die Unterzeichnenden fordern Sie zu mehr Neutralität und mehr Mut in der politischen Berichterstattung auf.

Zunächst sei vorangestellt, dass uns bewusst ist, wie vielschichtig die journalistische Landschaft ist und, dass daher Pauschalisierungen schwierig und unfair sind. Deshalb betrachten Sie die folgenden Worte bitte als Gesamteindruck, der sich bei zahlreichen Menschen in der Berichterstattung zum Fall Assange ergeben hat und entscheiden Sie jeweils ganz individuell, welche der Kritikpunkte Sie als zutreffend für sich selbst ansehen und sich zu Herzen nehmen möchten. Auch sehen Sie die Kritik an der Dresdner Journalistenschaft bitte als stellvertretend für eine Kritik an großen Teilen der Deutschen Leitmedien, wir möchten als Dresdner Bürgerinnen und Bürger mit der Spezifizierung auf die Dresdner Journalisten lediglich zunächst unserer lokalen Verantwortung Rechnung tragen. Unsere Kritik beschränkt sich aber keineswegs auf die Dresdner Lokalmedien.

Der Fall Julian Assange ist für die Unterzeichnenden ein symptomatisches Beispiel dafür, wie in den Medien Unwahrheiten, Verkürzungen und Verschweigen zu großer Ungerechtigkeit führen können. Der WikiLeaks-Gründer Julian Assange sorgte mit der Veröffentlichung von hunderttausenden bisher geheimen Dokumenten und Emails dafür, dass weltweit Menschen ermöglicht wurde sich über kriminellen Machenschaften von Menschen mit großer Macht zu informieren. Er ermöglichte, Einblick in die nicht legitimierten Handlungen von Menschen in Amt und Würden zu bekommen. Als eindrucksvollstes und erschreckendes Beispiel seien hier die als „collateral murder“ berzeichneten Videomitschnitte der US-Armee im Irak genannt, in denen man das willkürliche und barbarische Töten irakischer Zivilisten beobachten kann. 

Als vierte Macht im Staate haben die Medien die Aufgabe, das Handeln der Herrschenden zu kontrollieren und transparent zu machen, sodass sich die Menschenein Bild von ihren Regierungen machen können. Dies unterscheidet Journalismus von bloßer Hofberichterstattung, welche lediglich die Narrative und Informationen der Regierenden zur Kenntnis nimmt und unhinterfragt abdruckt.

Wenn wir die Berichterstattung zu Julian Assange der letzten Jahre betrachten fällt auf, dass jegliche Verleumdung gegen Assange, sei sie noch so haltlos und unbelegt, von vielen großen Medien abgedruckt wurde. Und dies in vielen Fällen ohne kritische Recherche. Es wurden einfach Meldungen von anderen Medien, Presseagenturen oder auch von Regierungen übernommen, ohne, dass diese zunächst hinterfragt worden wären. 

Das Ergebnis dieser – dem Berufsethos von Journalisten entgegenstehenden – Dynamiken ist, dass viele Menschen die sich ausschließlich über die Deutschen Massenmedien informieren mittlerweile zu Assange in etwa die folgende Meinung haben: Assange sei doch ein narzistischer Selbstdarsteller, dem es nur darumginge, die eigenen politischen Ansichten durchzusetzen. Er pflege Kontakt zu furchtbaren Menschen, sei ein Verräter und handele nur im Auftrag Russlands. Und obendrein sei er auch ein Vergewaltiger. 

Nichts von diesen Anschuldigungen ist belegbar, wie auch vor wenigen Tagen die schwedische Staatsanwaltschaft erneut feststellte. Sie dienen ausschließlich dem Zweck, Julian Assange in Verruf zu bringen, seine Person unglaubwürdig und zur persona non grata zu machen. Damit lenkt man von dem eigentlich wichtigen ab: Nämlich den Veröffentlichungen furchtbarer Verbrechen, die die von ihm gegründete Plattform WikiLeaks ermöglichte.

Diese Veröffentlichung haben auch für Sie, werte Journalisten, eine große Tragweite. Waren es doch die großen Medien die daran teilhatten, die Bevölkerung der sogenannten ‚westlichen Wertegemeinschaft‘ auf die Notwendigkeit von Kriegseinsätzen außerhalb des NATO-Bündnisgebietes einzustimmen und die Menschen durch Angst-Narrative wie der ‚Bedrohung durch den Terrorismus‘ zu paralysieren. Die Veröffentlichungen von WikiLeaks belegen, wie wenig wir uns noch auf die Aussagen von Regierenden und der Macht nahestehenden Redaktionen verlassen können, wenn wieder einmal vom ‚Krieg gegen den Terror‘, von ‚humanitären Interventionen‘ oder ‚ diktatorischen Regimen‘ die Rede ist, von deren Joch man die Menschen – auch unter Inkaufnahme vieler ‚Kollateralschäden‘ – doch befreien müsse.

Wer nach den Enthüllungen von Whistleblowern der US-Armee nun eine große Debatte um die Angriffskriege westlicher Staaten im nahen Osten erwartet hatte, wurde enttäuscht. Denn statt Aufklärung gab es Verleumdung. Nicht auf die Verbrecher zielte die Berichterstattung, sondern auf denjenigen, der die Verbrechen offengelegt hatte: Julian Assange. Wie anders ist diese, in den Deutschen Medien weit verbreitete, Hetze gegen die Person Assange anders zu bezeichnen als Hofberichterstattung?

All diese Vorgänge wurden nun in den letzten Monaten durch das Verschweigen eines simplen Fakts auf die Spitze getrieben, weshalb auch dieser offene Brief entstand.

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, Nils Melzer, bestätigte bereits im Mai diesen Jahres, dass Julian Assange psychologisch gefoltert wird und sein Gesundheitszustand alarmierend schlecht sei (1). Bei seinem letzten Gerichtstermin berichten Augenzeugen, dass Assange kaum mehr im Stande war, sich seines eigenen Namens und Geburtsdatums zu erinnern! Wir zitieren an dieser Stelle mehrere Äußerungen des Sonderberichterstatters für Folter Nils Melzer (2,3):

„Ich weiß, ihr denkt vielleicht, dass ich mich getäuscht habe. Wie könnte das Leben in einer Botschaft mit einer Katze und einem Skateboard jemals einer Folter gleichkommen? Das ist genau das, was auch ich dachte, als Assange zum ersten Mal um Schutz durch mein Büro bat. Wie die meisten Bürger war ich unterbewusst durch die unaufhörliche Hetze vergiftet worden, die im Laufe der Jahre verbreitet wurde. Also bedurfte es ein zweites Klopfen an meine Tür, um meine widerwillige Aufmerksamkeit zu erregen. Aber als ich mir die Fakten dieses Falles angesehen hatte, erfüllte mich das, was ich vorfand, mit Abstoßen und Unglauben.“

„Obwohl Herr Assange ein Muster von Symptomen zeigte, die typisch für die langfristige Exposition gegenüber psychologischer Folter sind, bedauere ich, berichten zu müssen, dass keiner der betroffenen Staaten zugestimmt hat, ihre angebliche Beteiligung an seinem Missbrauch zu untersuchen oder zu beheben, wie es nach den Menschenrechtsgesetzen für sie erforderlich wäre.“

„Im Laufe der vergangenen neun Jahre war Herr Assange hartnäckigem, fortschreitendem Missbrauch ausgesetzt, der von systematischer gerichtlicher Verfolgung und willkürlicher Inhaftierung in der ecuadorianischen Botschaft über seine repressive Isolation, Belästigung und Überwachung innerhalb der Botschaft bis hin zu vorsätzlicher kollektiver Verhöhnung, Beleidigung und Demütigung, offener Anstiftung zur Gewalt und sogar wiederholten Aufrufen zu seiner Ermordung reichte.“

„Herr Assange wurde über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg bewusst schweren Formen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ausgesetzt, deren kumulative Auswirkungen nur als psychologische Folter beschrieben werden können.“ (Übersetzung aus dem Englischen durch die Verfasser)

Stellen wir uns kurz vor, wie die Deutsche Presselandschaft reagieren würde, wenn derartiges mit einem wichtigen Journalisten in Russland oder einem anderen, uns geopolitisch gerade nicht genehmen, Staat passieren würde. Ein Aufschrei gänge durch die Redaktionen, es wäre von Sanktionen und Maßnahmen die Rede und wahrscheinlich würde die Deutsche Regierung dem politisch Gefangenen Asyl anbieten. Nichts dergleichen passierte im Fall Julian Assange.

Es ist genau diese Doppelmoral die wir hiermit kritisieren und ablehnen. Der Fall Julian Assange ist ein Präzedenzfall dafür, dass jeder Journalist weltweit die Bedrohung durch die Mächtigen zu fürchten hat und dabei kaum von seinen eigenen Kollegen gedeckt wird.

Wir fordern Sie, liebe Dresdner Journalisten – stellvertretend für große Teile Ihres Berufsstandes – dazu auf, in Zukunft Sorgfalt, Neutralität und Weitsichtigkeit in ihrer Berichterstattung walten zu lassen. In der Hoffnung, dass diese Ausführungen kritische Reflexion und fruchtbaren Diskurs anzuregen im Stande waren,

hochachtungsvoll,
die Unterzeichnenden.
Dresden, 27. November 2019.

(1) https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=24665&LangID=E

(2) https://medium.com/@njmelzer/demasking-the-torture-of-julian-assange-b252ffdcb768

(3) https://www.ohchr.org/_layouts/15/WopiFrame.aspx?sourcedoc=/Documents/Issues/Terrorism/FinalSRTStatementGA14Oct%202019.pdf&action=default&DefaultItemOpen=1


siehe auch: https://mahnwache.files.wordpress.com/2019/11/offener_brief_assange.pdf

Bei ungemütlichem Wetter zählte die Veranstaltung etwas mehr als 100 Teilnehmer, wobei einzelne auch weite Anfahrtswege in Kauf nahmen. Die Organisation und der Ablauf der Demonstration wurden mit minimalen Kosten und unter weitestgehender Aufgabe von Hierarchien bewerkstelligt. Bild und Ton der Videoaufzeichnung sind sicher weit weg von Perfektionismus, dafür umso authentischer:


Die Organisatoren danken sehr herzlich allen Teilnehmern und außerdem all jenen, die sich das Anliegen der Demonstration – in welcher Art und Weise auch immer – zu ihrem eigenen gemacht haben (a3,b1).

Bitte bleiben Sie schön aufmerksam.


Anmerkungen und Quellen

(a1) https://www.abo-sz.de/impressum/; abgerufen: 30.11.2019

(a2) Eine Unterschrift unter den offenen Brief setzte spontan ein Mitarbeiter des Verlagshauses.

(a3) Etwa die Hälfte der Teilnehmer stellte sich für Abschlussfotos zur Verfügung.

(b1,Titelbild) Abschlussbilder zur Dresdner Veranstaltung „Freiheit für Julian Assange“ mit offenem Brief an die Medienschaffenden der DDV-Mediengruppe; 27.11.2019; Veröffentlichung mit Genehmigung der Teilnehmer

Von Ped

3 Gedanken zu „Rückblick auf Assange-Demonstration in Dresden“
  1. Lieber Ped, vielen Dank für dein anhaltendes Engagement zum Thema Assange!

    Als ich den Artikel las, hatte ich mir überlegt, wie ich selbst handeln würde, wenn der Erwerb meines Lebensunterhaltes von der Tätigkeit, z.B. beim Dresdner Verlagshaus abhängen würde. Würde ich als Journalist die Aufforderung des offenen Briefes befolgen und damit meinen Job aufs Spiel setzen? Das ist wirklich keine einfach zu beantwortende Frage, wie jeder selbst feststellen kann, wenn er sich in aller Aufrichtigkeit diese Frage selbst stellt. Insgeheim muss ich zugeben, dass ich ganz froh bin, kein Journalist zu sein und mir diese Frage nicht wirklich stellen zu müssen.

    Auf keinen Fall möchte ich damit andeuten, dass es etwa falsch wäre, diesen offenen Brief geschrieben zu haben. Nein, das nicht, aber wäre es nicht richtiger, die Besitzer des Verlagshauses unter Druck zu setzen? Ist es nicht so, dass eine Aufforderung an die Journalisten, sich dem Druck ihrer Arbeitgeber zu widersetzen, nur dann erfolgreich sein könnte, wenn es so viel Solidarität unter den Journalisten gäbe, dass sich möglichst alle geschlossen (oder wenigstens eine große Mehrheit) gegen die Vorgaben der Besitzer der Medienhäuser zur Wehr setzen, so dass die Besitzer sie auch nicht durch andere Schreiber ersetzen könnten und vor der Wahl stünden, einzulenken oder ihre Medienhäuser zu schließen?

    Aus meiner Sicht fehlen heute einfach alle Voraussetzungen, dass so etwas noch geschehen könnte. Ich weiß nicht, ob es überhaupt noch gewerkschaftlich organisierte Journalisten gibt. Das wäre mal eine Mindestvoraussetzung. Ansonsten bliebe da nur noch, die Eigentümerfamilien der Medienhäuser mit öffentlichen Kampagnen direkt moralisch unter Druck zu setzen, ihre Gesichter an die Öffentlichkeit zu zerren und sie mit den Auswirkungen ihrer „Öffentlichkeitsarbeit“ zu konfrontieren.

    Herzlichst
    leo

    1. Ich finde der Kommentar hat das Problem schön auf den Punkt gebracht.
      Ich habe mir auch schon ein paar Mal die Frage gestellt, warum die Vertreter der Pressegemeinschaft einfach so weitermachen, obwohl die (Selbst-)Täuschung immer offensichtlicher wird.
      Die Antwort ist ganz einfach: Die Leute wollen nicht den Job verlieren. Man könnte jetzt noch auf sehr viele vielschichtige Ebenen zu sprechen kommen, aber einfach reduziert, ist das das Problem. Und dieses Problem haben wir alle und es lässt sich auch auf viele andere Probleme in der Gesellschaft (z.B. Wirtschaft, Politik) übertragen.
      Da ich der Meinung bin, dass dies das fundalmentale Problem ist, zeigt sich hier auch, warum es fast unmöglich ist, Veränderungen zu bewerkstelligen.
      Die im Kommentar genannte Lösung, ist vielleicht die richtige. Da aber in unserer Gesellschaft erfolgreich das Prinzip „Teile und Herrsche“ angewandt wird, sehe ich die Schwierigkeit eine genügend große Mobilisierungsmasse auf die Beine zu bekommen, um genügend Druck aufzubauen. Ich finde es toll, wenn sich 100 Leute in Dresden versammeln, aber leider erregt dies keine Aufmerksamkeit.
      Es bleibt nur, nicht den Mut verlieren, weitermachen und hoffen.
      weiter gehts

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